Berufungspastoral: "Jetzt braucht es die Phase des Ausprobierens"
Der Jesuit Clemens Blattert ist seit vergangenem Sommer Leiter des von Freiburg nach Frankfurt umgezogenen Zentrums für Berufungspastoral (ZfB) der Deutschen Bischofskonferenz. Zum Weltgebetstag um geistliche Berufungen an diesem Sonntag sprach katholisch.de mit ihm über die Herausforderungen und Aufgaben der Berufungspastoral angesichts der Umbrüche, vor denen die Kirche steht. Blattert betont dabei unter anderem, dass künftig eine Berufungspastoral der Berufenen immer wichtiger werde.
Frage: Herr Pater Blattert, die Kirche steckt hierzulande in einem großen Transformationsprozess: Viele Menschen zeigen kein Interesse mehr an Glaubensthemen, die Austritte steigen immer weiter an, die personellen Ressourcen der Kirche werden knapper. Welche Auswirkungen hat das auf die Berufungspastoral?
Blattert: Diese Veränderungen lösen bei denen, die in der Berufungspastoral sind, vor allem Druck aus. Überall werden es weniger Leute, man ist aber für die Gewinnung neuer Leute da. Sich gegen diesen Abwärtstrend zu stemmen, gelingt aber nicht. Diesen Trend spüren aber alle in der Kirche – und da kann es sein, dass bewusst oder unbewusst der Druck auf die in der Berufungspastoral Tätigen weitergegeben wird. Das ist aber eine Überforderung, und als engagierte Person für Berufungspastoral damit gut umzugehen, ist eine echte Herausforderung. Die Veränderungen bedeuten aber, dass auch Berufungspastoral sich fragen muss, wie sie sich sinnvoll weiterentwickeln kann. Hier ist eine gemeinsame Suche nötig.
Frage: Wo liegen in dieser Situation die wichtigsten Aufgaben der Berufungspastoral?
Blattert: Das Wichtigste scheint mir zu sein, sich die Situation realistisch vor Augen zu führen, nichts zu beschönigen und wahrzunehmen, was es in den Beteiligten auslöst. Die Veränderungen nehmen wir ja nicht einfach emotionslos wahr, sondern da ist Trauer, das ist Frust, da ist Verunsicherung, da ist Sorge, und vieles mehr. Das gilt es so wahrzunehmen, wie es ist. Dieser Transformationsprozess in der Kirche überfordert alle. Im Letzten kann ihn niemand steuern. Aber wir können versuchen, positive Energie hineinzugeben, um dann zu schauen, was sich daraus ergibt. Diese positive Energie wird frei, wenn ich alles, was in mir und um mich herum da ist, einbringen darf.
Frage: An welchen Stellen soll die Berufungspastoral dann konkret ansetzen?
Blattert: Zum einen bei den jungen Menschen selbst: sie in ihrer Suche nach einem gelingenden Leben begleiten. Meine Hypothese ist: Wenn man bei jungen Menschen Berufung in dieser Weite fördert, dann werden auch Leute Lust bekommen, sich in einem geistlichen Beruf für den Glauben einzusetzen. Zum anderen glaube ich, dass es die Berufungspastoral der Berufenen braucht. Viele kirchliche Mitarbeiten sind ungekannten Belastungen ausgesetzt. Sie gilt es zu unterstützten, dass sie Kraft schöpfen können, den Bezug zur eigenen Berufung als Motivationsquelle nicht verlieren und eben nicht unter den ganzen Lasten erdrückt werden.
Frage: Welche Konzepte braucht es dafür im Blick auf junge Leute?
Blattert: Viele probieren da Unterschiedliches aus. Ich halte es für falsch, gerade jetzt in dieser Umbruchszeit mit einem Patentrezept um die Ecke zu kommen. Es gibt so viele verschiedene Menschen, das braucht Diversität in den Zugängen. Jetzt braucht es die Phase des Ausprobierens: Wo können wir experimentieren? Was wächst? Wo entsteht Begeisterung für Kirche und Evangelium? Man muss Unterschiedlichkeit zulassen, um zu sehen, was in die Zukunft hineinträgt.
Frage: Was wäre aus Ihrer Sicht zukunftsträchtig?
Blattert: Alles, was in der einzelnen Person, im Miteinander und in der Beziehung zu Gott auf Vertrauen und Freiheit setzt. Das kann man nicht kontrollieren und beherrschen. Das setzt in allen die Bereitschaft zum Suchen, zum Ungewissen voraus. Aber ich glaube, anders wird es nicht gehen.
Frage: Sie sprechen von Begleitung in der Berufungspastoral. Was meinen Sie damit genau?
