Neue Zeitschrift "Ex fonte" sucht an der Quelle der Liturgie
Auch wenn die neue Zeitschrift "Ex fonte" an der Uni Wien entstanden ist: Der Anspruch ist umfassend – international, ökumenisch und sogar interreligiös soll sich das neue Onlinemedium Fragen der Liturgiegeschichte widmen und dabei historische Dimensionen des christlichen Gottesdienstes fruchtbar machen für eine moderne liturgietheologische Diskussion. Im Interview berichten die Herausgeber Hans-Jürgen Feulner und Florian Wegscheider, was sie mit der Neugründung vorhaben – und über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens in der Theologie.
Frage: Herr Feulner, Herr Wegscheider, die von Ihnen herausgegebene neue liturgiewissenschaftliche Zeitschrift heißt "Ex fonte". Welches Programm ist damit verbunden – und aus welcher Quelle schöpfen Sie?
Wegscheider: Wichtig war uns der Singular: "Ex fonte", "aus der Quelle", und nicht der Plural, "ex fontibus", "aus den Quellen". Das steht für unsere ökumenische Ausrichtung: Wir schöpfen aus einer gemeinsamen Quelle, ob das jetzt Gottesdienst als Überbegriff ist oder Jesus Christus oder die Verehrung des Göttlichen, um es ganz offen zu halten. Wir sind auch offen für die Beiträge jüdischer und muslimischer Autorinnen und Autoren, wir wollen das Einende vor das Trennende stellen. Wichtig ist auch der historische Zugang: Wir möchten die Tradition verbinden mit den Fragestellungen und Problemen der heutigen Zeit.
Frage: Zum Beispiel?
Wegscheider: Etwa die Pandemie: Wie sind Menschen in vergangenen Zeiten mit ähnlichen Krisen umgegangen? Oder auch die Frage nach dem Priestertum: Welche Entwicklungen hat es gegeben, und sind unsere heutigen Fragen nicht ganz ähnlich denen, die Menschen sich in anderen Zeiten dazu gestellt haben? Mit historischem Blick können wir so Impulse für Fragen von heute gewinnen. In der ersten Ausgabe macht das etwa Teresa Berger, die das topaktuelle Beispiel Umweltschutz aufgreift anhand eines historischen Dokuments aus dem dritten Jahrhundert, dem "Testament des Adam". Der Autor war wahrscheinlich Christ und greift auf jüdische Traditionen zurück – also eine frühe "interreligiöse" Perspektive.
Frage: In der Covid-Krise war eine liturgische Antwort, Gottesdienste in die Digitalität zu bringen. Das scheint ein radikal gegenwärtiges Phänomen zu sein. Kann man trotzdem aus der historischen Quelle, aus der Sie schöpfen, auch Erkenntnisse zu Online-Gottesdiensten ziehen?
Feulner: Covid ist ja nicht die erste Pandemie, man denke an die Wellen der Pest im 14. und 15. Jahrhundert und danach oder die Spanische Gruppe im letzten Jahrhundert. Schon in der Bibel geht es um den Umgang mit Leprakranken. Da lassen sich Parallelen ziehen zu unserem heutigen Umgang mit Infektionskrankheiten und wie die Liturgie damals und heute reagiert. Auch wenn man im 14. Jahrhundert nicht gewusst hat, was die Pest verursacht, hat man doch instinktiv gewusst, dass man Abstand halten muss. Es gab etwa langstielige Kommunionlöffel, man hat die Hände und das Gesicht mit einer Essig-Wasser-Lösung abgewaschen, besondere Masken getragen, bei der Spanischen Grippe bereits mit den heutigen vergleichbar. Wie heute hat man Priestern besondere Vollmachten für Ablässe und Generalabsolution gegeben, wenn auch in anderer Art und Form und theologisch anders durchdacht.
Frage: Wir sind sofort auf das hochaktuelle Thema der Pandemie gekommen – in den ersten in "Ex fonte" erschienenen Artikeln spielt Corona keine Rolle. Sind sie des Themas müde?
