Christen zwischen Konservatismus und den Rechten
"Ich glaube an Gott und nicht an den Klimawandel" – mit diesem Statement sorgte die stellvertretende AfD-Sprecherin Beatrix von Storch im vergangenen September für Wirbel. Es war ein Schlaglicht darauf, dass im rechten Spektrum das Christentum durchaus eine Rolle spielt. Es gibt eine Gruppe "Christen in der AfD", zudem schickt die Partei auch schonmal eine Grußadresse zum "Marsch für das Leben". Daneben spielte das christliche "Abendland" bei den Pegida-Protesten ab 2015 eine herausgehobene Rolle. Konkurrenz also für die Unionsparteien, die lange Jahre mehr oder weniger das Monopol auf christliche konservative Standpunkte hatten. Doch wo fängt das eine an und hört das andere auf? Und wo sind die Verbindungslinien zwischen Konservatismus, Christentum und den Rechten?
Zunächst zum Konservatismus. Zu bestimmen, was konservativ ist, ist gar nicht so einfach. Denn oft wird der Konservatismus nicht als in sich geschlossenes Theoriegebäude wahrgenommen, sondern beschreibt eher eine reaktive Haltung anderen Theorieangeboten gegenüber, wie es etwa die Historikerin Emily Robinson beschreibt. Es geht also eher um eine vorsichtige Haltung Neuem und eine zugewandte Haltung dem Bestehenden gegenüber. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Manche Konservative wollen bestehende Gesellschaftsstrukturen erhalten, andere die Strukturen verändern, um ihre Wirkungen und die von ihnen vertretenen Werte aufrecht zu erhalten. Welche Werte wiederum schützenswert sind, kann auch unter Konservativen zu Streit führen. Der Begriff sei so schillernd, so der Politikwissenschaftler Stephan Raabe, weil "das Konservative aus sich selbst heraus kein Prinzip hat, das angibt, was jeweils im Fortgang der Zeit konserviert und tradiert werden sollte".
Das hat dazu geführt, dass sich "Konservative" in der Geschichte an ganz unterschiedlichen Orten im politischen Geschehen wiedergefunden haben. Der "Klassische Konservatismus" wandte sich gegen die Ideen der Französischen Revolution ab 1789, Anhänger der "Konservativen Revolution" gegen den Versailler Vertrag 1919 und der "Neokonservatismus" gegen die gesellschaftlichen Öffnungen in den 1960er Jahren.
Überschneidungen zwischen Christlichem und Konservativem
So vielfältig der Konservatismus an sich, so vielfältig ist auch die Haltung von Christinnen und Christen zu seinen Ideen. Dass es zwischen den beiden Konstrukten nahezu naturgegebene Überschneidungen gibt, liegt auf der Hand: Das Christentum ist schließlich darauf ausgelegt, die Frohe Botschaft zu bewahren und weiterzugeben – also in gewisser Weise zu "konservieren". Allerdings strebt die Lehre Jesu auf das Reich Gottes hin, dessen Verwirklichung nicht erst in ferner Zukunft, sondern möglichst schon jetzt angegangen werden soll. "Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch." (Lk 17,20f.) Veränderung im jesuanischen Sinn ist also nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht. Es gibt also Verbindungslinien zu den Konservativen – aber keine automatische Verbindung.
Beim Blick auf die Gegenwart fallen zwei Tendenzen auf: Einerseits standen beim Aufkommen des Neokonservatismus gerade Werte zur Debatte, die beispielsweise im katholischen Milieu fest zur Identität gehörten, wie etwa die Einheit der Kernfamilie. Das lässt Christen bis heute zu den Konservativen tendieren, die ihre Werte durch die Individualisierung der Gesellschaft und deren kulturelle Vielfalt bedroht sehen. Andererseits hat sich durch genau diese Entwicklungen auch der Blick auf das, was konservativ oder rechts ist, verschoben.
Ein Beispiel: Zum christlichen wie konservativen Denken gehört, eine mit der Welt von Gott erschaffene Ordnung anzunehmen. Demnach besteht die Gesellschaft aus heterosexuellen, monogam Lebenden Partnerschaften, die möglichst mehrere Kinder bekommen, um den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern. Respekt, Verantwortung und Tradition sind Werte, die in diesem Zusammenhang gelebt und weitergetragen werden. Am besten geht das natürlich in einer Gesellschaft, in der alle so denken.
Für eine homogene Gesellschaft
Der Philosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde konstatierte in dem nach ihm benannten Diktum, ein freiheitlicher, säkularer Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne. Er könne unter anderem nur bestehen, "wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert". Heute stehen Begriffe wie "Leitkultur" für dieses Denken, dass beispielsweise die deutsche Gesellschaft gewisse Werte teilt. Dementsprechend reserviert reagieren konservative Christen auf Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund oder nicht-heterosexuelle, nicht-binäre, nicht-monogame Partnerschaften. Vor noch einigen Jahrzehnten gehörte auch dazu, Partnerschaften ohne Trauschein suspekt zu finden.
