Parabeln, Beispielerzählungen und Co. wollen Reich Gottes vermitteln

Die Gleichnisse Jesu: Lebensverändernde Erzählungen

Veröffentlicht am 01.05.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der verlorene Sohn, der barmherzige Samariter oder der Schatz im Acker: die Gleichnisse Jesu gehören zu den eindrücklichsten Erzählungen des Neuen Testaments. Doch warum sprach Jesus in Gleichnissen – und was unterscheidet sie von Parabeln? Diese Fragen führen ins Zentrum der Verkündigung Jesu.

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Die Gleichnisse Jesu gehören zu den bekanntesten Texten des Neuen Testaments – und das nicht ohne Grund: Denn wohl keine andere biblische Erzählung drückt die Liebe Gottes zu jedem Menschen auf eine derart berührende Weise aus, wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Lukasevangelium. Das Gleichnis vom Senfkorn wiederum beschreibt, wie Jesus sich das Himmelreich vorstellt: auf den ersten Blick klein und unscheinbar, aber wenn man es wachsen lässt, wird es größer als alles andere. Das inzwischen klassische Neue Geistliche Lied "Kleines Senfkorn Hoffnung" hat diesem Vergleich Jesu ein musikalisches Denkmal gesetzt. Viele biblische Gleichnisse sind zudem wegen ihrer Eindrücklichkeit in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, wie das durch ein Nadelöhr gehende Kamel oder das sprichwörtliche Licht, das man nicht unter einen Scheffel stellen sollte.

Jesus benutzte Gleichnisse, um zu vermitteln, was er unter dem Reich Gottes verstand und seine Zuhörer dazu zu motivieren, seine Lehre zu befolgen. Dabei bezog er sich in der Regel direkt auf die Lebenswelt seiner Adressaten: Oft ist in den Gleichnissen Jesu daher vom Ackerbau, vom Fischfang, dem Haushalt oder familiären Strukturen die Rede. Manche Gleichnisse, wie das von der verlorenen Drachme (Lk 15, 8-10), sind bewusst in der Lebenswelt von Frauen angesiedelt. Auf diese Weise konnte Jesus seine Zuhörer mit einem konkreten Thema aus ihrem Alltag ansprechen und ihnen so emotional vermitteln, worum es ihm geht. Doch der Zimmermann aus Nazareth hat die Bildsprache der Gleichnisse nicht erfunden. Schon Aristoteles kennt als Grundform eines Gleichnisses den Vergleich. Er sieht in ihm einen Sonderfall der Metapher, also einer Redeweise, bei der ein Wort aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird.

Verschiedene Unterformen der Gleichnisse

Fundamental für das Verständnis von Gleichnissen ist aus Sicht der Literaturwissenschaft die Unterscheidung zwischen den Ebenen des Gesagten und des Gemeinten. Beide beziehen sich aufeinander und berühren sich im Moment des Vergleichs. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Gleichnis vom Hausbau, das im Matthäus- und im Lukasevangelium überliefert ist. In ihm geht es auf der Sachebene um einen Mann, der sein Haus auf einem soliden Fundament baut, sodass es auch Wasserfluten unbeschadet übersteht. Jesus meint mit dem Fundament jedoch seine Lehre, auf die seine Jünger ihr Leben aufbauen sollen, damit es gelingt. Gleich zu Beginn des Gleichnisses spricht er diese Intention aus und macht somit den Berührungspunkt beider Ebenen sichtbar, um den Sinn des Gleichnisses zu verdeutlichen. Da der Verfasser des Matthäusevangeliums das Gleichnis vom Hausbau an das Ende der Bergpredigt gesetzt hat, erhält es als Abschluss dieser gebündelten Verkündigung Jesu einen besonderen Stellenwert.

Bei genauerer Betrachtung der Gleichnisse Jesu lässt sich feststellen, dass sie sich in verschiedene Unterformen einteilen lassen. So bezeichnete der evangelische Neutestamentler Adolf Jülicher im 19. Jahrhundert Gleichnisse im engeren Sinn als "besprechend", für die die Schilderung eines alltäglichen oder eines Naturvorgangs typisch ist. Kennzeichnend für diese strenge Definition eines Gleichnisses sind daher die Formulierungen "immer, wenn" und "in der Regel". Es will unmittelbar verständlich sein und die Gesetzmäßigkeit des Reiches Gottes vermitteln. Daher ist es im Präsens verfasst. Eine dem Gleichnis eng verwandte Textform ist die Parabel. In ihr geht es meist um ethische Fragen, die anhand eines interessanten Einzelfalls erläutert werden. Die Parabel erzählt eine frei erfundene, aber doch realistische Geschichte, die die Möglichkeit zu einer Interpretation bietet. Meist gibt es auch eine erzählerische Pointe, die den Zuhörern in Erinnerung bleibt. So sind etwa die bekannten Gleichnisse vom verlorenen Sohn oder von den Arbeitern im Weinberg aus Sicht der Bibelwissenschaft Parabeln.