Feulner: Wer ist das nicht … Zu Corona wurden schon mehrere Sammelbände veröffentlicht, das Thema ist nicht fertig bearbeitet, aber man muss sich nicht immer darauf fokussieren. Die Form unserer Zeitschrift ermöglicht uns, auf das klassische Format von Themenheften zu verzichten. Artikel erscheinen dann, wenn sie fertig und zur Publikation bereit sind. Zwischen Einreichung und Veröffentlichung vergehen, wenn es gut läuft, höchstens zwei oder drei Monate. Daher gab es auch keine Vorgaben, dass wir am Anfang unbedingt Corona thematisieren müssen.
Wegscheider: Die ersten Artikel sollten die Weite unseres Konzeptes zeigen. Ein weiterer Artikel bringt etwa eine Außenperspektive zur Frage der Synodalität – nicht mit einem programmatischen Beitrag, sondern durch eine Befassung mit der Bedeutung von Gebet und Liturgie im Verhältnis zur Synodalität am Beispiel der frühen Praxis bei den Benediktinern.
Die Zeitschrift "Ex fonte"
Mitte Juni sind die ersten Artikel der neuen liturgiewissenschaftlichen Zeitschrift "Ex fonte" erschienen. Die Zeitschrift versteht sich als eine international und ökumenisch ausgerichtete Plattform für einen Dialog zwischen Liturgiegeschichte und Liturgietheologie. Die um den Wiener Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft ansässige Redaktion wird unterstützt von einem wissenschaftlichen Beraterkreis aus neun renommierten Liturgiewissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern verschiedener Konfession aus sieben Ländern und drei Kontinenten.
Frage: Der Beitrag, auf den Sie anspielen, hat den Titel "Der liturgische Vorsteherdienst im monastischen Kontext". Das klingt nicht unbedingt nach einem Beitrag, der unmittelbar die aktuelle Debatte über Synodalität weiterbringt.
Wegscheider: Der Autor Stefan Geiger geht vom Amt des Abtes aus, wie es in der Benediktsregel und liturgischen Quellen beschrieben ist. Dadurch kann er zeigen, dass es ursprünglich ein Laienamt war, und der Abt in seiner Gemeinschaft Primus inter pares war. Das Kloster als eine Hauskirche ist horizontal orientiert, die Mönche haben alle von der Taufe her den gleichen Status. Das liturgische Leben in diesen Gemeinschaften drehte sich um das gemeinsame Tagzeitengebet, dem der Abt vorstand, und nicht um die Eucharistiefeier. Dieses gemeinsame Beten aus der Taufberufung heraus zu leben, als eine Gemeinschaft auf Augenhöhe, das präsentiert uns der Autor als eine Frage der Synodalität für heute.
Frage: "Ex fonte" erscheint nur online, als Open Access Journal, also frei zugänglich und kostenlos. Warum?
Feulner: Ich persönlich sehe den Verzicht auf Papier zwar mit etwas Wehmut, aber vor allem sehe ich die Chancen. In meinen Artikeln zum Beispiel, als es um fachfremde Themen ging. Konkret: Zur Corona-Pandemie war ich viel auf medizinische Fachliteratur angewiesen, und das war schon eine große Hilfe, ohne Bibliothekszugang auf eine Fülle an Publikationen Zugriff gehabt zu haben. Online ist da einfach praktisch – und viel schneller. Das ist gerade für den wissenschaftliche Nachwuchs wichtig. Schon vor Abgabe der Dissertation muss viel publiziert werden, und bei klassischen Zeitschriften kann das schon einmal zwei, drei Jahre von der Einreichung bis zur Veröffentlichung dauern.
Wegscheider: Bei uns ist es möglich, dass von der Einreichung über die Begutachtung bis zur Veröffentlichung nur zwei bis drei Monate vergehen – ohne Abstriche an der Qualität: Unser Peer-Review-Verfahren ist genauso sorgfältig wie bei gedruckten Zeitschriften, wir liefern die gleiche Qualität ab, die auch von Print erwartet wird.
Frage: Und wie sieht es mit ökonomischen Gründen für Open Access aus?
