Franziskus verteidigt das Konzil gegen die Restauration
Papst Franziskus sorgt sich um das Konzil. Ein Jahrhundert dauere es, bis ein Konzil Wurzeln schlage, sagte er vor kurzem im Interview mit den europäischen Jesuitenzeitschriften: "Wir haben also noch vierzig Jahre Zeit, um es zu etablieren!" – und nicht nur zu etablieren, sondern es auch gegen seine Verächter zu verteidigen. "Die Restauration ist gekommen, um das Konzil zu knebeln", heißt es im selben Interview. Diese Diagnose und diese Agenda ist die Folie, vor der das Apostolische Schreiben zur liturgischen Bildung "Desiderio Desideravi" zu lesen ist.
Anders als der erste große Aufschlag von Papst Franziskus zur Liturgie, die weitgehende Eindämmung der vorkonziliaren Messe durch das Motu Proprio "Traditionis Custodes" im vergangenen Jahr hat das neue Dokument keinen rechtlichen Charakter. Man sollte aber nicht den Fehler machen, es deshalb geringzuschätzen und die "Meditation" – so die Einordnung des Liturgie-Dikasteriums – als bloße geistliche Fingerübung verstehen. Als programmatischer Text hat "Desiderio Desideravi" eine weit größere Tragweite und einen weit größeren Anspruch als die grundlegende Reform des Liturgierechts im vergangenen Jahr. Papst Franziskus hatte damals die von Papst Benedikt XVI. erfundene Figur der "zwei Formen" des einen römischen Ritus schlichtweg abgeschafft. Nun unterfüttert er dieses Machtwort umfassend theologisch und ekklesiologisch.
Im Volltext: Apostolisches Schreiben "Desiderio Desideravi"
In seinem Schreiben wendet sich Papst Franziskus an Kleriker, Ordensleute und Laien, um die Bedeutung der Liturgie für die Kirche starkzumachen.
Die brüske Zurückweisung zentraler Unternehmungen eines Vorgängers ist unter Päpsten völlig unüblich. Die nachkonziliare Liturgie sei "die einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus", dekretierte Papst Franziskus gegen Benedikt XVI. Die Zurückweisung seines Vorgängers garnierte Franziskus immerhin noch mit respektvoller Reverenz. Der "verehrte Vorgänger" sei geleitet gewesen von der Sorge um Eintracht und Einheit in der Kirche, heißt es in "Traditionis Custodes". In "Desiderio Desideravi" fehlt nicht nur jede Reverenz; Benedikt XVI. taucht nicht einmal in den Fußnoten auf, kein versöhnender Formelkompromiss sucht Kontinuität, keine Erwähnung der durchaus an Franziskus' Positionen anschlussfähigen Liturgietheologie seines Vorgängers.
Die Lehre des Zweiten Vatikanums als ganzes erhalten
Das Projekt des Papstes ist stattdessen die Kontinuität und Kohärenz der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Rückbesinnung auf eine christliche Existenz aus der Mitte der Liturgie heraus, die er als Kern der Konzilsreformen ausmacht. Auffallend ist, dass nicht nur sein direkter Vorgänger fehlt. Auch Johannes Paul II. taucht nur auf, um seine Genehmigung der neuen liturgischen Bücher zu erwähnen. Der naheliegende Bezug auf die Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia" Johannes Pauls II. fehlt, selbst da, wo Franziskus den Gedanken des Staunens aus dieser Enzyklika auftaucht. In "Ecclesia de Eucharistia" wurde zugleich mit der Betonung, dass die Kirche von der Eucharistie lebt, die Unmöglichkeit eucharistischer Gemeinschaft mit protestantischen Kirchen betont – Franziskus dagegen betont stärker die Hoffnung auf Gemeinschaft, wenn auch ohne Abstriche vom Erfordernis der Kirchenzugehörigkeit zu machen: "Die Welt weiß es noch nicht, aber alle sind zum Hochzeitsmahl des Lammes eingeladen", heißt es in "Desiderio Desideravi" ohne ökumenische Spitze.
