Den gerechten Frieden als Ziel
Frage: Herr Bischof Overbeck, Bundespräsident Joachim Gauck hat eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt gefordert. Bei der Verteidigung von Menschenrechten könne dies auch den Einsatz von Waffen einschließen. Wie stehen Sie dazu?
Overbeck: Die Deutschen tun sich seit Jahrzehnten schwer damit, dass sie eine größere internationale Verantwortung haben. Das bezieht die Außen-, aber auch die Sicherheitspolitik ein. Wir können uns diese Herausforderung nicht auswählen, wir müssen uns ihr stellen.
Frage: Deutschland ist derzeit an 15 internationalen Einsätzen beteiligt. Überfordert dies die Militärseelsorge ?
Overbeck: Wir müssen Prioritäten setzen. Bei schwierigen Einsätzen wie in Afghanistan wollen wir stets präsent sein. Angesichts des Priestermangels setzen wir auch vermehrt Pastoralreferenten ein. In jedem Fall wird die Kirche weiterhin in der Bundeswehr ihren Dienst anbieten.
Frage: Verändert sich die Seelsorge in einem zunehmend säkularen Umfeld?
Overbeck: Das Interesse an der Seelsorge ist ungebrochen. Gerade im Einsatz suchen viele Soldaten nach einer menschlichen Begleitung, ganz unabhängig von ihrer kirchlichen oder religiösen Bindung, zumal die Seelsorger außerhalb der hierarchischen Struktur der Bundeswehr stehen. Allerdings verlangt das veränderte Umfeld durchaus eine entsprechend breitere Ausbildung der Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Frage: Die Bundeswehr und die Nato stehen mit dem Phänomen des islamistischen Terrorismus und zerfallender Staaten vor neuen Herausforderungen. Verlangt dies ein Überdenken der christlichen Friedensethik?
Overbeck: Die Herausforderungen sind so komplex, dass wir in den klassischen Kategorien eines Kriegsgeschehens weder denken noch handeln können. Das gilt nicht nur für die Verteidigung gegen Angriffe, sondern auch, wenn etwa Menschen wie im Irak gezielt ausgehungert werden. Hier greift das Konzept der "Responsibility to protect", der Schutzverantwortung.
Frage: Dieses Konzept betont noch stärker als das der humanitären Intervention die Pflicht zum Eingreifen.
Overbeck: Ja, es gibt eine Pflicht, menschliches Leben zu schützen und alles zu tun, damit Menschen in Würde leben können. Das ist das Grundprinzip, aus dem sich entsprechende Pflichten ableiten. Dabei gilt: Gewaltanwendung darf immer nur das äußerste Mittel sein und nur unter sehr strengen Bedingungen angewandt werden.
Frage: Welche Kriterien sind dabei zu beachten?
Overbeck: Zunächst müssen alle anderen Möglichkeiten der Konfliktlösung ausgeschöpft sein, ferner darf nur so viel Gewalt angewendet werden, wie unbedingt nötig ist, und es gilt das Prinzip des geringeren Übels. Bei der Frage nach Waffenexporten in Krisenregionen gilt vor allem: Bedenke das Ende. Wir müssen einkalkulieren, dass diese Waffen anderweitig eingesetzt werden können. Dies führt in ein Dilemma. Nichts zu tun, ist aber auch keine Option.
Frage: Stößt hier die Ethik an Grenzen?
Overbeck: Jeder, der ethisch handelt, versucht das Gute zu vollbringen. Es gibt aber Situationen, in denen man nur zwischen zwei Übeln wählen kann. In einer solchen Situation stehen Politiker, die für Waffenlieferungen sind, um der brutalen Gewaltanwendung der IS ein Ende zu setzen.
Frage: Was sagt die Friedensethik dabei dem Einzelnen?
Overbeck: Es gibt eine persönliche Letztverantwortung. Doch steht die Person dabei nicht alleine. Hier muss die Ethik und Theologie Kriterien für ein vernünftig verantwortbares Handeln formulieren. Es bleibt also die Instanz des unhintergehbaren Gewissens, das aber ein geformtes Gewissen sein muss.
Frage: Treten Politiker und Militärs hier auch an Sie heran?
Overbeck: Bei allen meinen Gesprächen in den vergangenen Wochen gab es eine große Nachfrage nach Orientierung. Ich versuche dabei den Raum für eine verantwortliche Entscheidung zu öffnen. Auch das gehört zur Seelsorge: zu intellektuell redlich verantworteten Entscheidungen zu verhelfen.
Frage: Neben den aktuellen Herausforderungen gibt es seit längerem die Frage der Ausstattung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen. Wie ist hier der Diskussionstand?
Overbeck: Die Drohnen haben den Vorteil, präzise zu sein und können helfen, Opfer zu vermeiden. Dennoch gibt es einige Punkte zu klären. Auch eine Drohne wird weiterhin von einem Menschen bedient. Und dieser muss das Handeln vor seinem Gewissen verantworten. Ferner muss in jedem Fall das Völkerrecht geachtet werden. Zudem kann der Einsatz die Bevölkerung terrorisieren. Auch das muss man mitbedenken. Bei Abwägung aller Fragen kann sich der Einsatz von Kampfdrohnen aber in bestimmen Situationen als das geringere Übel erweisen.
Frage: Die Evangelische Kirche hat erstmals einen hauptamtlichen Militärbischof. Wäre das auch ein Modell für die katholische Kirche?
Overbeck: Ich bin gut beschäftigt, aber nicht überfordert. Meine Ämter lassen sich gut miteinander vereinbaren. Wir bleiben bei der bewährten Form.
Frage: Wie steht es um die ökumenische Zusammenarbeit bei Fragen der Friedensethik - hier reichen Positionen von Margot Käßmann, die Costa Rica für Deutschland als Vorbild ansieht, bis zur Befürwortung der Rüstungsexporte in Krisengebiete?
Overbeck: Ausgangspunkt muss auch hier der unverstellte Blick auf die Wirklichkeit sein. Dazu gehört es, sich nicht nach Costa Rica zu verflüchtigen. Wir leben leider in einer von Konflikten geprägten Welt, die es gerade von Deutschland verlangt, Verantwortung zu übernehmen. Maßstab und Ziel muss stets ein gerechter Friede sein. Das kann als "ultima ratio" auch die Anwendung von Gewalt verlangen.
Das Interview führte Christoph Scholz (KNA)