Feulner: Es gibt enormen finanziellen Druck. Wer außer Bibliotheken abonniert schon noch Zeitschriften? Und selbst die haben nicht genügend Mittel, alle Zeitschriften zu beziehen, die aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll wären. Das beginnt beim Material: Ich kenne angesichts steigender Druck- und Papierkosten Zeitschriften, die deshalb ihr Layout verändern und den Zeilenabstand verringern. Open Access ist dagegen komplett kostenneutral. Damit sind wir gerade für Studierende und den wissenschaftlichen Nachwuchs auch viel zugänglicher als eine Printzeitschrift.
"Open Access" in der Theologie
"Open Access" bedeutet der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Zunehmend erscheinen Fachzeitschriften nicht mehr kostenpflichtig, sondern werden von Verlagen oder Hochschuleinrichtungen selbst herausgegeben und kostenlos für jedermann online zur Verfügung gestellt.. Im deutschsprachigen Raum gibt es bereits einige Open-Access-Fachzeitschriften in der Theologie wie das Web-Journal für Recht und Religion "Nomok@non", die "Zeitschrift für Pastoraltheologie", die "Theologische Revue", das "Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften" oder "LIMINA - Grazer theologische Perspektiven".
Frage: Wissenschaftsverlage argumentieren, dass sie so viel Mehrwert einbringen, dass die hohen Kosten für Zeitschriften gerechtfertigt sind, obwohl Autoren wie Gutachter kostenlos arbeiten. Hat diese teure Form der Wissenschaftspublizistik überhaupt noch Zukunft?
Wegscheider: Ich denke, dass das sehr bald nicht mehr möglich ist. Die Hochschulen stehen monetär unter Druck, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen Drittmittel einwerben, und die großen Förderfonds verlangen mittlerweile Open-Access-Publikationen. Dass Universitäten uns die technische Infrastruktur dafür zur Verfügung stellen, ist auch eine Reaktion auf die steigenden Kosten der Wissenschaftsverlage. Deren Vorteile nehmen nämlich auch ab: Das Argument der Sichtbarkeit und Reichweite durch klassische Zeitschriften greift nicht mehr, Verlagsprospekte und gedruckte Exemplare in Bibliotheken spielen eine immer geringere Rolle. Was stattdessen wichtig ist, ist die Sichtbarkeit in Datenbanken, eine gute Beschlagwortung. Deswegen haben wir uns entschieden, Informationswissenschaftler mit an Bord zu nehmen, die die Metadaten in die entsprechenden Datenbanken einpflegen, damit die Artikel bestmöglich sichtbar sind. Das können andere Verlage nicht leisten, weil ihnen das Knowhow fehlt oder es schlichtweg zu teuer wird.
Frage: Sichtbarkeit ist auch eine Frage der Sprache. Hat Deutsch als Wissenschaftssprache in der Theologie noch eine Zukunft?
Feulner: Ich hoffe es und wünsche es mir. Pragmatisch gesehen ist die Rezeption außerhalb des deutschen Sprachraums gering, das sehe ich bei meinen amerikanischen Kollegen, von denen wenige Deutsch verstehen. Es gibt schon einen Druck, auf Englisch zu publizieren, auch von unserer Universität. Die Fakultät verlangt mittlerweile, dass auch Lehrveranstaltungen auf Englisch angeboten werden.
Wegscheider: Artikel für "Ex fonte" können in vier Sprachen – deutsch, englisch, französisch und italienisch – eingereicht werden. Wir wollen nicht, um mit dem Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant zu sprechen, ins "Globalesische" verfallen, also ein reduziertes Englisch des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern Perspektiven von Menschen aus ihren jeweiligen Sprachgebieten gewinnen. In der Geisteswissenschaft ist es notwendig, dass man die Standardsprachen im europäischen Bereich so weit versteht, dass man sie zumindest lesen kann. Der Mehrwert mehrerer Sprachen ist, dass wir uns nicht nur in einem Sprachgebiet bewegen. Wir wollen kulturelle Ergänzungen haben: Wie sehen italienische Liturgiewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler diese Fragestellungen, wie französische … Die Vielfalt unserer Autorinnen und Autoren – Sprache, Herkunft, Konfession, oder Religion – befruchtet den Diskurs und sorgt dafür, dass wir unseren Anspruch, ökumenisch und international zu sein, auch einlösen.