Interview mit den neuen Vorsitzenden des Berufsverbands

Pastoralreferenten: Jeder hat sich existenzielle Berufsfragen gestellt

Veröffentlicht am 05.08.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Ankum/Aschaffenburg ‐ Durch Priestermangel und Strukturprozesse hat sich das Berufsbild der Pastoralreferenten heute extrem gewandelt. Im katholisch.de-Interview sprechen die Vorsitzenden des Berufsverbands, Ruth Schmitz-Eisenbach und Marcus Schuck, über die Konsequenzen dieser Entwicklung – und ihre Hoffnungen.

  • Teilen:

Seit 2004 arbeitet Ruth Schmitz-Eisenbach als Pastoralreferentin im Bistum Osnabrück, seit 1996 ihr Kollege Marcus Schuck im Bistum Würzburg. Sie sind die neuen Vorsitzenden des Berufsverbands der Patoralferent*innen in Deutschland. Im katholisch.de-Interview sprechen sie darüber, wie sich ihr Berufsbild verändert hat, welche Sorgen die Kolleginnen und Kollegen haben und was ihnen Hoffnung gibt.

Frage: Vor über 50 Jahren wurden der Beruf des Pastoralreferenten in Deutschland eingeführt. Da ging man noch von einer Übergangslösung für die Seelsorge in Gemeinden aus. Wie hat sich das Berufsbild seitdem entwickelt?

Schmitz-Eisenbach: Mit Blick auf das Bistum Osnabrück hat sich das Bild von Kirche, das Priesterbild und damit auch unsere Rolle verändert. Das, was Priester typischerweise noch gemacht haben, als in den Bistumsdienst gegangen bin, ist heute gar nicht mehr so selbstverständlich nur noch Aufgabe von Priestern, etwa der Beerdigungsdienst. Heute ist es auch viel wichtiger geworden, ob die Leute aus dem Pastoralteam sympathisch sind, ob sie Antworten auf die Fragen der Gläubigen geben und etwas vom Glauben erzählen können, das auch verständlich ist und Relevanz hat. Es geht aber weniger darum, alles in Abgrenzung zum Priesteramt zu sehen, sondern zu schauen: Was ist eigentlich unsere eigene Passion und unser Profil?

Schuck: Es ist nicht in allen Bistümern schon so, dass bei den Einsätzen nicht mehr zwischen dem Einsatz von Priestern oder dem von Pastoralreferentinnen und -referenten unterschieden wird. Ich würde mir wünschen, dass Aufgaben stärker nach Kompetenz und nicht nach Weihe vergeben werden. Hier in Deutschland gibt es durch die vielen und recht diversen Berufsgruppen im pastoralen Bereich die Chance, dass nicht alles am Priester hängen muss. Und was das Alleinstellungsmerkmal angeht ist es so, dass nahezu alle Pastoralreferentinnen und -referenten mit einem vollen Theologiestudium ausgestattet sind, was in anderen Berufsgruppen in der Kirche nicht so ist. Das zeigt sich schon in der besonderen Rolle unseres Berufs, Theologie situationsgerecht und auf den konkreten Menschen und die konkrete Situation hin anzuwenden, sei es in der Gemeinde, im Krankenhaus, im Gefängnis oder wo auch immer Kolleginnen und Kollegen eingesetzt sind.

„Es ist nicht mehr so, dass alle, die mit 25 oder 30 Jahren in den Dienst gehen, auch bis zur Rente bleiben.“

—  Zitat: Pastoralreferent Marcus Schuck

Frage: Werden Sie in Ihrer alltäglichen Arbeit von den Gläubigen auch als eine Art "Ersatzpriester" wahrgenommen?

Schuck: Ich werde immer wieder als "Herr Pfarrer" angesprochen. Ich korrigiere das dann einmal, aber wenn es weiter vorkommt, ist das auch in Ordnung. Bei meiner letzten Stelle habe ich viel im Bereich Beerdigung gearbeitet. Da habe ich gemerkt: Was zählt ist die Zuwendung, dass man bei den Menschen ist und die richtigen Worte findet. Das ist entscheidender, als die Frage, ob man eine Messe feiern darf oder im Krankenhaus eine Krankensalbung spendet. Da ist ein Sterbesegen, den viele Kolleginnen und Kollegen Sterbenden spenden, auch eine passende Form.

