Neuer DOK-Vorsitzender: "Für mich ist das kein Karriereschritt"
Seit vielen Jahren lebt er in einer kleinen Ordensgemeinschaft in Schwarzenberg in Mittelfranken. Vor gut einem Jahr hat er noch selbst den Boden für den neugegründeten Konvent der Franziskaner-Minoriten in Lage bei Osnabrück verlegt. Jetzt wurde Bruder Andreas Murk (38) von der Mitgliederversammlung in Bonn zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Ordensobernkonferenz gewählt. Im Interview mit katholisch.de erklärt er, warum das für ihn kein Karriereschritt ist und wie er sich die Zukunft der Orden vorstellt.
Frage: Bruder Andreas Murk, warum wollten Sie Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) werden?
Bruder Andreas: Also "wollen" kann man da nicht sagen. Im Vorfeld zur Wahl wurden Kandidaten gesucht. Da ist mein Name wohl auch gefallen. Ich habe dann anscheinend nicht schnell genug Nein gesagt.
Frage: Sie hätten aber Nein sagen können …
Bruder Andreas: Ich habe am Anfang auch wirklich gezögert. Dann habe ich aber gesehen, dass es jemand machen muss. Ich habe mitbekommen, dass es eine gewisse Not im Vorstand gab, dieses Amt neu zu besetzen. Da ich die DOK für sehr wichtig halte und ich selbst von dieser Einrichtung schon viel profitiert habe und auch meine Vorgängerin Schwester Katharina Kluitmann sehr schätze, habe ich gesagt: Ich bin dazu bereit. Und das ist etwas anderes, als wenn ich selbst kandidiert hätte.
Frage: Worin besteht der Unterschied?
Bruder Andreas: Als Ordensmann habe ich immer wieder die Erfahrung in meinem Leben gemacht: Wenn ich etwas annehme, was ich mir nicht selbst ausgesucht habe, aber dazu bereit bin, dann war es im Nachhinein auch gut. Und so sehe ich das jetzt auch: Ich probiere es einfach aus und sehe das nicht als Karriereschritt.
Frage: Aber ist es nicht auch ein Beweggrund für einen jungen Mann ins Kloster zu gehen, um da Karriere zu machen...
Bruder Andreas: Dieser Gedanke ist mir ehrlich gesagt fremd. In der Kirche mag es durchaus ein Karrieredenken geben. Aber ich kann damit nicht viel anfangen. Und ich glaube auch, dass diese Zeit vorbei ist. Obendrein hätte ich auch keine neue und zusätzliche Aufgabe gebraucht. Ich war und bin "unten" immer auch ganz zufrieden.
Frage: Aber die "Ordensoberenkonferenz" klingt schon mehr nach "oben" ...
Bruder Andreas: Deshalb sagen wir bei uns Franziskaner-Minoriten beispielsweise auch Provinzialminister und nicht Oberer, denn da steckt der "Diener" drin. Und wir sagen nicht Prior zu unserem Klostervorsteher, sondern Guardian, das ist der "Wächter". Da steckt keine Hierarchie drin, sondern eine Dienstbezeichnung. Und überhaupt spüre ich in meiner Rolle als Provinzialminister weniger Ehre und Macht, sondern sehr viel Ohnmacht.
Frage: Was meinen Sie damit konkret?
Bruder Andreas: Zum Beispiel der Sumpf des Missbrauchs: Ich bekomme hier im Kloster immer wieder Anrufe oder E-Mails von Betroffenen. Ich bin mit ihnen im Kontakt, ich höre zu und überlege, wie wir ihnen weiterhelfen können. Oder ich vermittle den Kontakt zu unserer Ansprechperson für Betroffene sexuellen Missbrauchs. Ich bin sicher: Wir haben als Ordensgemeinschaften viel zu lange weggeschaut, wollten etwas nicht wahrhaben, was geschehen ist. Diese Verbrechen sind ein großer Ballast für uns und natürlich noch mehr für die Betroffenen. Ich bin jetzt 38 Jahre alt und denke mir, dass mich das noch den Rest meines Lebens beschäftigen wird. Man kann es nicht einfach gut machen. Da ist Ohnmacht auf allen Seiten. Als Provinzialminister spürt man das, denke ich, besonders, vor allem weil man immer wieder mit Betroffenen im Kontakt ist und aus erster Hand erfährt, wie Leben zerstört wurde.
Frage: Sollten Sie als Franziskanerbruder nicht auch viel mehr Seelsorge für Betroffene anbieten?
