Gänsehautmoment: Warum ein Kaplan mit "In Extremo" auf der Bühne stand
Für ihn war es ein Gänsehautmoment, sagt Kaplan Guido Funke: Am Wochenende durfte er seine Lieblingsband "In Extremo" persönlich kennenlernen – und sogar ein Lied mit den Musikern spielen. Für Funke passt der Song zu seinem Glauben. Im Interview spricht er über die Begegnung mit der Mittelalter-Metal-Band, ihren Fans und über einen besonderen Gebetswunsch.
Frage: Herr Kaplan Funke, Sie standen am Wochenende mit der Mittelalter-Metal-Band "In Extremo" auf der Bühne. Wie kam es dazu?
Funke: Als ich vor zwei Jahren Kaplan in der Pfarrei St. Antonius in Worbis im Eichsfeld wurde, kam ich bei einem Gespräch mit einer Familie darauf, dass ich schon seit meiner Jugend großer Fan der Band bin. Der Vater der Familie hat mir dann gesagt, dass er die Band kennt und auf diesem Weg ist im letzten Jahr zum ersten Mal ein Kontakt mit dem Sänger Michael Rhein entstanden. Das war für mich ein Gänsehautmoment, weil ich es mir nie hätte träumen lassen, ihn einmal persönlich zu treffen. Als dann klar war, dass sie in diesem Jahr ganz in der Nähe auf der Burg Scharfenstein spielen, hat der Sänger mir einen Backstage-Pass besorgt und so durfte ich Gast der Band sein und sie kennenlernen.
Frage: Und wie kam es dann dazu, dass Sie mit auf die Bühne durften?
Funke: Wir haben uns darüber unterhalten, dass ich in meinem Theologiestudium eine Seminarfacharbeit über ein Lied von "In Extremo" geschrieben habe, das Wessobrunner Gebet, eines der ersten Schöpfungsgebete, das sie auch vertont haben. Ich habe meine Arbeit mitgebracht und der Band überreicht und gesagt, dass es für mich ein Traum wäre, einmal das Ave Maria mit ihnen singen zu dürfen. Darauf hat die Band mir gesagt, dass sie das Lied am Wochenende nicht im Programm hatten, dass ich aber etwas anderes mit ihnen singen dürfe. Dann habe ich mir die Lied-Liste angeschaut und gesagt, dass es auch schön wäre, "Frei zu sein" singen zu dürfen. Da hat die Band sich angeschaut und gesagt: "Das ist eine geile Nummer, das machen wir! Du kommst auf die Bühne!" So ist ganz spontan knapp eine Stunde vor dem Auftritt der Plan entstanden.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Frage: Das Lied "Frei zu sein" ist also auch eines, das sie gut kennen?
Funke: Tatsächlich kann ich fast alle Lieder von "In Extremo" auswendig mitsingen, auch wenn es natürlich noch einmal etwas anderes ist, auf der Bühne zu stehen. Aber auch der Inhalt des Liedes passt zu meiner christlichen Identität und meinem Glauben: Gott hat uns aus Freiheit und zur Freiheit geschaffen und berufen, eben als Menschen frei zu sein.
Frage: In den Fotos und Videos, die Sie auf Instagram geteilt haben, sieht man, dass Sie bei Ihrem Besuch und Ihrem Auftritt ein Kollarhemd getragen haben und so auch als Priester erkennbar waren. Gehen Sie häufiger so zu Metal-Konzerten?
Funke: Ich habe nichts anders (lacht). Aus pragmatischen Gründen habe ich fast nur schwarze Hosen und schwarze Hemden. Ich bin niemand, der gerne aussucht, was er trägt, sondern wenn ich einmal etwas gefunden habe, das passt, dann kaufe ich einfach das. Ehrlich gesagt wurde ich auf dem Konzert auch erstmal von vielen komisch angeschaut und gefragt, ob ich wirklich ein Pfaffe bin. Ich stehe zu dem, was ich bin: Ich bin Priester der katholischen Kirche und das an guten und an schlechten Tagen und ich muss die Verantwortung tragen und ducke mich auch da nicht weg, wo die Kirche schuldig geworden ist. Das ist sozusagen auch für mich ein Bekenntnis.
Frage: Wie hat denn die Band darauf reagiert, dass Sie sichtbar als katholischer Priester und Fan auf das Konzert gegangen sind?
