Regensburger "Austrittstelefon": "Oft kommen Lebensthemen zur Sprache"
Wie bereits in den Jahren zuvor hat das Bistum Regensburg nach der Veröffentlichung der Kirchenstatistik der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ein "Austrittstelefon" geschaltet. Menschen, die über einen Kirchenaustritt nachdenken oder diesen Schritt schon getan haben, sind eingeladen, über ihre Zweifel, Fragen oder Beschwerden zu sprechen. Am heutigen Freitag endet die Aktion. Einer von den zwei Ansprechpartnern, die es dieses Mal gab, war erneut Diözesan-Caritasdirektor Michael Weißmann. Im Interview erläutert er, aus welchen Gründen Menschen anrufen, was er den Anrufern mit auf den Weg gibt – und was die Kirche aus dem Erzählten lernen kann.
Frage: Herr Weißmann, wie oft hat Ihr Telefon in den vergangenen Tagen geklingelt?
Weißmann: Ich bin jetzt zum siebten Mal bei dieser Aktion dabei – und dieses Mal ist es deutlich weniger als sonst. Im Schnitt waren es jetzt täglich drei bis vier Anrufe. Wir hatten dieses Jahr bereits einmal das Austrittstelefon geschaltet, das war im Januar nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens. Da war deutlich mehr los.
Fragen: Haben die Leute, die anrufen, wirklich Interesse an einem konstruktiven Gespräch – oder nutzen sie den Anruf eher für eine Art Generalabrechnung?
Weißmann: Das Gros der Anrufer hat schon Interesse an einem konstruktiven Gespräch – übrigens nicht immer unbedingt über das Thema Austritt. Seit diesem Jahr heißt die Aktion ja "Kirche offen", und das wird auch genutzt. Aber es gibt auch einen kleinen Teil, der, salopp gesagt, den Kotzkübel ausschütten will und nur Dampf ablassen möchte. Da hört man natürlich auch viele Beschimpfungen und Unterstellungen.
Frage: Wenn viele Menschen nicht unbedingt über das Thema Austritt reden – welche Themen sind es dann?
Weißmann: Der Austritt ist manchmal nur vordergründig ein Thema und wird nur am Rande erwähnt. Oft sind es Lebensthemen, es sind existenzielle Geschichten, Brüche, die die Menschen beschäftigen. Natürlich auch viel Anfrage an die Kirche. Da gibt es eine große Bandbreite. Unser Angebot wird auch über das Bistum hinaus genutzt. Es gibt in anderen Diözesen nicht viele vergleichbare Angebote.
Frage: Die Motive dafür, über einen Kirchenaustritt nachzudenken, sind sicher unterschiedlich. Wenn Sie Ihre bisherigen Einsätze beim Austrittstelefon rekapitulieren: Welche sind die meistgenannten Gründe bei den Gesprächen?
Weißmann: Wenn es konkret um das Thema Austritt geht, ist es mittlerweile tatsächlich das Thema Kirchensteuer. Das ist vor allem seit diesem Jahr der Fall. Vorher war das nicht so präsent. Ich bringe das damit in Zusammenhang, dass wir in einer finanziellen Krise sind, durch die Folgen des Kriegs und der Inflation. Das beschäftigt viele Menschen.
Frage: Spielt bei den Telefonaten auch der von vielen beklagte Reformstau in der Kirche eine Rolle?
Weißmann: Natürlich ist auch das immer wieder einmal Thema. Es gibt aber auch die, die fürchten, dass die Kirche zu viel aufgibt. Das ist gar nicht so leicht unter einen Hut zu bringen. Ich versuche dann immer zu sagen, dass das ja auch das Positive an der katholischen Kirche ist, dass viele Menschen in ihr Platz haben, dass man sich nicht ausschließlich auf eine Denkweise festlegen muss. Klar, es gibt unsere Regeln und Gebote, es gibt unsere Grundordnung. Trotzdem gibt es auch unter diesen Bedingungen ganz viele Gesprächsmöglichkeiten und ganz viel Interpretationsspielraum, der auch von der verfassten Kirche genutzt wird.
Frage: Wie nehmen das diejenigen Anrufer auf, die auf weitreichende Reformen in der Kirche hoffen? Reicht denen diese Erklärung?
