Sozialpfarrer Kossen wirft Vatikan "Realitätsverweigerung" vor
Die aktuelle Krise der katholischen Kirche macht den als Sozialpfarrer bekannten Peter Kossen "zornig" und "ungeduldig". Er sehe im Vatikan eine "Realitätsverweigerung", sagte er den Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse (Sonntag) in Osnabrück. "Dort wird als Argument gebracht: Wir müssen aufpassen, dass es keine Kirchenspaltung gibt, weil Teile der deutschen Kirche zu weit voranpreschen. Aber man hat doch eine Kirchenspaltung längst zugelassen – zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz vielen Ländern."
Viele Menschen verzweifelten derzeit an der Kirche, so der Pfarrer der Kirchengemeinde Seliger Niels Stensen im westfälischen Lengerich. "Vielen fehlt das Gefühl, sich zu identifizieren mit der Gemeinde. Das ist doch alles mühsam geworden – auch bei Menschen, die immer selbstverständlich mitgemacht haben." Er selbst spüre diese Verzweiflung nicht. "Aber ich habe sehr wohl Zweifel daran, dass die Kirche ohne einen großen Crash da durchkommt." Lange habe er geglaubt, dass sie in der Lage sei, sich immer wieder zu reformieren. "Diese Gewissheit ist mir abhandengekommen."
"Ich bin auch sprachlos, wenn der Bischof dasitzt und weint"
Kossen berichtete von einer Sitzung des Priesterrats im Bistum Münster, dem er selbst angehört und der Bischof Felix Genn berät: "Da habe ich gesehen, wie sehr das alle ratlos und traurig macht", sagte er und fügte hinzu: "Ich bin auch sprachlos, wenn der Bischof dasitzt und weint. Die Situation ist ja auch zum Heulen." Trotzdem denke er, dass die Kirche weitergehen müsse. "Ich will das alles überhaupt nicht relativieren oder schönreden. Aber eine Krisensituation birgt auch immer die Chance, etwas zu gestalten."
Kossen ist Dechant im Dekanat Ibbenbüren und wurde im vergangenen Jahr in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gewählt. Als Sozialpfarrer setzt er sich seit vielen Jahren für die Rechte von Arbeitern ein, insbesondere in der Fleischindustrie. Bundesweit bekannt wurde er im Zusammenhang mit Corona-Ausbrüchen in westfälischen Schlachthöfen. (KNA)