Bitttage vor Christi Himmelfahrt

Feld- und Flurprozessionen: Heidnisch, christlich – modern?

Veröffentlicht am 22.05.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In den Tagen vor Christi Himmelfahrt ziehen viele Gläubige über Fluren und Felder. Sie erbitten den Segen für die Ernte des Jahres. Die Bittprozessionen haben ihren Ursprung jenseits des christlichen Glaubens und werden heute vielerorts neu entdeckt.

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"Der die Früchte der Erde geben, segnen und erhalten wolle", schallt es vielerorts in den Tagen vor Christi Himmelfahrt durch Felder und Fluren. Es ist die Zeit der Bitttage, die in vielen Gegenden mit Flurumgängen und Bittprozessionen begangen werden. In den Wochen, in denen die Natur in voller Blüte steht, richtet sich der Blick an den Bitttagen bereits auf die bevorstehende Ernte: "An Gottes Segen ist alles gelegen", sagt man sprichwörtlich. Und so ist es das Anliegen, Gottes Segen für die Felder und Fluren zu erbitten, das in vielen Flurumgängen zum Tragen kommt.

Die Zeit der Bitttage beginnt traditionell mit dem Sechsten Sonntag der Osterzeit, der auch den lateinischen Namen "Vocem iucunditatis", was sich auf den Vers aus dem Propheten Jesaja bezieht: "Verkündet es jauchzend, damit man es hört!" (Jes 48,20) Da dieser Sonntag die sogenannten "Bitttage" eröffnet, wird er auch als "Bittsonntag" oder "Rogate" bezeichnet. Die folgenden drei Tage bis zum Fest Christi Himmelfahrt werden traditionell auch als Bitttage gehalten. Infolge der Liturgie- und Kalenderreform, die durch das Zweite Vatikanische Konzil angestoßen wurde, war es Aufgabe der Bischofskonferenzen, einen Termin für die Bitttage festzulegen. Im deutschen Sprachraum waren es besonders die Tage vor Christi Himmelfahrt, die seit alters her mit Prozessionen und Flurumgängen gestaltet wurden. Dennoch eröffnet auch das Kirchenrecht die Möglichkeit, dass die Diözesanbischöfe für ihre Diözesen "im Einzelfall" besondere Tage festlegen, die dem bittenden Gebet und der Buße gewidmet sind.

Die Allerheiligenlitanei als Bittgebet

Die Bittprozessionen, die vielerorts an diesen Tagen stattfinden, stehen ganz im Zeichen des fürbittenden Gebetes. Schon im Alten Testament hat ein solches Bittgebet immer sehr viel mit Buße zu tun: Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der König aus Ninive, der in "Sack und Asche" geht, als der Prophet Jona die bevorstehende Zerstörung der Stadt ankündigt (vgl. Jona 3,6). Bitten und Buße sind sehr eng miteinander verbunden, was gerade auch in der österlichen Bußzeit einen sehr markanten Ausdruck findet. Deswegen waren auch die Bitttage vor Christi Himmelfahrt eng mit dem Bußgedanken verknüpft; äußeres Zeichen dafür waren die violetten Paramente, die vor der Liturgiereform für diese Tage vorgesehen waren. Dadurch wurde noch ein anderer Gedanke verstärkt: Bitten hat etwas mit Demut zu tun und mit dem Wissen um die eigene Unzulänglichkeit. Bitten meint nicht, Gott etwas zu sagen, was er dann gefälligst herbeizuführen hat. Sondern bitten bedeutet in diesem Zusammenhang, eine Notsituation vor Gott hinzutragen und sich im hoffnungsvollen Gebet an ihn zu wenden, dass es in seiner Macht steht, in dieser Lage einzugreifen.

Ein sehr bekanntes Bittgebet, das traditionell zu diesen Tagen dazugehört, ist die Allerheiligenlitanei. Daher werden die Bitttage in der lateinischen Liturgie auch oft nur als "Litaniae" bezeichnet. Heute ist die Verwendung der Allerheiligenlitanei an den Bitttagen nicht mehr vorgeschrieben, aber sie ist dennoch das große Bittgebet der Kirche, das gerade in diesen Tagen gepflegt werden kann. Die römische Liturgie kannte bis zur Liturgiereform übrigens zwei verschiedene "Litaniae": Die "Litania maior" am 25. April, dem Festtag des heiligen Evangelisten Markus, und die "litaniae minores" an den drei Tagen vor Christi Himmelfahrt. Darüber hinaus gab es schon vor der Liturgiereform immer auch die Möglichkeit, an unterschiedlichen Tagen des Jahres für verschiedene Anliegen zu beten. Das Rituale Romanum bot zum Beispiel Formulare für die Erflehung des Regens oder zur Abwehr von Gewitterschäden. Mancherorts haben sich noch die "Markusprozessionen" erhalten, mit denen die Zeit der Flurumgänge eröffnet wurde. Meist darf ab dem Markustag oder dem Gedenktag des heiligen Georg (23. April) auch der Wettersegen gespendet werden. Bis zum Fest der Kreuzerhöhung am 14. September wird mit ihm "gedeihliches Wetter", das Fernhalten von Blitz, Hagel und Unheil und Segen für Fluren und Felder erfleht.