Weißmann: So eine Unzufriedenheit kann man an der Stelle nur schwer ausräumen. Ich versuche dann Mut zu machen und das Vertrauen in den laufenden Prozess zu stärken.
Frage: Es heißt, es denken verstärkt Leute aus der Mitte der Kirche, die sich jahrzehntelang engagiert, haben über einen Austritt nach. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen aus den Telefonaten?
Weißmann: Die aus der Mitte der Kirche sind die, die anrufen und wirklich sprechen wollen. Sie wollen nachfragen, sie wollen unter Umständen Lösungen hören. Die tatsächlich Austrittswilligen dagegen wollen sich nochmal beschweren.
Frage: Was ist Ihr vorrangiges Ziel bei den Gesprächen? Wollen Sie die enttäuschten Menschen vor allem davon überzeugen, der Kirche noch eine Chance zu geben?
Weißmann: Zunächst biete ich mich einfach als Zuhörer an. Wenn ich dann merke, ich spreche mit jemanden, der für Argumente offen ist, versuche ich natürlich, das Denken der Person anzuregen und ihn ein Stück mitzunehmen in meine Welt. Da versuche ich, meine Begeisterung für die Kirche weiterzugeben. Ich sehe das aber nicht als missionarische Arbeit. Dafür ist bei den Anrufern meistens zu viel passiert. Aber es ist wichtig, dass sie merken, es gibt Stellen in der Kirche, wo ihnen jemand zuhört und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen ringt. Wir wollen zeigen, dass unsere Tür offen ist.
Frage: Was ist Ihr Eindruck: Können Sie bei einigen Anrufern für eine andere Sicht sorgen oder ein Umdenken anstoßen?
Weißmann: In Einzelfällen sicher schon. Da habe ich den Eindruck, am anderen Ende der Leitung sitzt jemand, der sich weiter Gedanken machen wird. Ich kann in diesen Telefonaten natürlich nicht alles final bearbeiten. Ich biete dann auch Stellen an, wo man weitersprechen kann, wo man das vertiefen kann, was einen besonders beschäftigt. Aber natürlich bekomme ich so gut wie nie Rückmeldung, ob jemand geblieben oder gegangen ist.
Frage: Sie sind Caritasdirektor. Viele verweisen darauf, dass in der Kirche auch viel Gutes passiert – gerade im sozialen Bereich. Hilft das auch in den Gesprächen, in denen es um einen möglichen Austritt geht?
Weißmann: Der sozial-caritative Teil ist ein ganz vitaler in der Kirche. Gerade dort gibt es noch ganz viele Kontakte zu Menschen in verschiedenen Lebenslagen. Wenn es im Gespräch passt, erzähle ich schon davon. Ich stülpe das nicht über, aber wenn es sich fügt, dann sage ich schon, was es Gutes gibt. Man darf das aber nicht gegeneinander aufwiegen. Das geht nicht auf.
Frage: Wie nah geht Ihnen das persönlich, wenn die Menschen ihre Verletzungsgeschichten mit der Kirche erzählen?
Weißmann: Das ist natürlich eine bittere Erfahrung, wenn man eingestehen muss, dass das alles in meiner Kirche passiert ist, gerade wenn es um Missbrauchs- und Gewalterfahrungen geht. Ich bin ausgebildeter Berater und habe zehn Jahre in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung gearbeitet. Ich kann schon eine gewisse professionelle Distanz herstellen, wenn es nötig ist. Aber es geht einem schon nahe. Ich bin durchaus in einer verantwortlichen Position in der Kirche. Und wenn ich dann erkenne, dass unsere Kirche Schuld auf sich geladen hat, dann ist das kein angenehmes Gefühl.
Frage: Was kann die Kirche aus den Zeugnissen derer lernen, die sich bei der Aktion melden?
Weißmann: Was wir auf jeden Fall lernen können: Wir müssen Zuhörende sein. Und wir müssen uns um die konkreten Menschen bemühen. Es geht mittlerweile auch um individuelle Lebensentwürfe von Menschen. Wir müssen mit ihnen darüber ins Gespräch kommen. Das ist für mich schon ein Resümee aus diesem Angebot.