Wie weit geht die Selbstbestimmung?
Man könne aber "das zukommende Recht auf Selbstbestimmung nicht auf das eigene Leben beziehen", erklärte so der Vorsitzende der Glaubenskommission am Donnerstag während der Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda.
Radikalisierte Forderung nach Selbstbestimmung
Weil der Bundestag im nächsten Jahr über eine Regelung der Beihilfe beim Suizid entscheiden wird, "wollen wir auf das Thema aufmerksam machen", erklärte Lehmann. Aktuell ist in Deutschland lediglich die aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen – verboten. Die Beihilfe zum Suizid, zum Beispiel durch das Besorgen von Medikamenten, ist dagegen nicht strafbar.
Kardinal Karl Lehmann über die Chancen der Pallativmedizin
Die Diskussionen über "aktive Sterbehilfe" und den "assistierten Suizid" gingen von der radikalisierten Forderung nach Selbstbestimmung aus, sagte Lehmann. "Wie in anderen Bereichen der Bioethik ist dies eine ganz grundlegende Frage, ob der Mensch wirklich nach dem Muster einer absoluten Autonomie verstanden werden kann." Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin etwa habe Suizid als ein "Unrecht an der Gemeinschaft" bezeichnet.
Kirche lehnt Suizidbeihilfe ab
"Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle Formen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung aus", bekärftigte Lehmann. Hilfe beim Sterben durch die sogenannte passive Sterbehilfe sei hingegen ethisch vertretbar. Zur passiven Sterbehilfe gehört unter anderem das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen. Denn Menschen hätten auch Angst vor einer "Übertherapie", die oft eher ökonomisch statt ethisch oder medizinisch motiviert sei, so Lehmann.
Kritisch sieht Lehmann einen im vergangenen Monat vorgelegten Gesetzesentwurf von vier bundesweit bekannten Medizinern und Ethikern. Dieser sieht zwar ein grundsätzliches Verbot der Sterbehilfe vor, will sie aber Ärzten und nahestehende Personen unter strengen Bedingungen erlauben.
Der Begriff "nahstehende Personen" sei ihm viel zu unbestimmt, erklärte der Kardinal. "Das können Verwandte sein, begrenzt sich aber nicht darauf." In den Augen Lehmanns verbergen sich hinter dem Entwurf zwar gute Absichten, da er vor Missbrauch beim assistierten Suizid schützen wolle. Doch mache er auch den Anschein, dass "der Suizid durchaus eine tolerable Option ist". So könnten die Ausnahmefälle, die der Gesetzentwurf im Auge hatte, schnell zur Regel werden.
Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hatte zu Monatsbeginn in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" betont, dass selbst eng umgrenzte Regelungen im Ergebnis darauf hinausliefen, " ein angeblich 'menschenwürdiges Töten ' zu organisieren". Ein ausdrückliches Verbot aller Formen der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung sei "überfällig".
Lehmann: Sterbende brauchen Begleitung
Wohin eine liberale Gesetzgebung und ungenaue Formulierungen führen können, zeigt sich am Beispiel Belgien. Dort wurde in den vergangenen Jahren die "aktive Sterbehilfe" Schritt für Schritt ausgeweitet . Gedacht war die gesetzliche Regelung ursprünglich nur für volljährige, einwilligungsfähige Patienten in medizinisch aussichtsloser Lage. Nachdem 2012 dann zwei gehörlose Brüder, die ihre Erblindung befürchteten, Sterbehilfe erhalten haben, wurde das Gesetz im vergangenen Jahr auch auf Minderjährige ausgeweitet. Vor wenigen Tagen hat dann der Sexualstraftäter Frank Van Den Bleeken das Recht auf Sterbehilfe durchgesetzt , weil er keine psychologische Hilfe im Gefängnis erhalten kann.
Statt aktiver Sterbehilfe benötigten Menschen am Lebensende vor allem Begleitung, sagte Lehmann. Angebote von Hospizen und die Palliativmedizin müssten ausgebaut werden. "Wer alt, krank oder hilflos ist, möchte nicht alleingelassen werden", sagte der Kardinal. Aus christlicher Sicht sei das Leben eines jeden Menschen – gerade auch in der Nähe des Todes – bis zuletzt schützenswert. Lehmann berichtete aus seiner eigenen Erfahrung mit Hospizbewohnern: "Viele wollen nach Aufnahme nicht mehr auf Tod warten. Aber wenn die Schmerzen sediert werden und man mit ihnen spricht, dann verschwindet dieser Wunsch."