Deutlich weist Franziskus eine rein ästhetische Betrachtung der Liturgie zurück: "Die ständige Wiederentdeckung der Schönheit der Liturgie ist nicht das Streben nach einem rituellen Ästhetizismus, der sich nur an der Pflege der äußeren Formalität eines Ritus erfreut oder sich mit einer skrupulösen Einhaltung der Rubriken zufrieden gibt." Es greife zu kurz, die Spannungen um die verschiedenen rituellen Formen als Geschmacksfrage zu verstehen: "Die Problematik ist in erster Linie ekklesiologischer Natur. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann, dass man die Gültigkeit des Konzils anerkennt – obwohl ich mich ein wenig wundere, dass ein Katholik sich anmaßen kann, dies nicht zu tun – und nicht die Liturgiereform akzeptieren kann, die aus Sacrosanctum Concilium hervorgegangen ist und die die Realität der Liturgie in enger Verbindung mit der Vision der Kirche zum Ausdruck bringt, die in Lumen Gentium auf bewundernswerte Weise beschrieben wurde." Klarer als es der Papst hier tut, ist kaum auszudrücken, was das Diktum "lex orandi – lex credendi" für das Gesamt der Beschlüsse des Zweiten Vatikanums besagt: Die Form der Feier des zentralen Mysteriums der Kirche, die lex orandi, kann nicht getrennt werden von der Lehre über die Gestalt der Kirche und des Glaubens, der lex credendi.
Kein Zurück zur vorkonziliaren Liturgie möglich
Eine Steinbruchexegese der Konzilstexte verbietet sich. Ohne das Wort zu verwenden, wendet sich Franziskus im Wortsinn gegen Häresie, also eine selektive Auswahl aus dem Gesamt. Wie die einzelnen großen Konzilsdokumente ein organisches Ganzes bilden, skizziert er in einem Satz: "Es ist die Realität der Moderne, mit der sich die auf dem Konzil versammelte Kirche auseinandersetzen wollte, indem sie ihr Bewusstsein bekräftigte, Sakrament Christi und Licht der Heiden zu sein (Lumen Gentium), indem sie sich in das religiöse Hören auf das Wort Gottes versetzte (Dei Verbum) und indem sie die Freuden und Hoffnungen der Menschen von heute als die ihren anerkannte (Gaudium et spes)." Die großen konziliaren Konstitutionen seien "untrennbar miteinander verbunden", und es sei kein Zufall, dass sie "ihren Ausgangspunkt in der Liturgie (Sacrosanctum Concilium)" hatte.
So erklärt sich die harsche und von Verfechtern der vorkonziliaren Form als unbarmherzig empfundene Linie des Papstes, die Liturgie in ihrer konziliar erneuerten Form so stark zu machen. Die Theologie des Konzils sei eine Einheit, so der Papst. "Deshalb können wir nicht zu jener rituellen Form zurückkehren, die die Konzilsväter cum Petro und sub Petro für reformbedürftig hielten, indem sie unter der Führung des Geistes und nach ihrem Gewissen als Hirten die Grundsätze billigten, aus denen die Reform hervorging", betont er. Deshalb habe er "Traditionis Custodes" geschrieben, "damit die Kirche in der Vielfalt der Sprachen ein und dasselbe Gebet erhebt, das ihre Einheit zum Ausdruck bringt", und noch schärfer: "Diese Einheit möchte ich, wie ich bereits geschrieben habe, in der gesamten Kirche des Römischen Ritus wiederhergestellt sehen."