Schmitz-Eisenbach: Das ist auch meine Erfahrung. Und interessanterweise kommt dann oft erst im Anschluss nach einem Wortgottesdienst zum Beispiel die Frage: "Wieso wirst du nicht Priesterin? Wieso geht das nicht?" Wenn die Menschen die Erfahrung machen, dass das authentisch und eine gute Form für sie ist, dann gibt es gar nicht unbedingt den Wunsch nach einem Priester. Und bei den Beerdigungen ist mir erst kürzlich aufgefallen, dass ich hier in der Pfarreiengemeinschaft die erste Frau bin, die regelmäßig im Beerdigungsdienst ist. Und da habe ich bisher erst ein oder zweimal die überraschte Frage erlebt: "Achso, Sie machen das? Ich dachte, sie machen nur Notizen für den Pastor." Aber es bekommt irgendwie schnell eine Selbstverständlichkeit, was mich ehrlich gesagt sehr freut.

Frage: Sie haben den Priestermangel angesprochen, der Ihr Berufsbild vor 50 Jahren ja erst ermöglicht hat und sich seitdem nicht verbessert hat. Wie ist das in Ihrem Beruf? Haben Sie Nachwuchssorgen?

Schmitz-Eisenbach: In vielen Bistümern ist es so, dass immer weniger Männer und Frauen in den kirchlichen Dienst gehen möchten. Wir haben also sozusagen auch einen Fachkräftemangel. Natürlich treten auch immer mehr Menschen aus und bald gehen bei uns im Bistum die ersten großen Jahrgänge der Pastoralreferentinnen und -referenten in den Ruhestand, dann werden wir merken, dass es einen Mangel gibt.

Schuck: Wenn ich persönlich auf meinen Pastoralkurs schaue, sind von den sechs Kolleginnen und Kollegen nur noch zwei im Dienst. Einer arbeitet beispielsweise schon lange bei einem anderen Arbeitgeber, weil es ihm in der Kirche zu eng wurde, einer hat im letzten Jahr seinen Dienst quittiert und macht sich mit einem Pilgerhof selbstständig, wie das für ihn der richtige Weg der Jesus-Nachfolge ist. Eine Kollegin ist inzwischen evangelische Pfarrerin und mit einer Frau verheiratet. Es ist nicht mehr so, dass alle, die mit 25 oder 30 Jahren in den Dienst gehen, auch bis zur Rente bleiben.

Die Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pastoralreferent*innen in Deutschland, Ruth Schmitz-Eisenbach und Marcus Schuck
Bild: ©Privat; Markus Hauck; Montage: katholisch.de

"Mein Eindruck ist, dass es mittlerweile keine Kollegin und keinen Kollegen mehr gibt, die oder der sich nicht wirklich existenziell gefragt hat: Kann ich in dieser Kirche noch arbeiten?", sagt Pastoralreferentin Ruth Schmitz-Eisenbach. Das bedeute aber nicht, dass alle auch ihren Job aufgeben: Marcus Schuck und sie haben Dinge gefunden, die sie halten.

Frage: Nehmen Sie auch unter den Kolleginnen und Kollegen, die schon länger im Beruf sind, Unmut wahr?

Schmitz-Eisenbach: Mein Eindruck ist, dass es mittlerweile keine Kollegin und keinen Kollegen mehr gibt, die oder der sich nicht wirklich existenziell gefragt hat: Kann ich in dieser Kirche noch arbeiten? Da spielen die Sexualmoral, die Missbrauchsfälle und die notwendigen Strukturveränderungen eine Rolle. Aber ich glaube, dass sich viele im Dienst Nischen gesucht haben, in denen sie gut arbeiten können. Meine Vermutung ist, dass die Entscheidung, in der Kirche zu arbeiten, heute neu getroffen werden muss – auch wenn man schon länger im Beruf arbeitet.

Schuck: Gerade in den letzten Jahren ist die Berufszufriedenheit massiv gesunken. Das hat mit der Missbrauchsthematik, aber auch mit der Situation der Kirche zu tun. Viele stellen sich die Frage: Wie kann ich noch in einer Täterorganisation arbeiten? Wo finde ich da meinen Platz? Und auch durch die Strukturreformen in den Bistümern herrscht nicht überall ein Klima, in dem man gerne arbeitet. Ein Baustein ist auch die Veränderung des kirchlichen Arbeitsrechts. Dafür setzen wir uns als Berufsverband auch ein, denn es fehlen noch ein paar Dinge, zum Beispiel ein klares Diskriminierungsverbot und dass die geschlechtliche Identität keine arbeitsrechtliche Rolle mehr spielt. Das Arbeitsrecht ist eine Grundlage, auf und mit der wir arbeiten. Und nur wenn ich weiß, dass mein Arbeitgeber hinter mir steht, kann ich auch gute Arbeit abliefern.

