Halbzeit für die Weltsynode: Es bleiben zwei wichtige Fragen
Der Pass scheint angekommen zu sein. Der bekennende Fußball-Fan Franziskus nahm Anlauf und spielte den Ball eines synodalen Prozesses, der zur Weltbischofssynode 2023 mit dem Thema der Synodalität selbst führen soll, hinein in den Raum der Diözesen, Verbände, Orden und Einrichtungen der weltweiten Kirche. Schnell merkte man jedoch in Rom, dass der ursprüngliche Zeitplan zu knapp bemessen war, und so verlängerte das Synodensekretariat schon kurz nach dem offiziellen Anpfiff Mitte Oktober 2021 die erste diözesane Phase um einige Monate.
Wie es überhaupt zu diesem Anstoß kam, lässt sich schwerlich rekonstruieren. Die jüngste Erinnerung des Vatikans jedoch, der Synodale Weg in Deutschland habe keinerlei Befugnis, "Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten", lässt die Vermutung nahe liegen, dass mit dem internationalen synodalen Prozess die Vielzahl der ortskirchlichen Diskurse und Formate bestenfalls zusammengeführt, schlimmstenfalls kollektiv kassiert werden sollen.
Doch wie steht es um die Diözesanphase dieses Prozesses? Der – naturgemäß unvollständige und in Covid-Zeiten nur digital vermittelte – schlaglichthafte Blick in die Ortskirchen zeigt ein spannendes, ein wie zu erwarten heterogenes Bild. Viele Diözesen, Pfarreien und Gemeinschaften haben den Pass des Papstes jedenfalls angenommen und Strukturen aktiviert oder gegründet, um die Kernfragen des Vorbereitungsdokuments sowie des Vademecum zu behandeln. Und die von Franziskus in den Raum geworfenen Fragen haben es in sich. Weniger theologisch, als vielmehr durch die Tatsache, dass sie überhaupt von der kirchlichen Hierarchie gestellt werden. In manchen Ortskirchen wird erst durch diese Fragen ein Diskursraum eröffnet, der bisher mit Verweis auf Katechismus und Kirchenrecht rasch geschlossen werden konnte.
Wer darf in den Diözesen auf den Platz?
Zwei Fragen scheinen zum aktuellen Stand des Prozesses besonders relevant zu sein: Zum einen, wer, um im Fußball-Bild zu bleiben, darf in den Diözesen tatsächlich auf den Platz bzw. wo wird ein Spiel durch permanente Unterbrechungen eines Schiedsrichters ermüdend und letztlich wertlos? Und zum anderen: Wird das Ergebnis vom Bischof von Rom, als Bewahrer der Einheit der Kirche, akzeptiert werden? Zur ersten Frage liefert die Zusammenschau der Ortskirchen kein eindeutiges Bild. In vielen der hochinstitutionalisierten Kirchen des Globalen Nordens wurden in der Tradition routinierter Geschäftsordnungen sowie Beschluss- und Entsendeverfahren Gremien konstituiert. Auch Online-Plattformen laden zur Beteiligung und Rückmeldung ein. Sogar ein Weihbischof radelte dafür als Werbeträger über die Domplatte in Köln.
Auf den Philippinen sprach Kardinal José Advincula in besonderer Weise die kirchenfernen Menschen an, sich an dem Prozess zu beteiligen. Auch im krisenerschütterten Myanmar starteten aus Sicherheitsgründen unter Geheimhaltung der Namen der Beteiligten die Beratungen der ersten Phase. Gemeinden in Singapur warteten nicht lange und brachen die relevanten Fragen auf ihre pfarrliche Realität vor Ort herunter. Leidenschaftliche Statements für eine Beteiligung an diözesanen Veranstaltungen findet man auch in Sri Lanka, vor allem von Hochschullehrern der Orden.
Überhaupt ist die Videoplattform YouTube voll mit Botschaften und Clips, die den Prozess erklären. Auch hier tun sich die Ordensgemeinschaften hervor. Die "African Synodality Initiative", ein Gemeinschaftsprojekt der Ostafrikanischen Bischofskonferenz und der afrikanischen Jesuiten, bringt verschiedene Stimmen zusammen, die beschreiben, welche Chancen sie in den Beratungen sehen. Wirklich nennenswert viele Aufrufe hat jedoch keines der Videos. In der kenianischen Diözese Nairobi wurde ein 20-köpfiges Synodalteam aus Klerikern, Ordensleuten und Laien gebildet. In Zimbabwe finden lokale Anhörungen statt. Auch in den Kirchen Lateinamerikas gibt es zahlreiche Formate und Initiativen, in denen bereits beraten wird. Selbst die kontinentale Kirchenversammlung im November 2021 in Mexiko stand ganz im Zeichen der Synodalität. Das Vorbereitungsdokument dazu "Wir sind alle missionarische Jüngerinnen und Jünger im Aufbruch" wurde in Deutschland von den Hilfswerken Misereor und Adveniat übersetzt und kann so auch Impulse für die deutsche Kirche geben.
