Funde könnten neues Licht auf "braunen Bischof" werfen

Jüdische Dankschreiben an umstrittenen Anima-Rektor Hudal entdeckt

Veröffentlicht am 26.04.2022 um 15:20 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Wegen seiner Fluchthilfe für Nazis nach Kriegsende und einer geistigen Nähe zum Nationalsozialismus gilt er als "brauner Bischof": Doch neue Archivfunde zeichnen ein komplexeres Bild des früheren Anima-Rektors Alois Hudal.

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Beinahe 60 Jahre nach seinem Tod werfen Forschungen neues Licht auf die Geschichte des umstrittenen katholischen Bischofs Alois Hudal (1885-1963). Das deutschsprachige Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima in Rom schloss am Dienstag mit dem US Holocaust Memorial Museum in Washington ein Kooperationsabkommen. Ziel ist die Digitalisierung von 98 Kisten privater und beruflicher Korrespondenz des Bischofs sowie die weitere Erforschung der Dokumente. In drei bis vier Monaten sollen rund 100.000 Scans in Washington und Rom für Forscher aus aller Welt zugänglich sein. Der aus dem österreichischen Graz stammende Hudal war von 1937 bis 1952 Rektor der Anima.

Unter den Dokumenten finden sich nach ersten Erkenntnissen auch Schriftstücke, die ein komplexeres Bild des als "braunen Bischof" bezeichneten Hudal zeichnen; darunter Dankesschreiben jüdischer Personen, denen er offenbar half. Sowie offen einsehbare Gästebucheinträge aus der Zeit, wonach Juden und Antifaschisten im Priesterkolleg aufgenommen wurden. Sie sei sehr überrascht gewesen über diese Fundstücke, sagte die US-Historikerin Suzanne Brown-Fleming. Aber es sei zu früh für Schlussfolgerungen. Vielmehr brauche es eine gründliche Erforschung "Seite für Seite", so die Leiterin des Internationalen Forschungsprogramms im Museum, die vorrangig zum Vatikan und dem Holocaust forscht.

"Dieses Archiv ist die Erinnerung unseres Hauses", sagte Anima-Rektor Michael Max. Auch wenn das Erinnern bei dunklen Seiten manchmal schwer falle. Mit der Kooperation könne das Archiv der Anima nun mit Archiven weltweit vernetzt werden. "Ein Archiv ist ein Gedächtnis, viele Archive werden zu einem Gewissen", so Max. Er hoffe, dass durch die historische Aufarbeitung das Gewissen reiner werde und die Zukunftshandlungen besser würden.

Hilfe für Nazis nach Kriegsende

Hudal half Nazis nach Kriegsende bei der Flucht aus Europa. Eine geistige Nähe zum Nationalsozialismus wird ihm ebenfalls zugeschrieben. Mit anderen organisierte er die sogenannte Rattenlinie, auf der zahlreiche NS-Angehörige und Kriegsverbrecher über Italien nach Südamerika entkommen konnten. Hudal begründete dies als karitativen Akt für politisch Verfolgte.

Unter anderen half er, wie weitere Archivfunde zeigen, dem österreichischen SS-Führer Otto Wächter (1901-1949). Dieser versteckte sich bis zu seinem Tod mehrere Monate in Rom, war aber wohl nie persönlich im Priesterkolleg. Hudal wusste, wem er half, so Brown-Fleming. Es sei aber denkbar, dass er in Anbetracht der jahrhundertelangen kritischen Haltung der Kirche gegenüber Juden vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) sich keiner Schuld bewusst gewesen sei.

Wegen seines Engagements für Kriegsverbrecher soll der Österreicher jedoch vom Vatikan gedrängt worden sein, als Rektor des Priesterkollegs zurückzutreten. Hudal war mit Eugenio Pacelli bekannt, dem späteren Papst Pius XII. (1939-1958), der ihn 1933 zum Bischof weihte. Mitarbeiter des Holocaust Memorial Museum in Washington sind seit März 2020 auch mit Recherchen in den Vatikanarchiven zum Pontifikat Pius XII. beschäftigt. Ohne die kirchlichen Archive bleibe das Verständnis des Holocaust unvollständig, so Brown-Fleming. (KNA)