Bruder Andreas: Das finde ich problematisch, denn genau im Kontext der Seelsorge haben einige Mitbüder diese Menschen ja missbraucht. Da wurde viel Vertrauen zerstört. Mit so einer Erfahrung kommt man dann, glaube ich, nicht zu uns, weil jemand Seelsorge braucht, sondern er möchte erst einmal auf die schreckliche Tat hinweisen, er möchte wissen, wie man das als Gemeinschaft heute verhindert und wie es zum Beispiel mit der Übernahme von Therapiekosten aussieht. Und vor allem möchte ein Betroffener, dass man ihm glaubt. Aber natürlich stehen wir in unseren Klöstern und Kirchen für alle Menschen als Seelsorger zur Verfügung. Aus eigener Erfahrung im Sprechzimmer kann ich schon sagen, dass immer wieder Betroffene von Missbrauch mit ihren Nöten kommen. Missbrauch geschieht ja leider auch in ganz anderen und ganz vielen Settings, auch außerhalb von Kirche und Kloster.
„Das finde ich problematisch, denn genau im Kontext der Seelsorge haben einige Brüder diese Menschen ja missbraucht. Da wurde viel Vertrauen zerstört. Vor allem möchte ein Betroffener, dass man ihm glaubt.“
Frage: Wie alt waren Sie beim Eintritt ins Kloster?
Bruder Andreas: Ich war 20 Jahre alt, als ich mich dazu entschieden habe. Ich war vorher Messdiener, später dann Organist und das Kloster, in dem ich heute lebe, liegt in der Nähe meines Heimatortes. Natürlich habe ich als junger Mensch auch den Wunsch verspürt, eine eigene Familie oder ein Haus zu haben. Aber ich habe mich für das Leben im Kloster entschieden. Ich wollte das leben, wovon ich glaube: Da kriege ich von meinem Leben das Meiste. Heute würde ich sagen: Da bin ich am verheißenen "Leben in Fülle" am nähesten dran.
Frage: Woher wussten Sie denn, dass der Weg ins Kloster für Sie richtig ist?
Bruder Andreas: Man weiß es nicht automatisch. Ich habe es einfach ausprobiert und habe dann im Alltag gemerkt, dass alles zusammenpasst und es funktioniert. Ich habe sehr viel Glück mit meiner Gemeinschaft. Ich kann mir für mich auch jetzt nichts Besseres vorstellen. Und ich glaube, das ist der Weg, auf den Gott mich geschickt hat.
Frage: Ist es im Kloster nicht manchmal auch zum Verzweifeln?
Bruder Andreas: Ja, natürlich, manchmal rege ich mich auf. Manchmal gehen mir die Dinge zu langsam. Unsere Strukturen sind bisweilen behäbig. Die Vergangenheit ist oft ein Ballast. Oder mich nervt vielleicht mal ein Mitbruder. Das darf sein. Aber deshalb schmeiße ich nicht alles hin und gehe weg.
Frage: Aber das darf doch auch sein, dass man alles hinwirft und austritt?
Bruder Andreas: Beim Eintritt ins Kloster prüfe ich fünf Jahre lang meine Berufung. Es gibt, kirchlich betrachtet, keinen anderen Lebensentwurf, bei dem ich so lange überlegen kann. Da sind Zweifel und Krisen dabei, aber dann sollte ich wissen, was ich will. Ich mache ein Beispiel: Wir treffen uns täglich mehrmals zum Stundengebet. Da habe ich nicht immer Lust. Manchmal wäre es zu dieser Zeit vielleicht gerade auch praktisch, noch etwas am Schreibtisch fertig zu machen oder ein Taufgespräch zu führen. Aber ich merke: Wenn ich da schlampere, dann gefährde ich über kurz oder lang das Fundament, auf dem meine Berufung steht. Ich muss also "dran bleiben" und ich will es auch, damit meine Berufung nicht einfach verloren geht. Ich glaube, da kann ich schon selber einen großen Beitrag leisten. Damit man nicht irgendwann hinwirft und austritt, dafür kann man schon einiges selber tun.
Frage: Das klingt aber streng …
Bruder Andreas: Wir haben nun mal gemeinsame Gebetszeiten und gemeinsame Mahlzeiten im Kloster. Dazu habe ich mich ja auch selbst und freiwillig verpflichtet und daran will ich mich halten. Diese Treue zum Gebet trägt mich auch durch Krisen hindurch. Damit bleibe ich im Gleichgewicht. Ich würde mit Ihnen zum Beispiel kein Telefonat um 17:45 Uhr führen, es sei denn, es wäre eine Not. Denn normalerweise beten wir um diese Zeit unsere Vesper. Aber ehrlicherweise muss ich jetzt doch sagen, dass ich heute die Vesper im Kloster verpasse. Momentan mache ich einen Schwimmkurs und der beginnt um 18.00 Uhr. Man kann also schon mal eine Ausnahme machen und da kriegt man dann auch keinen Stress mit den anderen Brüdern. Und mit dem lieben Gott erst recht nicht.
