Wann in der Liturgie geküsst wird und warum
Das Küssen von Kreuz, Altar und Evangelienbuch ist Ausdruck einer besonders innigen Hinwendung zu Gott, erklärt der Liturgiewissenschaftlicher Marco Benini aus Trier im Gespräch mit katholisch.de. Früher wurde in der Liturgie allerdings noch mehr geküsst als heute. Welche liturgischen Formen des Küssens es gibt und welche Symbolhandlungen damit verbunden sind, erklärt Benini und gibt einen Überblick.
Der Kuss der Stola
Vor Beginn des Gottesdienstes legt der Priester oder der Diakon in der Sakristei seine liturgische Kleidung an. Bevor er die Stola um den Hals legt, küsst er sie, auch wenn es seit der Liturgireform nicht mehr vorgeschrieben ist. "Mit diesem Akt bereitet er sich bewusst auf seinen Dienst am Altar vor", erklärt Liturgiewissenschaftler Marco Benini.
Der Kuss am Altar
Der Priester und der Diakon küssen zu Beginn und am Ende der Eucharistie den Altar. "Das ist auch ein wichtiges Begrüßungs- und Abschiedsritual", betont Benini. Der Altar steht für Christus, den Eckstein der Kirche (1 Petr 2,4-8). Die Altarplatte wird dabei etwa mittig mit den Lippen berührt. "So wird der Kuss zu einem innigen Zeichen für die Liebe und Hingabe an Christus", betont Benini. Wenn der Priester oder der Diakon zu Beginn der Messe den Altar küsst, sammelt er sich somit auch innerlich für die Feier. Schon im 8. Jahrhundert beschreibt eine Messordnung ausführlich den Ritus des Altarkusses. Es ist das früheste Zeugnis für diese besondere Form der Verehrung. Sind mehrere Konzelebranten bei der Messe, küssen sie beim Einzug jeweils zu zweit nacheinander den Altar. "Bekannt ist der Brauch schon in der Antike, den Altar und die Schwelle des Tempels beim Eintreten zu küssen", erläutert der Liturgiewisenschaftler Benini.
Seit dem Mittelalter galt der Altarkuss vor allem der Verehrung der Reliquien, die im Altar hinterlegt wurden. Das Begleitgebet dazu, das der Priester seit 1570 im römischen Ritus sprach, unterstrich dies deutlich: "Herr, wir bitten Dich: Durch die Verdienste Deiner Heiligen, deren Reliquien hier ruhen, sowie aller Heiligen, verzeih mir gnädig alle Sünden. Amen."
Im Mittelalter vermehrte sich auch die Zahl der Altarküsse in der Messe deutlich. Der Priester küsste den Altar jedes Mal, bevor er sich mit einer Akklamation ("Dominus vobiscum", "Orate fratres") der Gemeinde zuwandte, ferner im eucharistischen Hochgebet bei den Gebeten "Te igitur" und "Supplices". Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) vereinfachte die Messrituale und reduzierte damit auch die Anzahl der Küsse am Altar auf den Beginn und das Ende des Gottesdienstes. "Auch das Begleitgebet fiel weg und der Altarkuss wurde wieder ein stilles Ritual", erläutert der Liturgiewissenschaftler. Je nach Gewohnheit kann die zuständige Bischofskonferenz den Altarkuss durch ein anderes Zeichen ersetzen. "Aus der Kirche in Japan ist das Berühren des Altares mit der Stirn bekannt", so Benini.
Der Kuss des Evangeliars
Nach dem Vortragen des Evangeliums wird das Evangelienbuch vom Priester oder vom Diakon geküsst. Der Priester spricht still ein Vorbereitungsgebet, bevor er das Evangelium verkündet. Verkündet das Evangelium ein Diakon, bittet er den Priester um dessen Segen.
Auch das Evangelienbuch steht für Christus. Der Kuss des Evangeliars gilt also nicht dem Buch selbst, sondern Christus, der im Moment der Verkündigung des Evangeliums gegenwärtig ist. Besondere Zeichen wie die brennenden Kerzen, der Weihrauch und der Kuss des Buches betonen die Wichtigkeit der Verkündigung des Lebens Jesu. Nach dem Verlesen des Evangeliums spricht der Priester folgende Worte: "Evangelium unseres Herrn Jesus Christus" und hebt das Buch hoch, so dass es alle sehen können. Die Gläubigen antworten darauf: "Lob sei dir, Christus". Danach küsst der Priester oder der Diakon das Evangeliar auf der Innenseite. Dazu betet er still für sich: "Herr, durch dein Evangelium nimm hinweg unsere Sünden". "Das Gebet drückt aus, dass die Verkündigung des Wortes auch eine sündenvergebende Kraft hat. Danach wird das Buch wieder auf den Altar oder an einem anderen Ort abgelegt", erläutert Benini.
Der Friedenskuss
Das Ritual des Friedenskusses geht zurück auf die Bibel. Schon beim Apostel Paulus heißt es: "Begrüßt einander mit dem heiligen Kuss" (1 Röm 16,6, oder 1 Kor 16, 20). Ein heiliger Kuss oder Friedenskuss als Zeichen der geschwisterlichen Verbundenheit aller am Gottesdienst Teilnehmenden war offenbar schon in apostolischer Zeit üblich, meint Benini. In 1 Petr 5, 14 heißt es noch genauer: "Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe und des Friedens. Christus sei mit euch allen" (2 Kor 13,12).