Funke: Sehr positiv. Sie haben sich total gefreut, als ich zu ihnen gekommen bin, und mich begrüßt mit: "Ach, du bist der Kaplan, der über uns geschrieben hat." Die Vorband namens "Hämatom", die ich wie "In Extremo" auch immer wieder für meine pastorale Arbeit nutze, war erst irritiert, weil sie mit Kirche nicht so viele gute Erfahrungen gemacht hat. Aber sie kamen nach dem Konzert zu mir und sagten: "Du bist echt eine coole Sau, dass du das so machst." Und so sind wir ins Gespräch gekommen.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Frage: Und die Fans?
Funke: Die Fans haben gejubelt, als ich auf die Bühne kam, und haben nach dem Lied mehrfach "Zugabe" gerufen. Ich hatte viele Begegnungen an dem Abend mit Menschen, die gesagt haben: "Schön, dass sich ein Priester das traut. Kirche kann also auch cool sein." Ich habe eigentlich ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Am bewegendsten war für mich, dass ein Mitglied von "In Extremo" zu mir gesagt hat: "Beten Sie für uns." Das war nicht nur beiläufig gesagt, sondern mit einem gewissen Ernst, dass ich an sie denken und sie in mein Gebet einschließen soll und darf.
Frage: Das heißt, es löst schon etwas in den Leuten aus, wenn Sie öffentlich als katholischer Priester auftreten und ansprechbar sind in einem Kontext, in dem man das vielleicht gar nicht erwartet?
Funke: Ja, genau. Ich sage es mal so: Wenn man über das Konzertgelände läuft, würden viele sagen, dass die Menschen dort ziemlich kurios aussehen, mit ihren langen Haaren, ihren Bärten und ihrem Kleidungsstil. Aber in diesem Moment war ich das Kuriosum in diesem Umfeld. Die Gespräche mit denjenigen, die mich angesprochen haben, waren immer positiv. Da war Interesse da – und anfangs sogar die Vermutung, ich sei verkleidet, weil es in der Szene unter Umständen durchaus sein kann, dass Menschen sich geistlicher Kleidung bedienen und das als Kostümstil nehmen. Ich bin sozusagen nicht allein durch meine Größe oder mein Gewicht aufgefallen, sondern durch meinen Kleidungsstil, der einfach zu meinem Leben gehört, seit ich Priester geworden bin. Für mich schließt es sich aber nicht aus, dass ich als Priester Mensch bin und auch Fan sein kann und dass das auch durch mein Priestertum hindurchstrahlen darf. Ich bin dadurch kein anderer Mensch, auch wenn der Dienst, den ich tue, etwas ganz anderes ist. Das ist mir schon auch bewusst, wenn ich auf Konzerte gehe, dass das dann auch erstmal für verwunderte Blicke sorgt.
Frage: Sie nutzen häufiger Lieder von "In Extremo" oder anderen Metal-Bands für die pastorale Arbeit. Metal-Musik steht ja manchmal im Verruf, sogar diabolische oder satanistische Texte zu verbreiten. Warum machen Sie das?
Funke: Tatsächlich predige ich auch ab und zu über Textinhalte von "In Extremo" oder auch anderen Bands, was ich dann aber gut erklären und die Verweise gut einführen muss. Ich nehme die Lieder aber auch gerne für die Jugendarbeit. In einem meiner Firmkurse habe ich zum Beispiel das Lied "Frei zu sein" mit den Jugendlichen erarbeitet, was das bedeutet und wo es Parallelen zwischen dem Blick der populären Musik und dem Blick der Kirche gibt. Gerade "In Extremo" benutzt viele religiöse Inhalte, zum Beispiel das Ave Maria oder das Wessobrunner Gebet. Auch das Logo der Band beinhaltet ein Kreuz. Ich halte es für wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und so das Bewusstsein der Jugendlichen dafür zu schärfen, dass das etwas mit uns zu tun hat. Ich halte die Texte vieler deutscher Metal-Bands für sehr inhaltstief. Die sind nicht oberflächlich, auch wenn natürlich nicht jeder Text für die Jugendarbeit geeignet ist. Katholische Kirche kann manchmal ja auch langweilig sein und diese Herangehensweise lockert alles ein wenig auf. So kommt es beispielsweise beim Jugendabend durchaus vor, dass ich auch meine Spotify-Playlist abspiele.