Frage: Sie müssen jetzt in der DOK als Vorsitzender wohl auch einiges schultern …
Bruder Andreas: Ich kann noch nicht abschätzen, was da alles auf mich zukommt. Es ist ein Ehrenamt und kein Fulltime-Job. Ich bin auch nicht allein, sondern wir sind ein Team im Vorstand. Ich denke als Dienstleister für die Orden sind wir gut aufgestellt. Ein wichtiger Teil ist da beispielsweise die Beratung der Gemeinschaften in Rechtsfragen oder das Gespräch mit der Deutschen Bischofskonferenz. Ich selbst bleibe in meiner kleinen Brüdergemeinschaft in Schwarzenberg und werde weiterhin in der Seelsorge tätig sein, Firmlinge begleiten, Kurse im Bildungshaus halten, Menschen beerdigen und seelsorglich für andere da sein. Ich hoffe, dass ich das alles irgendwie unter einen Hut bekomme.
Frage: Was haben Sie sich für Ziele gesetzt für Ihre neue Aufgabe?
Bruder Andreas: Diese Frage ist für mich im Augenblick noch ein wenig schwierig. Ich bin ja nicht mit einem "Wahlprogramm" angetreten. Wichtig ist mir, dass wir in der Deutschen Ordensobernkonferenz eine gute Kontinuität haben, vom bisherigen Vorstand auf den neuen. Es stehen einige organisatorische Veränderungen im Generalsekretariat an. Beispielsweise wird die Leitung künftig nicht mehr in den Händen einer Ordensperson liegen. Das muss man gut hinkriegen. Wenn wir den einen oder anderen Impuls in Richtung Öffentlichkeit setzen können, dann freut mich das. Vielleicht gelingt es uns so auch, einige Klischees zu überwinden und aufzuzeigen, dass da Ordensleben ein wunderbarer Lebensentwurf sein kann.
Frage: Bereiten Ihnen der Nachwuchsmangel und die Klosterschließungen gar keine Sorgen?
Bruder Andreas: Es ist so, dass das Durchschnittsalter in den Ordensgemeinschaften stetig steigt und wir schließen auch viele Klöster. Deutlich über 500 Ordensleute sterben pro Jahr. Und es kommen viel zu wenige nach. Das lässt niemanden kalt. Trotzdem bin ich nicht verzweifelt. Wir sollten uns nicht gegenseitig runterziehen, sondern mutig auf die kleinen Neugründungen schauen und auf das, was auch in "alten Gemeinschaften" wirklich noch an Gutem getan wird. Tag für Tag. Wir Ordensleute sind sehr gut vernetzt, wir wirken gemeinsam mit vielen Mitarbeitenden in Schulen und Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen. Das ist schon eine sehr wertvolle Arbeit. Wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind.
Frage: Was wäre Ihr größter Wunsch?
Bruder Andreas: Ich komme gerade aus dem Garten. Ich vertraue darauf, dass alles, was wir Ordensgemeinschaften an Gutem säen und pflanzen, aufgeht und wächst. Und wenn Menschen durch uns Ordensleute mit der Kirche auch gute Erfahrungen machen und mit Gott in Kontakt sind, ich glaube, dann ist es gut.
Zur Person:
Br. Andreas wurde 1983 in Dettelbach geboren. Er trat 2003 in die Ordensgemeinschaft ein, studierte Theologie in Würzburg und Washington und wurde 2010 zum Priester geweiht. Er leitete von 2012 bis 2019 das Bildungshaus Kloster Schwarzenberg. Seit Herbst 2019 ist der Franziskaner-Minorit Provinzialminister der Franziskaner-Minoriten Provinz St. Elisabeth. Er ist als Bildungsreferent tätig und verantwortlicher Redakteur der Zeitschriften "franziskus" und "Sendbote des heiligen Antonius". Er hat eine zweijährige Ausbildung zum Geistlichen Begleiter abgeschlossen und ist ärztlich geprüfter Fastenleiter der Deutschen Fastenakademie. Bei der Mitgliederversammlung der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) im Mai 2022 wurde Bruder Andreas Murk OFMConv zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) gewählt. Diese vertritt die Interessen der Ordensgemeinschaften in Deutschland mit rund 11.800 Ordensfrauen und knapp 3.400 Ordensmännern, die in etwa 1400 klösterlichen Niederlassungen leben.