Theologe: Kein Verständnis für Verstöße gegen Karfreitag-Tanzverbot
Der evangelische Theologe Bertold Höcker hat das am Karfreitag in Deutschland geltende Tanzverbot verteidigt. Aus seiner Sicht seien das Tanzverbot und der Karfreitag als Feiertag "der letzte gesamtgesellschaftliche Konsens, wenigstens an einem Tag im Jahr innezuhalten", sagte Höcker am Donnerstag in einem RBB-Interview. Er glaube, dass sich die Gesellschaft keinen Gefallen tue, "wenn wir die letzten Reste gemeinsamer Trauer abräumen – zugunsten von: Es hält halt jeder, wie er will – und wenn man Karfreitag eben tanzen will, will man tanzen". Für Menschen, die sich nicht an das Verbot hielten, habe er "keinerlei Verständnis", so Höcker.
Auch die Tatsache, dass Tanzveranstaltungen während der beiden vergangenen Corona-Jahre teilweise monatelang verboten waren, wollte der Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte nicht als Begründung für eine Aufweichung des Tanzverbots gelten lassen. "Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun", so der Theologe. Bei den coronabedingten Einschränkungen sei es um den Schutz innerhalb der Gesellschaft gegangen. Es sei ein Gebot der Nächstenliebe gewesen, das Infektionsrisiko durch das eigene Verhalten nicht zu erhöhen. "Am Karfreitag ist es aber so, dass wir bisher einen gesamtgesellschaftlichen Konsens hatten, an einem Tag im Jahr gemeinschaftlich der Leidenden in der Welt zu gedenken. Und der soll jetzt aufgegeben werden", erklärte Höcker.
Zunehmende Individualisierung als ein Grund für Proteste gegen das Verbot
Als einen Grund für den alljährlichen Protest gegen das Tanzverbot führte der Theologe eine zunehmende Individualisierung in der Gesellschaft an. "Wir haben es auch kirchlich nicht geschafft, der Gesamtgesellschaft deutlich zu machen, wie wichtig kollektive Gedenktage sind und dass es eines gesellschaftlichen Zusammenhaltes bedarf, der durch solche Gedenktage hergestellt wird", sagte Höcker. Es gehe um die Frage, was die Gesellschaft heute noch zusammenhalte: "Da bringt es nichts zu sagen, uns stört das, wir wollen nicht dazu gezwungen werden, am Karfreitag nichts tun zu dürfen."
Am Donnerstagnachmittag sprach sich der Erste Parlamentarische Geschäftsführer und kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, hingegen für eine Abschaffung des Tanzverbots aus. "Die Religionsfreiheit ist ein hart erkämpftes, verfassungsmäßig garantiertes Grund- und Menschenrecht – und sie schließt das Recht auf Freiheit von Religion mit ein", sagte Korte in Berlin. Hinzu komme, dass der Anteil an Kirchenmitgliedern in Deutschland im vergangenen Jahr nach neuesten Hochrechnungen auf unter 50 Prozent gefallen sei.
Linke will gegen "Kulturverbote" an Karfreitag vorgehen
"Respekt und die Achtung von Minderheitenrechten verstehen sich von selbst. Doch es ist nicht vermittelbar, warum sich der Staat im 21. Jahrhundert die Durchsetzung christlicher Sitten- und Moralvorstellungen zur Aufgabe macht", so der Politiker weiter. In ihrer Konsequenz führe "diese mangelnde Trennung von Staat und Kirche" zu Kulturverboten auch für Menschen, die nicht christlichen Glaubens seien. Korte erklärte, dass die Linke prüfe, wie man solche Verbote in Zusammenarbeit mit den für die Feiertagsgesetzgebung zuständigen Ländern beenden und wie zeitgemäße Feiertagsregelungen im Detail aussehen könnten.
Der Karfreitag gehört in Deutschland ebenso wie der Volkstrauertag und der Totensonntag zu den "stillen Tagen". Aus diesem Grund gilt an diesen Feiertagen in allen Bundesländern ein weitgehendes Verbot öffentlicher Sport- und Tanzveranstaltungen; auch die öffentliche Aufführung bestimmter Filme ist untersagt. Während das Verbot am Volkstrauertag und am Totensonntag in allen Bundesländern auf bestimmte Stunden beschränkt ist, gilt das Verbot am Karfreitag in zwölf Bundesländern den ganzen Tag. Seit Jahren wird das Tanzverbot immer stärker in Frage gestellt. (stz)
14.4., 16:30 Uhr: Ergänzt um die Stellungnahme der Linken