"Kant wird als Maßstab genannt, die biblische Botschaft nicht"

Ukraine-Krieg: Theologen widersprechen "Justitia et Pax"

Veröffentlicht am 30.03.2022 um 16:20 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In einer Stellungnahme hatte die Kommission "Justitia et Pax" das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine aufgrund der christlichen Friedensethik betont. Vier katholische Theologen widersprechen dem nun – und üben Kritik.

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Vier katholische Theologen haben die Stellungnahme der Deutschen Kommission "Justitia et Pax" zum Ukraine-Krieg kritisiert. "Weithin liest sich die Erklärung wie eine politische Analyse. Kant wird als Maßstab genannt, die biblische Botschaft nicht; die Perspektive des Evangeliums fehlt", schreiben die Professoren Josef Freise, Thomas Nauerth, Stefan Silber und Egon Spiegel in einer gemeinsam Erklärung am Mittwoch. "Die Frage, was für einen Sinn eine Wiederholung üblicher politischer Einschätzungen durch eine bischöfliche Kommission ergibt, drängt sich auf", so die Theologen weiter. Sie hätten sich gewünscht, in der Erklärung der Kommission mehr von "diesem größeren messianischen Frieden" zu spüren. "Aus unserer Sicht dominiert der weltlich ächzend-stöhnende gewaltbewehrte Frieden die Ausführungen."

So sei etwa die Aussage, wonach das in der Lehre der Kirche bejahte Recht auf Selbstverteidigung "im Falle der Ukraine völlig unbestritten gegeben" sei, nicht haltbar. Das Recht auf Verteidigung mit Waffen sei in der kirchlichen Lehre an strenge Bedingungen geknüpft und müsse das letzte Mittel sein. Vorher müssten andere Mittel des zivilen Widerstands erprobt werden, die empirischen Studien zufolge wesentlich weniger Tote fordern würden als bewaffnete Gegenwehr.

Welches Ziel kann bewaffnete Gegenwehr verfolgen?

Zudem müsse sichergestellt sein, dass sich durch bewaffnete Gegenwehr tatsächlich etwas bessert und geschützt oder verteidigt werden könne. "Wer aber will nach diesen furchtbaren vier Wochen Krieg noch wagen, zu behaupten, die Verhältnisse hätten sich durch die bisherige bewaffnete Gegenwehr verbessert? Welches Ziel kann bewaffnete Gegenwehr gegen eine atomar bewaffnete Macht überhaupt verfolgen?", fragen die Theologen. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Frage nach der sittlichen Legitimität von Waffenlieferungen diskutiert werden. "Wenn bewaffneter Widerstand nicht erlaubt ist, wenn Waffen aller Erwartung nach nur zu einer Verlängerung des Krieges und zu weiteren Opfern führen, dürfen keine Waffen geliefert werden", so die Autoren.

Sie fordern, dass sich die Kirche aktive für die Ausreise und das Asyl von Kriegsdienstverweigerern aus Russland wie aus der Ukraine einsetze und kritisieren die geplante exorbitante Aufrüstung des deutschen Militärs. Es sei naiv anzunehmen, dass eine solche massive Aufrüstung nicht auf Kosten der ebenfalls grundlegenden Klima-, Entwicklungs- sowie Sozialpolitik gehen werde, betonen die Theologen.

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Die Professoren kritisieren zudem, dass in der Erklärung von "Justitia et Pax" ein Blick auf die Opfer jeglicher Gewalt sowie die Perspektive eines wirklich gewaltfreien Stils fehle, wie es sich auch Papst Franziskus wünsche. "Über die für Papst Franziskus so zentrale Perspektive biblisch begründeter und politisch wirksamer Gewaltfreiheit ist im Papier der Kommission Justitia et Pax wenig zu lesen."

Die deutsche Kommission "Jusitia et Pax" hatte sich nach ihrer Frühjahrsversammlung in Berlin am Sonntag unter anderem für "kluge Waffenlieferungen" in die Ukraine ausgesprochen, da man sich "auf eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Putin-Regime" einzustellen habe. Mit dem "massiven völkerrechtswidrigen Angriff" auf die Ukraine vor einem Monat habe Russland "einen Rubikon" überschritten, heißt es in einer Erklärung. Es handele sich um eine "weltordnungspolitische Auseinandersetzung" und einen Angriff auf die Grundlagen des Völkerrechts. "Der Kampf der Ukrainer und Ukrainerinnen ist daher ein Kampf für ihre und unsere Freiheit und Demokratie."

Josef Freise war vor seiner Emeritierung Professor an der Katholischen Hochschule NRW in Köln und zuvor Referent und Geschäftsführer beim Internationalen Christlichen Friedensdienst "Eirene". Thomas Nauerth ist Professor für Pastoraltheologie und Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück. Egon Spiegel ist Politologe und Theologe und Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Universität Vechta sowie Spezialist im Bereich Friedensforschung und Friedenserziehung. Stefan Silber ist ebenfalls an der Universität Vechta Verwalter der Professur für Dogmatik und Dogmengeschichte. (cbr)