Eine "Reform der Reform" gibt es mit Franziskus nicht. Dieses Schlagwort hatte unter Benedikt XVI. und noch zu Beginn des Pontifikats von Franziskus Konjunktur, als mit Kardinal Robert Sarah ein dezidierter Verfechter dieser Denkschule an der Spitze der Liturgiekongregation stand. Anstatt Sarahs Initiative für die Zelebrationsrichtung ad orientem aufzugreifen, bremste Franziskus seinen Präfekten deutlich ein. Wenn überhaupt, wurde die damals noch so genannte "außerordentliche Form" leicht reformiert, indem der Heiligenkalender und die Präfationen um nachkonziliare Heilige ergänzt wurde. Sarah musste sein Birett nehmen, ihm folgte als Präfekt sein vormaliger Stellvertreter, Erzbischof Arthur Roche, der ganz auf der konziliaren Linie von Franziskus steht. Die Regelungen von "Traditionis Custodes" verschärfte Roche im Dezember des vergangenen Jahres noch mit einer Instruktion. Obwohl Instruktionen eigentlich nur bestehendes Recht auf seine Auslegung hin konkretisieren sollen, wurden darin Regelungen getroffen, die faktisch neue, noch schärfere Einschränkungen für die Feier der vorkonziliaren Liturgie bedeuteten. Franziskus ließ Roche gewähren. Seit Monaten bereitete Roche das nun erschienene Schreiben in Interviews mit internationalen Medien vor.
Guardini wichtigster Gewährsmann
So stark Franziskus die ekklesiologische Bedeutung der Liturgie macht: Der Untertitel seines Schreibens handelt von der liturgischen Bildung. Der Papst greift hier den Titel eines Aufsatzes des Pioniers der liturgischen Bewegung Romano Guardini auf. Auf keinen anderen Denker bezieht sich Franziskus in seinem Schreiben stärker, mit ausführlichen wörtlichen Zitaten. Mit Guardini betont er die Aufgabe, wieder zu lernen, "als volle Menschen im religiösen Verhältnis zu stehen". Genau das ermögliche die Liturgie, und um dieses Ziel zu erreichen, helfen weniger "Reformen in Ritus und Text", stattdessen brauche es eine "ernsthafte und belebende" liturgische Bildung: "Wie können wir in der Fähigkeit wachsen, die liturgische Handlung voll zu leben? Wie können wir weiterhin darüber staunen, was bei der Feier vor unseren Augen geschieht?", fragt Franziskus.
Der Papst übernimmt für sein liturgisches Bildungsprogramm ein zentrales Anliegen Guardinis: "Der Mensch muss wieder symbolfähig werden." In der Franziskus eigenen Verfallsrhetorik wird zunächst geklagt, dass der Mensch die Fähigkeit verloren habe, Symbole zu lesen und zu leben. Ebenso franziskustypisch und ganz auf der Linie seines ersten großen Programmschreibens "Evangelii Gaudium" vom Beginn seines Pontifikats stellt er abstraktes Wissen und abstrakte Begriffe gegen das Konkrete: "Symbole zu lesen ist keine Angelegenheit des mentalen Wissens, der Aneignung von Begriffen, sondern eine lebendige Erfahrung", heißt es nun. Dass Liturgie auf Symbole setze, sei dabei keine ästhetische Vorentscheidung, sondern eng mit der Fleischwerdung Gottes verknüpft. Liturgie wolle den Menschen existenziell einbeziehen: "Diese existentielle Einbeziehung geschieht – in Fortführung und im Einklang mit der Weise der Inkarnation – durch sakramentale Mittel. Die Liturgie besteht aus Tatsachen, die genau das Gegenteil von spirituellen Abstraktionen sind: Brot, Wein, Öl, Wasser, Duft, Feuer, Asche, Stein, Tuch, Farben, Körper, Worte, Töne, Stille, Gesten, Raum, Bewegung, Handlung, Ordnung, Zeit, Licht." Ohne ökumenische Spitze wird hier auch deutlich, was den katholischen Ansatz der Liturgiereform von einem reformatorischen Ansatz des sola scriptura unterscheidet.