Blattert: Unter Begleitung verstehe ich, suchenden Menschen einen Raum zu eröffnen, wo sie zu sich kommen können, sie zu befähigen, im Bewusstsein um das, was man will und was man nicht will, zu wachsen, und in einer Atmosphäre der Freiheit Gott besser kennenlernen und im Vertrauen zu ihm wachsen können. Ich erlebe, dass dann Menschen ihren Platz, ihre Zugehörigkeit und ihre Leidenschaft finden.
Frage: Muss auch die Kirche attraktiver werden? Und wie wird sie das?
Blattert: Ich glaube, dort, wo die Kirche Lebendigkeit ausstrahlt, ist sie anziehend. Und auch da scheue ich mich vor Patentrezepten. Lebendigkeit gibt es dort, wo Vertrauen gelebt wird im Miteinander, wo es eine Offenheit für Gott gibt und eine ehrliche Suche ohne generalistische Verurteilungen. Das wird entscheidend sein für die Zukunft der Kirche. Und solche Orte gibt es viele. Es gibt noch Pfarreien, die ganz toll funktionieren, das sind lebendige Orte, die viele Menschen anziehen. Aber es gibt auch Pfarreien die tot sind. Es gibt Verbände, in denen lebendige Glaubensgemeinschaft gelebt wird. Da sagen einige, ohne diese Zeiten, die sie da erlebt haben, wären sie schon längst nicht mehr in der Kirche. Es gibt auch geistliche Orte, die lebendig sind – und andere, die tot sind. Wir müssen suchen, was zu mehr Lebendigkeit führt. Denn da lockt Gott.
„Ich glaube, dort, wo die Kirche Lebendigkeit ausstrahlt, ist sie anziehend. Und auch da scheue ich mich vor Patentrezepten. Lebendigkeit gibt es dort, wo Vertrauen gelebt wird im Miteinander, wo es eine Offenheit für Gott gibt und eine ehrliche Suche ohne generalistische Verurteilungen. Das wird entscheidend sein für die Zukunft der Kirche.“
Frage: Was können und wollen Sie im Zentrum für Berufungspastoral tun, um Menschen bei der Suche nach ihrer Berufung zu unterstützen?
Blattert: Weil wir eben Begleitung als ganz wichtiges Thema ansehen, werden wir einen Ausbildungskurs anbieten. Er heißt "Junge Menschen Geistlich begleiten". Da möchten wir Leuten die Fachkompetenz geben. Da sehen wir eine ganz große Chance. Die Investition in eine geistliche Persönlichkeitsentwicklung, was ja Berufungspastoral ist, ist nie eine Fehlinvestition. Wenn wir Menschen stark machen in ihrer Persönlichkeit, in ihrem Glauben an Gott, in ihrer Gemeinschaftsfähigkeit, dann wird das Evangelium und die Kirche weitergetragen.
Frage: Sie haben von einer "Berufungspastoral der Berufenen" gesprochen. Was wollen Sie dahingehend tun?
Blattert: Wir wollen da kleine Auszeiten anbieten, damit sie wieder zu Kräften zu kommen und Zugang zu ihren Quellen finden. Wir bieten ihnen auch an, einen Blick mit auf ihre Arbeit und Motivation zu werfen: Wo lebt etwas, wo könnte etwas gelingen, wo kann man sich auch mal in die Unsicherheit wagen? Eine Berufungspastoral für Berufene wird wegen der vielen Umbrüche in der Kirche immer wichtiger werden.
Frage: Was sagen Sie Menschen, die eine Berufung spüren, diese aber laut Lehre der Kirche nicht "ausleben" dürfen – Stichwort Frauenweihe?
Blattert: Ich würde sagen: "Du spürst ein Feuer, dich für Gott und sein Reich einzusetzen. Dieses Gespür ist nicht falsch, auch wenn es in der Aufgabe, die du gerne ergreifen möchtest, jetzt nicht geht. Ich kann dir kein Versprechen geben, dass sich daran etwas ändert. Und zugleich möchte ich dich sehr dazu ermutigen, wie du dieses Feuer für Gott und sein Reich auch jetzt schon, mit diesen Grenzen, fruchtbar machen kannst, ohne deinen Wunsch zu verschweigen."
Frage: Hat die Kirche insgesamt das Thema Berufungspastoral gut genug im Blick?
Blattert: Im Sprechen über eine synodale Kirche hat das Thema Berufung meiner Ansicht nach ein großes Potenzial: Traue ich dem anderen zu, egal Bischof, engagierte Frau oder Jugendlicher, dass er oder sie etwas hören kann von dem, wo Gott uns heute für das Vorangehen als Kirche sagen will? Berufung im ureigenen Sinn heißt: hören, wohin Gott uns ruft, wo er uns den Weg zu mehr Leben zeigen will. Berufung könnte dann einen Stil bilden, wie man gemeinsam Kirche sein kann. Ich glaube, das wäre begeisternd und bereichernd für alle.