Was nun noch konservativ und was schon rechts ist, ist oft schwer voneinander zu trennen. Böckenfördes Diktum war bis in die 1980er Jahre hinein noch eine konservative Position, die mehrheitsfähig war. Heute wird sie auch von Rechten rezipiert. Das verweist auf einen Mechanismus, der die Unterscheidung schwierig macht: "Rechte nehmen sich oft konservative Motive und verschärfen sie populistisch", sagt der Theologe Martin Fritz, der zu dem Thema geforscht hat.
Dazu ein Beispiel aus ebenjener Ordnungstheologie: Die Frage nach dem Umgang mit dem Thema Gender. Im September 2021 plädierten die CDU-Landesverbände mehrerer Bundesländer dafür, in der Schule keine gendersensiblen Formulierungen mit Sonderzeichen mehr zu nutzen. "Die Leidtragenden einer grammatisch falschen Gender-Sprache sind die Schulkinder, die teils nicht mehr die deutsche Grammatik und die deutschen Rechtschreibregeln lernen, sondern eine ideologische Kunstsprache", hieß es etwa aus dem Hamburger CDU-Verband. Dessen Vorsitzender Christoph Ploß sagte, der Gender-Sprache "liegt ein Weltbild zugrunde, das die Gesellschaft nicht als Ganzes sieht, sondern sie nach Geschlechtern, sexuellen Orientierungen und weiteren Merkmalen in Gruppen einteilt". Hier scheinen schon ein paar konservative Argumentationsmuster durch: Der Blick auf die Gesellschaft als möglichst homogene Einheit, die nach einer bereits bestehenden Ordnung funktioniert. Die Interessen von Minderheiten stehen dagegen zurück.
Vorbehalte gegen Gender-Sprache
Ein ähnliches Argument bringt der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Marc Jongen, in einer Rede im Dezember 2020. In dem Wortbeitrag, in dem es laut seiner Partei um die "irrsinnige Genderideologie" geht, wirft er der Genderforschung vor, sie wolle "heterosexuelle Normalbeziehungen zwischen Männern und Frauen in den Bereich des Unterdrückerischen, Abseitigen rücken, für das man sich eigentlich schämen sollte. Schon die Kleinsten im Kindergarten sollen an ihrer geschlechtlichen Identität irre gemacht werden, ein rigides Sprachsystem soll das Sprechen und Denken der Menschen gendergerecht machen". Er nutzt also das Motiv der homogenen Gesellschaft, verschärft es jedoch inhaltlich wie sprachlich und wendet sich so gegen die Genderforschung als Ganzes. Damit hat er den Schritt vom konservativen ins rechte Spektrum gemacht. Ähnlich arbeiten beispielsweise der Bremer Pastor Olaf Latzel, wenn er Homosexualität an sich als "Degenerationsformen von Gesellschaft" bezeichnet, oder die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst, die mit Blick auf liberalere Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch von "gefühlkaltem Tötungswahn" spricht.
Diese Verabsolutierung von Standpunkten beobachtet Fritz generell bei Rechten. Sie ließen oft keine Diskussionen zu – selbst bei Lücken in der eigenen Argumentation. Wenn beispielsweise gesamtgesellschaftlich traditionelle Geschlechterrollen verteidigt werden, gegenüber Muslimen dagegen deren angeblich mangelnde Umsetzung von Frauenrechten moniert wird. Ebenso ambivalent ist die Positionierung rechter Christen gegenüber anerkannten Autoritäten, so Fritz: Benedikt XVI. werde gerne zitiert. Er hatte unter anderem gesagt, dass es zur "Physiognomie der 68er Revolution" gehört habe, auch Pädophilie zu erlauben. Ein Papst Franziskus, der die restriktive Migrationspolitik der Europäischen Union anprangert, dagegen weniger. "Es wird eine objektive Tradition und eine objektive Hierarchie mit objektiver Autorität behauptet – aber dann wird doch zugleich von den Traditionalisten nach subjektiven ideologischen Präferenzen eine subjektive Auswahl getroffen, welchem Papst nun wirklich Autorität zukommt und welchem nicht", konstatiert Fritz. "Am Ende verfährt der Traditionalismus ganz eklektisch und damit eben subjektivistisch."
Traditionalisten tendieren nach rechts
Es gibt also konservative christliche Positionen, die auch von Rechten vereinnahmt werden können. Das betrifft nicht zuletzt jene Christen, die auch im Glauben traditionalistischen Strömungen anhängen, sagt Fritz: "Empirisch gesehen ist das so, da gibt es Wahlverwandtschaften. Das ist aber keine Zwangsläufigkeit." Es gab und gibt schon immer Gegenbeispiele: In den 1950er Jahren träumte etwa der linkskatholische Publizist Walter Dirks von einer Art christlichen Arbeiterpartei und bemängelte die Unionsparteien als Sammlungsort der alten Eliten. Genauso tendieren junge Christinnen und Christen heutzutage aus religiösen Gründen eher zu den Grünen als zur CDU – dies durchaus im Einklang mit biblischen Forderungen nach der Bewahrung der Schöpfung.
Die Individualisierung in der Gesellschaft sorgt also auch bei gläubigen Christen dafür, dass ihre politische Verankerung vielfältiger wird. Verbindungen zu den Grünen gehören ebenso dazu wie zu den Rechten. Welche Werte – auch christliche – wann und wie zu verteidigen sind, wird weiterhin für Diskussionen sorgen.