Beim Kirchenvater Justin dem Märtyrer findet sich bereits um 150 n. Chr. eine genaue Beschreibung der Messe, die auch den Friedenskuss vor der Gabenbereitung erwähnt. Auch in einer Kirchenordnung vom Anfang des 3. Jahrhunderts findet sich die Beschreibung des Friedenskusses. "Dieser Kuss wurde später stilisiert und wird heute durch eine Umarmung der Konzelebranten am Altar beim Friedensgruß angedeutet. Bei dieser Umarmung können sich die linken Wangen annähern", so Benini. Auch bei der Diakonen-, Priester- und Bischofsweihe werden die Neugeweihten umarmt, aber nicht mehr geküsst. Bei der Abtsweihe umarmt der Bischof den neuen Abt. Ebenso tun dies die Angehörigen des Klosters und die Konzelebranten. "Den Friedensguß, oft in Form der Umarmung, bekommt auch ein neues Ordensmitglied bei seiner Profess von allen Mitglieder des Konvents als Zeichen seiner Eingliederung in die Gemeinschaft", ergänzt Benini.
Interessant ist auch die mittelalterliche Praxis der sogenannten "Paxtafeln". Diese "Friedenstafeln" wurden vom Priester geküsst und dann unter den Gläubigen verteilt, damit diese sie, nach Geschlechtern getrennt, auch küssen konnten. "Üblich war diese Form des indirekten Friedenskusses bis ins 18. Jahrhundert", erklärt Benini. Die Kusstafeln waren aus Elfenbein, Holz oder Metall und mit einem Kreuz oder religiösen Symbolen verziert. Sie konnten auch eine Reliquie enthalten.
Heute sind der Handschlag oder das Händeschütteln die üblichen Formen des Friedensgrußes vor der Kommunion, zu dem der Priester oder der Diakon mit den Worten einlädt: "Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung". Die Gottesdienstteilnehmer reichen sich dann die Hände und wünschen sich gegenseitig: "Der Friede sei mit dir". Seit der Corona-Pandemie hat sich das freundliche Zunicken, Verneigen oder Zuwinken etabliert. Die genaue Form des Friedensgrußes ist allerdings nicht festgelegt und daher ist auch das Umarmen oder Küssen in der Kirchenbank erlaubt. Übrigens ist der Handschlag auch biblisch begründet. So heißt es bei Paulus in Gal 2,9, dass sich Petrus und Paulus als Zeichen der Gemeinschaft die Hand ausgestreckt haben. "Und dieses Zeichen dient uns, Frieden zu schließen." "Je nach Kulturkreis wird dies auch unterschiedlich gehandhabt", fasst der Liturgiewissenschaftler zusammen.
Der Kuss des Bischofsringes
Der Kuss des Bischofsrings oder Fischerrings des Papstes gehört zu den heute noch möglichen, aber nicht mehr gebotenen Höflichkeitsformen gegenüber einem Bischof. Dieser Kuss bringt die Verehrung und den Gehorsam gegenüber einem Bischof oder dem Papst zum Ausdruck. Papst Franziskus gefällt diese Geste nicht und er freut sich darüber, wenn Besucher ihm die Hand geben.
Der Kuss des Kreuzes und anderer religiöser Gegenstände
Der Kuss von Reliquien in einem Reliquiar als Zeichen der Heiligenverehrung ist eine heute noch übliche Form der Frömmigkeit. Genauso wie das Küssen von Andachtsbildern, Marienstatuen, Heiligenfiguren, Medaillen, Ikonen oder anderen Devotionalien. Es ist Ausdruck einer besonderen Nähe zu Gott und der Bitte um Segen. Auch das Küssen des Kreuzes zu Beginn des Rosenkranzgebetes zählt dazu. Früher war es auch üblich, dem Sterbenden ein Sterbekreuz für einen letzten Kuss zu reichen.
Am Karfreitag wird in der Liturgie auch das Kreuz bei der Kreuzverehrung Christi geküsst. So treten üblicherweise nach der Enthüllung des Kreuzes die Gläubigen nach vorne und können es durch Niederknien, das Ablegen von Blumen oder Küsse verehren. Im Hochmittelalter küsste der Priester zu Beginn der heiligen Messe neben dem Altar und dem Evangeliar auch das Altarkreuz oder ein Kreuzigungsbild im Messbuch. Im Mittelalter war auch das Küssen von Gegenständen oder der Hand des Priesters vor der Gabenbereitung in der heiligen Messe üblich. "Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils hat diese vielfältigen Formen des Kusses allerdings wieder abgeschafft. Und ermöglichte so einfachere Riten und Symbolhandlungen", erklärt Benini.
Der Kuss am Gründonnerstag
Die Liturgie am Gründonnerstag stellt mit dem Abendmahl das Leiden und Sterben Jesu in den Mittelpunkt. In einigen katholischen Gemeinden wird auch der Ritus der Fußwaschung praktiziert. Nach dem Vorbild Jesu und als Symbol für die tätige Nächstenliebe werden dabei meist zwölf Personen, angelehnt an die Jüngerzahl Jesu, von Priestern, Bischöfen oder vom Papst die Füße gewaschen. "Seit 1970 ist die Zahl von 12 Personen allerdings nicht mehr vorgeschrieben und es können Frauen oder Männer sein, denen in der Liturgie die Füße gewaschen werden", weiß der Liturgiewissenschaftler Benini. Papst Franziskus ist dafür bekannt, dass er den Gläubigen dabei auch die Füße küsst, als ein Zeichen der Nächstenliebe.