Frage: Was macht das mit Ihnen, wenn es keine Kollegin und keinen Kollegen mehr gibt, der sich nicht schon einmal die Frage gestellt hat, ob sie oder er weiter für die Kirche arbeiten kann?

Schuck: Ich habe mir diese Frage auch gestellt. Für mich persönlich war eine Antwort darauf, die Chance zu ergreifen und im Synodalen Weg mitzuarbeiten. Da merke ich, dass es möglich ist – zumindest in dem vorgegebenen Rahmen – Reformen voranzubringen. Wie weit die umgesetzt werden, wird sich zeigen. Da sind dann die Bischöfe und die Weltkirche in der Verantwortung. Meine Verantwortung liegt darin, mich dafür einzusetzen, dass die Kirche ein sicherer Ort ist, in dem kein Missbrauch stattfindet.

Schmitz-Eisenbach: Sich die Frage zu stellen, heißt in der Konsequenz ja nicht, sofort gehen zu müssen. Vielleicht haben manche sich diese Frage auch noch gar nicht gestellt. Ich habe kürzlich in einem Buch von Christina Brudereck den schönen Begriff der "Trotzkraft" kennengelernt und ich merke, dass das einen guten Teil davon ausmacht, was mich hält. Ich finde die christliche Botschaft wirklich unschlagbar gut und ich möchte, dass sie verkündet wird in der Welt. Deswegen möchte ich trotz allem in dieser Kirche bleiben und an den Stellen, wo ich das kann, mich dafür einsetzen, dass eine Botschaft verkündet wird, die lebensbejahend und wertschätzend ist.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Frage: Herr Schuck, Sie haben vorhin die Strukturreformen der Bistümer schon angesprochen. Welche Folgen haben diese für das Berufsbild? In einigen Bistümern leiten Pastoralreferentinnen und -referenten bereits Gemeinden.

Schuck: Das ist sehr unterschiedlich. Ich komme aus dem Bistum Würzburg, das ganz klar auf klerikale Leitung setzt. Das löst bei den Kolleginnen und Kollegen eine große Frustration aus, weil nicht erst auf die Kompetenz, sondern die Weihe geschaut wird. In anderen Bistümern ist es glücklicherweise so, dass viel ausprobiert wird, auch – und das ist bei den Bischöfen wahrscheinlich immer im Hinterkopf – gegen den expliziten Willen aus Rom, so wie er vor zwei Jahren noch einmal formuliert wurde. Es gibt also Freiräume und Möglichkeiten, Orte zu finden, an denen man gut arbeiten kann. Aber nicht jede Pastoralreferentin oder jeder Pastoralreferent möchte leiten.

Schmitz-Eisenbach: Das Bistum Osnabrück gehört zu den Bistümern, die verschiedene Leitungsmodelle ausprobieren. Ich finde es wichtig, dass das aber nicht für alle Pastoral- oder Gemeindereferentinnen und -referenten bedeutet, dass sie jetzt leiten dürfen oder müssen. In den 18 Jahren, in denen ich mittlerweile in diesem Beruf arbeite, habe ich gemerkt, dass diese Berufsgruppe ein riesig großer bunter Blumenstrauß ist. Da gibt es ganz unterschiedliche Charismen und Ausrichtungen, und entsprechend viele Arbeitsfelder und Arbeitsräume.

Frage: Angesichts der teilweise auch dystopischen Gedanken, die Sie geäußert haben: Wie viel Hoffnung haben Sie denn für die Zukunft angesichts der derzeitigen Krise, in der die Kirche steckt?

Schmitz-Eisenbach: Wahrscheinlich denkt man sich, dass ich total naiv bin (lacht). Aber ich bin voller Hoffnung. Ich bin mir sicher, dass die Strukturen sich massiv ändern werden. Die Kirche ist bereits in einem großen Transformationsprozess, und der ist noch lange nicht am Ende. Ich bin mir sicher: Wenn diese Kirche die Kirche Gottes ist, dann lebt sie weiter. Es sind schlimme Dinge in der Kirche passiert, und es müssen auch viele Veränderungsschritte gegangen werden. Ich glaube aber, dass diese Veränderung schon begonnen hat. Mit Sicherheit aber geschieht das oft und an vielen Stellen anders, als wir uns das vorstellen. Deswegen bin ich ehrlich gesagt erwartungsvoll und entspannt zugleich.

Schuck: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Von Christoph Brüwer