Bild: ©KNA

Der arme Lazarus erhält nichts vom Reichtum des wohlhabenden Mannes ab. Diese Beispielerzählung aus dem Lukasevangelium will die Zuhörer zu größerer Nächstenliebe bewegen.

Eine Sonderform der Parabel bilden vier Gleichnisse im Lukasevangelium, die als Beispielerzählungen bezeichnet werden. Zu ihnen zählen etwa das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-37) oder die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31). Im Unterschied zur Parabel sind die Beispielerzählungen konkreter und kommen schneller "zur Sache": Historische Gruppen werden namentlich erwähnt und theologische Zusammenhänge genannt. Sie wollen die Zuhörer zur Nachahmung des in der Erzählung beschriebenen Verhaltens bewegen – oder im Falle eines Negativbeispiels zu dessen Vermeidung.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die theologische Forschung zu den Gleichnissen Jesu von dieser schematischen Einteilung ein Stück weit gelöst. Die Gleichnisse werden nun auch als rhetorische Kunstwerke begriffen, die eine vielschichtige Leserlenkung aufweisen. Es ist zudem anerkannt, dass einige Gleichnisse Jesu allegorische Elemente besitzen, wie etwa die Erzählung vom vierfachen Ackerfeld, das in allen drei synoptischen Evangelien überliefert ist. Die Geschichte, in der ein Sämann sein Saatgut auf verschiedenen Untergrund streut und es dort unterschiedliche oder keine Frucht bringt, wird von Jesus selbst als verschlüsselte Rede gedeutet, die sich auf das Reich Gottes und den Glauben bezieht.

Die "Ich bin"-Worte Jesu im Johannesevangelium

Auch mit Blick auf die Gleichnisse im Neuen Testament nimmt das Johannesevangelium eine Sonderstellung ein. Zwar finden sich dort keine Gleichniserzählungen im engeren Sinn, wohl aber Bildreden, die die Sendung Jesu erläutern: die berühmten "Ich bin"-Worte Jesu. Mit seinen Selbstaussagen, wie etwa "Ich bin das Brot des Lebens" oder "Ich bin die Tür", offenbart Jesus sein Wesen. Das verwendete Bild ist dabei ein konkreter Gegenstand, eine Person oder ein Sachverhalt. Die "Ich bin"-Worte erfüllen bei Johannes eine ähnliche Funktion wie die Gleichnisse in den anderen Evangelien: Sie erklären, dass Jesus der Messias und das Reich Gottes angebrochen ist.

Das zeigt, die Bedeutung der Gleichnisse kann nicht auf das Himmelreich beschränkt werden. Sie gehen als wesentlicher Bestandteil der Verkündigung Jesu zwar oft auf die Hauptbotschaft Jesu vom Kommen des Gottesreiches ein – besonders im Matthäusevangelium. Doch meist sind neben den inhaltlichen Aussagen zur Herrschaft Gottes auch Klärungen zur Person Jesu und seiner Vollmacht in den Gleichnissen vorhanden. Außerdem sprechen sie von der Endzeit, die sich an das Auftreten des Gottessohnes auf Erden anschließt, wie etwa im Gleichnis von den bösen Winzern, die den Sohn des Gutsbesitzers erschlagen. Alle diese Aspekte bündeln sich im Grundanliegen der Gleichnisrede Jesu: Sie will die Zuhörer für die Lehre Jesu begeistern und ihr Leben dadurch zu einer Veränderung bringen.

Von Roland Müller

Video-Serie zu Gleichnissen

"Was könnte Jesus damit gemeint haben?": Dieser Frage geht die neue katholisch.de-Serie "Kennst du das Gleichnis…?" nach. Der barmherzige Vater, das verlorene Schaf oder das Gleichnis vom Schatz im Acker und der Perle: Auf verständliche Art und Weise werden Gleichnisse aus dem Neuen Testament erklärt – und was sie bedeuten.