Auch Bistum Passau will Missbrauchsstudie in Auftrag geben
Nach mehreren anderen deutschen Diözesen will nun auch das Bistum Passau eine Studie in Auftrag geben, um das Missbrauchsgeschehen in der Diözese in den Blick zu nehmen. Die Untersuchung solle am 1. Juli starten und trage den Titel "Sexueller Missbrauch von minderjährigen Schutzbefohlenen durch katholische Kleriker im Bistum Passau 1945-2020. Ausmaß und Umstände – Reaktionen und Handhabung seitens Kirche, Öffentlichkeit und sozialem Umfeld der Betroffenen", teilte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen im Bistum Passau am Freitag mit.
Die Studie soll den Angaben zufolge als Drittmittelprojekt an der Universität Passau angesiedelt werden und vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte unter der Leitung von Professor Hans-Christof Kraus durchgeführt werden. "Ihre Gesamtlaufzeit ist auf maximal drei Jahre festgelegt. Die Kosten sind auf 610.000 Euro veranschlagt", erklärte die Kommission. Wissenschaftlicher Leiter der Untersuchung sei Professor Marc von Knorring, ihm stünden zudem zwei weitere Vollzeitstellen zur Verfügung. Der Vertrag zwischen Bistum, Universität und Kommission stehe kurz vor der Unterzeichnung.
Oster: Erkenntnisse werden sicher schmerzhaft sein
"Das Domkapitel, der Ordinariatsrat und der Diözesanvermögensverwaltungsrat stehen einhellig hinter dem Projekt, so wie es die Aufarbeitungskommission vorgelegt hat. Ich selbst natürlich auch. Wir wollen und brauchen ein möglichst genaues Bild des Geschehens in der beschriebenen Zeit – um der Betroffenen willen, um der Gläubigen willen und um zu lernen, wie wir als Kirche insgesamt Missbrauch möglichst vermeiden können", erklärte Passaus Bischof Stefan Oster. Die Erkenntnisse der Untersuchung würden sicher schmerzhaft sein, "weil wir sehen werden, welches Leid den Betroffenen zugefügt wurde und wer die Taten gedeckt und somit direkt oder indirekt mit ermöglicht hat". Er hoffe aber, dass der Prozess am Ende für die ganze Kirche von Passau reinigend sein werde.
"Das Forschungsprojekt strebt zunächst eine zahlenmäßige Erhebung der Missbrauchsfälle an, die Aufschluss über deren Dimension sowie etwa über 'typische' Beteiligte und Tatkontexte im Wandel der Zeit geben soll", erläuterte Professor von Knorring das geplante Vorgehen. Schwerpunktmäßig ziele es dann auf die Herausarbeitung von Nährböden und Ermöglichungsfaktoren für den Missbrauch von minderjährigen Schutzbefohlenen durch Geistliche ab, wobei neben den innerkirchlichen Strukturen besonders das soziale Umfeld der Betroffenen und seine Rolle beim Vertuschen oder Verschweigen der Taten beleuchtet werden solle. "Diese Kombination von quantitativer und qualitativer Untersuchung mit ihren speziellen Schwerpunktsetzungen hebt die geplante Passauer Langzeitstudie in Anlehnung an die Studie des Bistums Münster deutlich von anderen ab", so der Historiker weiter. Dabei gehe es jedoch nicht nur um Aufklärung über vergangene Geschehnisse und ihre Ursachen. Vielmehr seien zugleich wichtige Hinweise für die Ausrichtung zukünftiger Präventionsarbeit zu erwarten.
Studie strebt vollständige Erschließung von rund 3.500 Personalakten an
Grundlage des jetzt erfolgten Beschlusses der Kommission waren den Angaben zufolge intensive Diskussionen über Erkenntnisse bereits vorliegender Studien wie der MHG-Studie und des Gutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) für das Erzbistum München und Freising. Auch in Passau werde bereits an den notwendigen Konsequenzen daraus gearbeitet. "Die Kommission steht darüber im Dialog mit dem Bischof, von dem sie die aus ihrer Sicht notwendigen Reformen an Haupt und Gliedern einfordert", hieß es in der Mitteilung am Freitag.
Mit der Studie versucht die Passauer Kommission nach eigenen Angaben, dem Auftrag zur quantitativen und qualitativen Aufarbeitung gerecht zu werden, wie er in der "Gemeinsamen Erklärung" der Deutschen Bischofskonferenz und des Unabhängigen Beauftragen der Bunderegierung im April 2020 formuliert wurde. Die Studie strebe eine vollständige Erschließung der rund 3.500 Personalakten und anderer Aktenbestände des Bistums an, um eine wissenschaftlich zuverlässige Erschließung des Missbrauchsgeschehens im Zeitraum zunächst ab 1945 zu leisten. Genauso wichtig wie die Erhebung von Tätern, Taten und betroffenen Opfern sei zudem der Blick auf den administrativen Umgang verantwortlicher Personen vor dem Hintergrund kirchlich-systemischer Strukturen. (stz)