Laut US-Historiker führte er innoffizielle Verhandlungen mit Papst Pius XII.

Prinz Philipp von Hessen: Hitlers heimlicher Helfer im Vatikan

Veröffentlicht am 19.06.2022 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach den Erkenntnissen des US-Historikers David Kertzer führte Prinz Philipp von Hessen für Adolf Hitler geheime Verhandlungen mit Papst Pius XII. Ziel: ein neues Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich. Warum wurde er ausgewählt?

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Das Thema "Papst Pius XII. und das NS-Regime" ist um ein Kapitel reicher: Der für diese Zeit ausgewiesene US-Historiker David Kertzer hat gerade sein Buch "The Pope at War: The Secret History of Pius XII, Mussolini and Hitler" (Der Papst im Krieg: Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler) vorgelegt. Vorab hatte für Aufsehen gesorgt, dass der Papst kurz nach seiner Wahl am 11. Mai 1939 auf Initiative von Adolf Hitler inoffizielle Verhandlungen über ein neues, besseres Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem "Dritten Reich" führte – so der Befund von Kertzer.

Der Historiker hat in den vatikanischen Archiven Aufzeichnungen über diese Gespräche gefunden, die der Papst mit Prinz Philipp von Hessen geführt hat, der als informeller Gesprächskanal für Nazi-Deutschland fungierte. Dass der Hessen-Prinz mehrere Male mit dem Papst zusammentraf, war seit 2006 bekannt, als der ebenfalls US-amerikanische Historiker Jonathan Petropoulos sein Buch "Royals and the Reich" über die Prinzen von Hessen, Philipp und Christoph, veröffentlichte. Das Haus Hessen hat für Petropoulos das Archiv geöffnet und ihn bei seinen Forschungen unterstützt.

Hochadel half Hitler zum Aufstieg

Petropoulos zitierte aus dem Entnazifizierungsprozess, dem sich Prinz Philipp stellen musste: "Papst Pius XII. schenkte mir besonderes Vertrauen und beauftragte mich mit einer wichtigen Aufgabe. Ich halte es nicht für richtig, dass ich mich über diese Aufgabe ohne die besondere Zustimmung des Papstes äußere." Allerdings konnte Petropoulos nur über den Inhalt der Gespräche spekulieren, denn ihm lagen noch nicht die Unterlagen vor, die Kertzer jetzt einsah.

Prinz Philipp von Hessen war einer von "Hitlers heimlichen Helfern", die die Historikerin Katharina Urbach 2016 in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt. Sie hat nachgewiesen, dass der Hochadel dem Diktator zum Aufstieg half und ihm Schützenhilfe auf dem gesellschaftlichen Parkett gab.

Bild: ©picture-alliance / akg-images | akg-images (Archivbild)

David Kertzer hat in den vatikanischen Archiven Aufzeichnungen über Gespräche zwischen Papst Pius XII. und Prinz Philipp von Hessen gefunden.

Warum der Adel? Adelige Familien hatten nach Angaben von Urbach einen gemeinsamen Sprachcode und auch einen ähnlichen Verhaltenskodex. Sie wurden dazu erzogen, die Ehre ihrer Familie zu bewahren und sich in den Dienst des Landes zu stellen. Wegen ihrer engen Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen über Landesgrenzen hinweg bildeten sie ein internationales Netzwerk, das auch als geheimer, nicht-öffentlicher Gesprächskanal nutzbar gemacht werden konnte.

Prinz Philipp von Hessen hatte ein sehr enges, sogar persönliches Verhältnis zu Hitler und Hermann Göring. Da ihm mit seiner Eheschließung mit Mafalda, Tochter des italienischen Königs Viktor Emanuel III., alle Türen in Rom offen standen, setzte der deutsche Diktator den Hessen-Prinzen als Vermittlungsmann zum Duce, dem italienischen Diktator Benito Mussolini, ein. Seine Aufgabe war es, die deutsch-italienischen Beziehungen stabil zu halten – und offensichtlich auch die zum Vatikan.

Die Kirche habe "keine Angst vor der Wahrheit", sagte der Leiter des Vatikanischen Apostolischen Archivs, Kurienkardinal Jose Tolentino Calaca de Mendonca, vor der Öffnung des Archivs für die Zeit des Pontifikats Pius XII. (1939-1958). Geschlossen sind aber die Archive in England für diese kritische Zeit. Denn Prinz Philipp von Hessen hat sich zu dieser Zeit nicht nur als "Hitlers heimlicher Helfer" im Vatikan nützlich gemacht, sondern auch als Gesprächskanal nach England.

Im März 1933 stellte Adolf Hitler den Kirchen überraschend weitreichende Zugeständnisse in Aussicht.
Bild: ©Bundesarchiv (Archivbild)

Prinz Philipp von Hessen hatte ein enges persönliches Verhältnis zu Adolf Hitler.

Es ist bekannt, dass der englische König George VI. (der eigentlich Albert hieß) seinen Bruder George (1902-1942), den Herzog von Kent, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zu allen möglichen Familientreffen auf dem Kontinent schickte, um dort informelle Gespräche zu führen. "Georgie Kent" und Prinz Philipp von Hessen standen in engstem Kontakt. Das sagte Prinz Philip, der 2021 verstorbene Herzog von Edinburgh und Gatte von Queen Elizabeth II., zum Historiker Petropoulos. Aber worum es ging, ist nicht bekannt.

Als der Hessen-Prinz aus der Gunst Hitlers fiel, wurde er von September 1943 bis April 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Nach der Befreiung nahmen ihn die Alliierten in Haft.

Nach Krieg zurückgezogenes Leben

Seine Frau Mafalda fand zunächst mit den gemeinsamen Kindern Schutz im Vatikan bei Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI. Jedoch gelang es den Nazis, sie trotzdem festzunehmen. Sie starb im KZ Buchenwald an den Folgen eines Bombenangriffs.

Prinz Philipp von Hessen war von 1940 bis zu seinem Tod 1980 Chef des Hauses Hessen. Er führte nach seinem Entnazifizierungsprozess ein zurückgezogenes Leben und soll über die Zeit im "Dritten Reich" nicht mehr gesprochen haben.

Von Christiane Laudage (KNA)