Im Schatten der Kirchenkrise: Stuttgarter Katholikentag beginnt
Ein "Fest des Glaubens" sollen die Katholikentage üblicherweise sein. Doch bei dem am Mittwoch in Stuttgart beginnenden Treffen könnte ein Protest gegen den Krieg in der Ukraine die üblichen Bilder von feiernden und singenden Menschen überlagern. Die Demo soll am Freitagmittag im Zentrum der baden-württembergischen Landeshauptstadt stattfinden. Der russische Überfall auf das Nachbarland beschäftigt die Veranstalter auch an anderer Stelle. Ob beispielsweise auch Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche zum Katholikentag kommen, entscheide sich erst relativ spät, so die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp: "Es werden orthodoxe Christen auf dem Katholikentag vertreten sein, nicht aber Kriegstreiber."Natürlich ist der Krieg nicht das einzige Thema. Insgesamt umfasst das Katholikentagsprogramm unter dem Motto "leben teilen" rund 1.500 Veranstaltungen: von einem Werkstattgespräch über "Fairness im Schlafzimmer" und geschlechtergerechte Verhütung bis hin zum Open-Air-Konzert der A-capella-Band "Alte Bekannte". Die Zahl der Teilnehmenden könnte jüngsten Schätzungen zufolge die Marke von 20.000 doch noch deutlich übertreffen. Der Ticket-Verkauf zieht an, wird aber trotzdem nicht an das Niveau der letzten Treffen heranreichen: Beim Katholikentag 2018 in Münster wurden 80.000 Besucher gezählt.
Hochkarätige Gäste erwartetDabei mangelt es auch in Stuttgart mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz nicht an hochkarätigen Gästen. Das kirchliche Spitzenpersonal wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche (EKD), Annette Kurschus, haben auch zugesagt.Die Liste der prominenten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche unter einem wachsenden Imageverlust leidet. Immer neue Missbrauchsstudien erschüttern das Vertrauen in das Kirchenpersonal. Teile des Kirchenvolks rufen unterdessen immer lauter nach Reformen, unter anderem bei dem von den deutschen Bischöfen und dem ZdK angestoßenen Synodalen Weg. Andere wiederum halten genau das für einen Irrweg.
Beim Katholikentag wird es kaum zu einem echten Austausch zwischen beiden Seiten kommen. Das Programm bildet mit Diskussionen etwa zu Mitbestimmung in der Kirche, Bekenntnissen zu sexueller Vielfalt und gleichgeschlechtlicher Liebe oder der Zulassung von Frauen zum Priesteramt vornehmlich den fast schon klassischen Kanon des Reformflügels ab. Konservative Vertreter, wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der in seinem Bistum massiv unter Druck steht, sind in Stuttgart nicht zugegen.
Woelkis Amtsbruder Gebhard Fürst, Bischof der gastgebenden Diözese Rottenburg-Stuttgart betont, er habe in der Bischofskonferenz "mehrfach alle informiert und herzlich eingeladen". Man freue sich über jeden Bischof, der da sei. "Die Menschen wollen die Verantwortungsträger kennenlernen können. Wer nicht kommt, der hat sich nicht angemeldet – ausgesperrt wurde niemand."
Kretschmann: Christentum ist "politische Religion"
Grundkonzept und -gerüst der Veranstaltung entsprechen dem bekannten Muster: Am Mittwoch wird es nach der Eröffnung einen bunten Abend geben. Am Donnerstag, Christi Himmelfahrt, beginnt nach Gottesdiensten mit Diskussionen und Foren die inhaltliche Arbeit. Diese thematischen Veranstaltungen enden am Samstagnachmittag, bevor der Katholikentag mit einem Straßenfest und am Sonntagmorgen mit dem Schlussgottesdienst ausklingt.
Besonders umweltschonend soll es an den fünf Tagen in Stuttgart zugehen. Schon bei der Anreise in Deutschlands Autohauptstadt sind die Teilnehmer aufgefordert, ein Öko-Signal zu setzen: "Wir empfehlen dringend, nicht den Privat-PKW, sondern die Bahn zu nutzen", heißt es vonseiten der Veranstalter – auch wenn der Hauptbahnhof weiterhin eine chaotische Großbaustelle ist.
Die nachhaltige Ausrichtung des Großevents dürfte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann als Grünen-Politiker gefallen. Doch das ehemalige ZdK-Mitglied setzt auf weitere Impulse. "Das Christentum ist eine politische Religion", sagt er. "Deshalb wird auch von diesem Katholikentag sicherlich eine Botschaft ausgehen."