Mehr "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind"

Soziologe Michael Ebertz gegen pfarreibasierte Kirchenstruktur

Veröffentlicht am 08.06.2022 um 18:54 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück/Freiburg ‐ Viele Menschen suchen kirchliche Angebote nicht an ihrem Wohnort, sondern gehen dorthin, wo Gottesdienste oder Willkommenskultur besser sind, sagt Religionssoziologe Michael Ebertz. Er plädiert daher für ein neues Verständnis von seelsorglichem Raum.

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Der Freiburger Soziologe Michael Ebertz kritisiert das Territorialprinzip der Kirche. "Ich stelle infrage, ob es wirklich so sein muss, dass ich als Katholik automatisch einer Pfarrei zugewiesen werde, die dann in allem für mich zuständig ist", sagte er im Interview der Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse (Sonntag) in Osnabrück. "Das ist eine Struktur analog dem Staat: ein Bürger – ein Wohnort, der sich um ihn kümmert und dann auch die Steuern für ihn bekommt."

Ebertz plädierte für einen Bruch mit der bisherigen Sozialgestalt von Kirche. Notwendig sei weniger die institutionelle Pfarrei und mehr "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind". Denn viele Menschen suchten kirchliche Angebote nicht an ihrem Wohnort, sondern wollten woanders hingehen, etwa weil dort der Gottesdienst, die Erstkommunionvorbereitung oder die Willkommenskultur besser sei. Derzeit werde aber "alles getan, um das schwierig zu machen".

Soziologe plädiert für neues Verständnis von seelsorglichem Raum

"Ich sehe im traditionellen Modell der flächendeckenden Bewirtschaftung keine Zukunft", betonte der Soziologe. Allerdings werde es immer Menschen geben, die örtliche Nähe suchten, etwa weil sie ihrem Dorf seit Generationen verbunden seien und keinen anderen Kirchturm wollten. "Diese Leute sollen im Blick bleiben, aber es soll sich nicht alles auf sie konzentrieren", so Ebertz. Das sei bislang aber der Fall. So gingen die meisten kirchlichen Finanzmittel in die Schlüsselzuweisungen der Pfarreien – völlig unabhängig davon, ob man dort neue Wege gehe oder sich im Kreise drehe.

Der Wissenschaftler plädierte für ein neues Verständnis vom seelsorglichen Raum. Dieser sollte nicht mehr territorial verstanden werden, sondern als "relationaler Raum", in dem es um die Förderung von "heilsamen Gottesbeziehungen und solidarischen Menschenbeziehungen" gehe. "Diese Beziehungen sind genauso Raum von Kirche wie die bisherige Pfarrgemeinde." Bei diesem Modell könnten Gruppen oder Projekte direkt Geld, Personal oder Beratung bekommen. (KNA)