Noch ist es zu früh, um systematisch erfassen zu können, welche inhaltlichen Schwerpunkte sich global kristallisieren. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass die Themen des Synodalen Weges in Deutschland, die sich mit den jüngst veröffentlichen Rückmeldungen zur Weltsynode aus den deutschen Diözesen decken, keineswegs einen Sonderweg markieren, der in eine von der Weltkirche losgelöste "Nationalkirche" führt. Außer man verwechselt die Weltkirche mit dem Vatikan und dessen Uniformitätsansprüchen. In den Beratungen der oben genannten Initiative in Ostafrika etwa wurden neben der Frage, wie der christliche Glaube verstärkt in einen Dialog mit den traditionellen afrikanischen Glaubensformen gebracht werden kann, sicher nicht zufällig jene Themen ins Wort gebracht, die auch den Eingaben zur Weltsynode aus Australien, der Schweiz, aus Belgien oder Großbritannien ähneln: die Notwendigkeit von Frauen in Leitungsämtern der Kirche, der Widerstand der Bischöfe gegen jeglichen Wandel, die Wahrnehmung der Laien, dass ihre Erfahrungen und Meinungen in den Entscheidungen der Bischöfe keine Berücksichtigung finden und die Notwendigkeit, die Distanz zwischen Klerus und Laien zu verringern ("need to bridge the gap"), um dem verbreiteten Klerikalismus entgegenzuwirken.
Zur Wahrheit gehört, dass sich in vielen dieser Formate überwiegend Theologinnen, Ordensleute und in irgendeiner Form hauptamtlich in der Kirche Engagierte austauschen. Sollen diese und kommende Phasen in noch mehr Ortskirchen jedoch keine exklusiven Veranstaltungen dieser Personengruppen sein, bedarf es der Solidarität der reichen Kirchen mit den wirtschaftlich Schwachen, um breite Diskussionsprozesse zu ermöglichen. Kleinbäuerinnen und Tagelöhner, die von Franziskus ausdrücklich angesprochen wurden, können sich in der Regel nicht tageweise von ihren Feldern oder Arbeitsorten entfernen. Wer in der informellen Wirtschaft tätig ist, der immerhin über 60 Prozent der Menschen weltweit angehören, verdient schlichtweg kein Geld, wenn er oder sie nicht arbeitet – auch an Sonn- und Feiertagen. Wer will, dass alle interessierten Menschen sich um die Zukunft der Kirche Gedanken machen, muss Tagegelder für Einkommensausfälle zur Existenzsicherung bereitstellen. Hier sollten die pastoralen Hilfswerke Europas offensive Angebote in ihre Partnerstruktur hinein machen, ohne damit irgendwelche inhaltlichen Diskurserwartungen zu verknüpfen.
Sensus fidelium oder Glaubenssinn der Bischöfe?
Die zweite Frage, die der Akzeptanz des Ergebnisses der Beratungen, ist eng mit den von Franziskus selbst formulierten Fragen verknüpft: Wer gehört zur Kirche? Wie gelingt eine offene, von Vertrauen getragene Kommunikation zwischen den kirchlichen Akteuren? Wie werden Entscheidungen getroffen und durchgesetzt? Fragen, die den Modus operandi und noch viel mehr das Selbstverständnis der katholischen Kirche betreffen. Aus leidlicher Erfahrung trauen viele der kirchlichen Hierarchie das Hören auf den Sensus fidelium ("Sinn der Gläubigen") nicht mehr zu oder haben zumindest die Befürchtung, dass damit doch nur der Glaubenssinn der Bischöfe selbst gemeint ist. So fern liegt dieser Gedanke nicht.
Schon die Internationale Theologische Kommission suchte in ihrer Schrift "Sensus fidei im Leben der Kirche" händeringend nach historischen Wegmarken, in denen "alle Gläubigen eine aktive Rolle bei der Entwicklung des christlichen Glaubens" gespielt haben. Ganze drei lehramtliche Verkündigungen – Kanon 20 zum Zinsverbot bei der Synode von Elvira (306 n. Chr.), die Offenheit der Kirche in Rerum novarum (1896) sowie die Wende zur Religionsfreiheit in Dignitatis humanae (1965) – wurden in Betracht gezogen. Wer also glaubt, dass die Artikulation des Glaubenssinns der Laien, auch in noch so geordneten, durch die Hierarchie geförderten und geforderten partizipativen Prozessen in Gebet und Respekt formuliert, zwangsläufig substantielle Änderungen im Lehramt zur Folge habe, geht fehl. Auch der Rekurs auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) verdeutlicht, dass der Glaubenssinn des Volkes Gottes zwar eine theologisch-theoretische, aber eben meist keine praktische Rolle spielt. Die warnende Rede in den Dokumenten des Synodensekretariats, es gehe nicht um Parlamentarismus, Demokratie und Mehrheitsentscheide spiegelt genau diese strukturelle Hilflosigkeit wider – oder doch den offenkundigen Unwillen der Hierarchie, dem Hören auch Taten folgen zu lassen?