Bild: ©Daniel Loretto/Fotolia.com

Wenn Ernteausfall durch Gewitterstürme drohte, konnten nur noch göttliche Kräfte helfen.

Mit der Liturgiereform infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde die "litania maior" am 25. April im offiziellen liturgischen Kalender aufgegeben. Die Tradition, sich an diesem Tag zu einer Bittprozession zu versammeln, entstammt schon vorchristlichem Brauchtum. Bereits im Alten Rom war es üblich, an diesem Termin eine Prozession zur Abwehr von Schaden von den Getreidefeldern abzuhalten. Die sogenannten "Robigalia" (vom Lateinischen "rogare" = "bitten") wurden nach der gregorianischen Reform beibehalten, allerdings mit einem christlichen Inhalt gefüllt. Sowohl der Termin als auch der Weg der Prozession wurden aus dem heidnischen Brauchtum übernommen, die Prozession endete nun jedoch in St. Peter. Tatsächlich hat die Bittprozession oder der Flurumgang, der am 25. April stattfindet, ursprünglich mit dem Fest des heiligen Markus gar nichts zu tun.

Auch die "litaniae minores", also die Bitttage vor dem Fest Christi Himmelfahrt, haben ihren Ursprung in einer vorchristlichen Tradition. In Gallien war es üblich, in diesem Zeitraum Flurumgänge zu veranstalten und für eine gute Ernte zu bitten. Die Sorge um das Aufgehen der Saat, das Wachsen und Gedeihen der Früchte und eine reiche Ernte ist ja keine christliche Erfindung. Sondern die Menschen hatten schon immer die Sorge, ob die Nahrung auch ausreichend sein wird – in früheren Zeiten noch viel stärker als das heute der Fall ist. Und die Menschen haben auch schon immer auf übernatürliche Mächte vertraut, daher ist es kaum verwunderlich, dass die Bittprozessionen viel älter sind als unser Christentum. So wird überliefert, erst um das Jahr 500 habe man die paganen gallischen Flurumgänge in eine liturgische Form gebracht. Erst unter Papst Leo III., um das Jahr 800, wurden die gallisch-fränkischen Flurprozessionen in die römische Liturgie übernommen.

Ein neuer Blick auf ein altes Anliegen

Bei dieser Übernahme hat sich jedoch eine Spannung ergeben: Wie schon oben erwähnt, hat das Bitten immer auch mit Buße zu tun. Dies passt allerdings überhaupt nicht zur österlichen Festzeit, in der man sich an den Tagen vor Christi Himmelfahrt noch befindet. Daher hat man schon in der altspanischen Liturgie die Bitttage verschoben und ihnen einen Platz in der Woche nach Pfingsten (also außerhalb der Osterzeit) zugewiesen.

Die Sorge um die Schöpfung, das Interesse an der Natur und die Bitten um eine gute Ernte haben die Menschen seit alters herumgetrieben. Gerade in den vergangenen Jahren, in denen das Thema Klimaschutz immer wichtiger wurde, ist die Schöpfung wieder verstärkt ins Blickfeld geraten. In der Liturgie wird diese Sorge mit den Bittprozessionen an den Bitttagen aufgegriffen. An ihnen bittet man nicht nur um eine gute Ernte, man wird sich vielmehr wieder neu bewusst, dass unsere Schöpfung nicht allein in unserer Hand liegt. Ob die Saat wächst und gedeiht, ob es genug Sonnenschein und Regen gibt, können wir Menschen nur zu einem kleinen Teil beeinflussen. Wir sind und bleiben abhängig, dass Gott für seine Schöpfung sorgt, dass er ihr in Liebe zugewandt bleibt und sie erhält.

Dennoch ist das kein Freibrief für die Menschen: Dem Menschen ist die Sorge für die Schöpfung anvertraut, in dem Maß, in dem er sich für sie einsetzen kann. Und das heißt auch: Gerade an den Bitttagen können sich Menschen ihrer Verantwortung für die Schöpfung neu bewusst werden. Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Auftrag, der alle angeht. Umso wichtiger ist es, entsprechend zu handeln, im Kleinen zu beginnen und damit den je eigenen Beitrag zum Erhalt der Schöpfung zu leisten. Denn auch das gehört zu diesen Bitttagen dazu: Man kann den Segen Gottes für Felder und Fluren nicht erflehen und sich dann gemütlich zurücklehnen. Wer gesegnet ist, der muss selber zum Segen werden, selber aktiv werden, damit Gottes Segen wirken und Früchte tragen kann. Und das gilt auch im Blick auf unsere Schöpfung.

Von Fabian Brand