Alte Häresien neu interpretiert
Als "Gegenmittel gegen das Gift der spirituellen Weltlichkeit" sieht der Papst Liturgie als Antwort auf die von ihm beginnend mit "Evangelii Gaudium" problematisierten Zerrbilder des Christentums, die er mit neuen Formen alter Häresien identifiziert: Einen neuen Gnostizismus, der Glauben abstrakt und individualistisch fasst (Franziskus: "In der Liturgie heißt es nicht 'ich', sondern 'wir'"), und einen neuen Pelagianismus "mit der Anmaßung eines durch eigene Anstrengung verdienten Heils". Beide klassischen Häresien über die Erlösung hatte die Glaubenskongregation auf der Grundlage von Papst Franziskus Lehramt bereits 2018 für die Deutung der Gegenwart fruchtbar gemacht. Mit Blick auf die konkrete Gestaltung zeigen diese Wertungen nicht nur einem traditionalistischen Beharren auf liturgische Normen Grenzen auf, sondern auch falsch verstandener Kreativität und Spontaneität. "Jede Rubrik muss beachtet werden", damit die Gemeinde nicht um die authentische Liturgie betrogen wird. Zugleich müsse zur Norm aber auch der existenzielle Mitvollzug der Liturgie kommen: "Die ars celebrandi kann nicht auf die bloße Einhaltung eines rubrizistischen Apparats reduziert werden, noch kann sie als eine phantasievolle – manchmal wilde – Kreativität ohne Regeln betrachtet werden." Die Norm stehe im Dienst einer höheren Wirklichkeit.
In "Desiderio Desideravi" zeigt sich eine Kontinuität im Pontifikat von Franziskus, beginnend mit "Evangelii Gaudium" bis heute, die es in anderen Fragen nicht gibt – und die ein anderes Licht auf diesen Papst wirft als das Klischee: Als Glaubenspräfekt hatte Kardinal Gerhard Ludwig Müller sich gönnerhaft als theologischer Ausputzer des pastoralen Papstes angeboten. Nun zeigt sich, wie falsch Müller auch hier lag. Als Mandat von Franziskus wurde nach der Unzufriedenheit mit dem Zustand der Kurie im Vorkonklave und der aufrüttelnden Rede des damaligen Kardinals Jorge Mario Bergoglio die Reform der Kurie gesehen; lange hat es gedauert, bis in diesem Jahr die Konstitution zur Kurienreform in Kraft gesetzt wurde – mit einem Umfang, der kaum etwas substantiell geändert hat. Scheinbar zentrale Begriffe wie der der "heilsamen Dezentralisierung" – auch "Evangelii Gaudium entnommen" – sind in der Praxis nicht nur nicht eingelöst worden, sondern ins Gegenteil verkehrt worden: Immer mehr Kompetenzen wurden nach Rom gezogen, die angekündigte Stärkung der Ortskirchen und Bischofskonferenzen – die Franziskus als Desiderat des Zweiten Vatikanums benannte – blieb weitgehend aus. Recht und Verwaltung sind nicht die Stärken des Papstes – ganz anders als die großen theologischen Linien.
Das neue Schreiben steht nämlich anders als die Verwaltungsreformen ganz in der Kontinuität der Welt- und Kirchendeutung von "Evangelii Gaudium", die das Konkrete über das Abstrakte stellt, und die die Zeitgenossenschaft, aber nicht das Komplizentum der Kirche mit der modernen Welt im Sinne des Konzilsdokuments "Gaudium et Spes" stark macht. Mit seiner Betonung der Einheit der Lehre des Zweiten Vatikanums hat Franziskus diese Prinzipien nun explizit ekklesiologisch und dogmatisch verortet – und so erklärt sich auch, dass ausgerechnet ein Papst aus dem als wenig liturgieaffin geltenden Jesuitenorden die Liturgie so ins Zentrum seines Pontifikats stellt: Nur so scheint es ihm möglich, an die Wurzel der Restauration zu kommen, die das Konzil knebeln will.
Aus für "Summorum Pontificum": Die wahre Tradition bestimmt der Papst
Mit seinem neuen Motu Proprio "Traditiones Custodes" hat Papst Franziskus die Feier der Alten Messe massiv eingeschränkt. Für Felix Neumann liegt in der Entscheidung ein klares Bekenntnis zur fortschreitenden Dynamik der Tradition: Der Weg der Kirche liege nicht darin, das Wahre im Gestern zu suchen. Eine Analyse.