Ferner stellte die Kommission in ihrem Text 2014 fest: "Es kann lange dauern, bevor dieser Unterscheidungsprozess zu einem Abschluss kommt. Angesichts neuer Umstände haben die Allgemeinheit der Gläubigen, die Hirten und die Theologen alle ihre jeweilige Rolle zu spielen, und es bedarf der Geduld und des Respekts in ihrer wechselseitigen Beeinflussung, wenn der 'Sensus fidei' geklärt und ein wahrer 'Consensus fidelium' (…) erreicht werden soll." Ob zwei Jahre internationaler synodaler Prozess mit ab- und beschließendem Bischofstreffen dafür reichen, muss leider bezweifelt werden.
Der Ball ist aber weiter im Spiel, und wir haben gerade einmal Halbzeit. Wen die Fußball-Metapher aber zu sehr an zwei konkurrierende, auf Sieg spielende Teams erinnert und damit unpassend für den synodalen Prozess erscheint, mag folgender Gedanke helfen: Tatsächlich stehen verschiedene Perspektiven auf dem Platz, aber der faire Wettkampf gleicht einem geistgetragenen Ringen um das bessere Argument, um die tiefere Einsicht in das Wirken Jesu und wie die Kirche seiner Liebe Gestalt geben kann. Den meisten Menschen wird es 2023 nicht reichen, nur ein schönes Spiel gesehen zu haben. Sie wollen ein Ergebnis, das ihre eigene Glaubenspraxis spürbar berührt und verändert.
Synodalem Prozess droht kollektive Enttäuschung
Selbst einem indischen Nachrichtenportal war es eine Meldung wert, dass die polnische Kirche einen Laien, Professor an der Universität in Katowice, in seine Delegation für den Synodenauftakt in Rom aufnehmen wird. In der Überraschung darüber findet die Mehrheitserwartung Ausdruck, dass kommendes Jahr in Rom die Bischöfe weitgehend unter sich bestimmen, was Consensus fidelium ist und was nicht. Doch was wird geschehen, wenn weltweit Menschen nach ihrer Meinung, nach ihren Hoffnungen gefragt werden, die dann am Ende keine Berücksichtigung finden? Selbst jene, die sich bisher in den Diözesen der Welt nicht mit den Fragen der Synodalität befasst haben, Jugendliche, Frauen und Männer mit ganz unterschiedlichen Charismen, würden ihre Machtlosigkeit erfahren und sich als Unmündige erleben.
Sollte sich in den ersten Texten aus dem Synodensekretariat also abzeichnen, dass bereits zu viele Positionen geschliffen sind, wird das pilgernde Volk Gottes nicht nur im Globalen Norden prüfen, welche Relevanz die Leitungen der Ortskirchen und auch der römische Primat noch für sie haben. Natürlich kann sich nicht jedes Anliegen im vom Papst approbierten Schlussdokument wiederfinden. Aber wenn sich aus der Synode nicht ganz konkrete Optionen ergeben, die eine wahre Inkulturation des Evangeliums in unterschiedliche lokale Kontexte ermöglicht, droht eine kollektive Enttäuschung derjenigen, die sich an diesem Prozess beteiligt haben.
Jeder Fußballbegeisterte kennt die bisweilen irrationale Hoffnung auf Aufstieg, Relegation oder gar den Pokal, ähnlich dem christlichen Proprium der "Hoffnung wider alle Hoffnung". Vielen Katholikinnen und Katholiken weltweit geht die positive Erwartungshaltung langsam verloren, dass sie noch in ihrer irdischen Spielzeit einen Wandel ihrer Kirche erleben, durch den die Freude am Evangelium allerorts neu zum Strahlen gebracht wird.
Der Autor
Markus Demele (*1978) ist seit 2012 Generalsekretär von Kolping international. Nach dem Abitur absolvierte er ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre und nahm nach dem Abschluss das Studium der Katholischen Theologie in Frankfurt am Main auf. Nach seinem Diplom arbeitete er bis 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschaftsethik und als Seelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde der Universität Frankfurt. Im Jahr seiner Wahl zum Kolping-Generalsekretär schloss er zudem eine Promotion zu einem entwicklungspolitischen Thema ab.