Verräter oder tragische Gestalt?

Theologen und Künstler interpretieren Judas immer wieder neu

Veröffentlicht am 15.04.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Judas bietet Stoff zum Nachdenken. War er der niederträchtige Verräter Jesu? Oder war er lange ein loyaler Freund? Die Evangelien sind da sehr widersprüchlich. Moderne Kunstwerke erzählen eine andere Geschichte.

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Er galt als Verräter schlechthin. Begriffe wie "Judas-Lohn" und "Judas-Kuss" sind sprichwörtlich geworden. "Wer war ihr Judas?" titelte im Frühjahr 2005 eine Zeitung, nachdem ein unbekannter SPD-Abgeordneter Heide Simonis seine Stimme bei der Wahl zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein versagte.

Die vier Evangelien zeichnen den Apostel Judas Iskariot, der Jesus verriet, widersprüchlich, aber in zunehmend düsteren Farben. Sie lieferten damit auch eine Blaupause für jahrhundertelangen kirchlichen Antijudaismus. Die alten Bilder haben sich tief eingeprägt: Rembrandt zeigt Judas, wie er seine Silberstücke wegwirft. Dante lässt ihn in seiner "Göttlichen Komödie" in Satans Maul im untersten Kreis der Hölle schmachten.

Und was für Judas galt, wurde auf alle Juden übertragen: Das Klischeebild vom Juden, der schachert und durch unsaubere Machenschaften auffällt, erwies sich als tödliches Erbe für Millionen. Schon Papst Gelasius (492-496) hat diese Beziehung hergestellt, weil "Judas, der Teufelsgehilfe, seinen verruchten Namen dem ganzen Judenvolk vererbt hat".

Historischer Judas kaum rekonstruierbar

Wer der historische Judas wirklich war, lässt sich kaum rekonstruieren. Zu widersprüchlich ist das Bild, das die vier Evangelisten in den 22 Textstellen zeichnen, in denen sie ihn namentlich erwähnen. Einigermaßen sicher ist, dass Judas nicht aus Galiläa stammte, sondern dass der Name auf eine Herkunft aus Judäa deutet. Übereinstimmend berichten die Evangelien auch, dass Jesus ihn fast bis zuletzt im Kreis seiner Apostel behielt.

"Je später ein Evangelium geschrieben wurde, desto negativer das Bild von Judas", hat der Chicagoer Neutestamentler Hans-Josef Klauck festgestellt. Beim ältesten Evangelium nach Markus kommt Judas noch am besten weg: Drei Mal betont Markus, dass Judas "einer der Zwölf" war. Auch gilt er nicht wie bei Lukas als "Verräter", sondern als Werkzeug Gottes. Anders als Matthäus und Johannes unterstellt Markus ihm zudem keine Geldgier als Motiv. Er berichtet auch nichts vom Ende des Judas.

Judaskuss bei der Gefangennahme Christi
Bild: ©picture-alliance/akg-images

Auch in der Kunst wurde Judas lange Zeit sehr düster dargestellt. Dieses Fresko von Giotto di Bondone zeigt die Gefangennahme Christi – und den Judaskuss.

Bei Matthäus erhängt sich der Übeltäter aus Reue; in der Apostelgeschichte bricht sein Leib nach einem Sturz auseinander – ein Zeichen des Strafgerichts Gottes. Am härtesten zeichnet das Johannes-Evangelium den Judas: Er wird als "Sohn des Verderbens" beschrieben, von dem der Teufel Besitz ergreift.

Heutige Theologen, Künstler und Schriftsteller sehen den Apostel mit mehr Wohlwollen. In Walter Jens' 1975 erschienenem Buch "Der Fall Judas" fordert ein verzweifelter Judas seine Rehabilitation: Er sei nicht ein Verräter, sondern ein fester Posten in Gottes Rechnung. Eric-Emmanuel Schmitt macht Judas in seinem 2005 erschienenen Roman "Das Evangelium nach Pilatus" sogar zum Lieblingsjünger. Jesus selbst habe ihn zum Verrat aufgefordert und ihn zum Werkzeug der Erlösung gemacht.

Ein ähnliches Bild zeichnet auch das sogenannte Judas-Evangelium, eine Schrift, die wahrscheinlich Mitte des zweiten Jahrhunderts in einer gnostischen Sekte verfasst wurde, bis in die 1970er Jahre als verschollen galt und bei ihrer Veröffentlichung im Jahr 2006 für Aufsehen sorgte.

Symbol für Antisemiten und Rechtsextremisten

Politisch argumentiert der britische Bestsellerautor Jeffrey Howard Archer in seinem Buch "Das Evangelium nach Judas, von Benjamin Iskariot". Hier liefert Judas Jesus nicht aus Geldgier an die Schergen aus, sondern wegen "enttäuschter messianischer Erwartungen".

Noch weiter geht der Spielfilm "Der Fall Judas" des Regisseurs Rabah Ameur-Zaimeche. Im Werk des französisch-algerischen Filmemachers gibt es gar keinen Verrat: Judas bleibt ein glühender Anhänger des galiläischen Rabbis. Jesus seinerseits dankt seinem "Bruder", als Judas den nach 40 Fastentagen völlig entkräfteten Freund auf den Schultern aus der öden Steinwüste zum Jordan schleppt.

Für Antisemiten und Rechtsextremisten ist die Judas-Figur trotz allem ein willkommenes Symbol. Etwa für den österreichischen Rechtsextremisten Benjamin H., der auf seiner Website "Judas Watch" zwischen 2016 und 2020 Politiker, Journalisten, Geistliche und Wissenschaftler auflistete, die er als "Verräter der Weißen Rasse" anprangerte. Kürzlich hat ihn ein Wiener Gericht zu vier Jahren Haft wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt.

Von Christoph Arens (KNA)