Staat verstecke sich hinter angeblich bewährter Kooperation mit den Kirchen

Jurist kritisiert Aufarbeitungsvereinbarung zwischen DBK und Regierung

Veröffentlicht am 20.07.2022 um 10:09 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ 2020 hatten Bischofskonferenz und Bundesregierung eine Vereinbarung zur Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche geschlossen. Scharfe Kritik daran übt der Kölner Jura-Professor Stephan Rixen: Er spricht von einem "bedenklichen Arrangement".

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Der Kölner Juraprofessor Stephan Rixen hält die Vereinbarung zwischen Deutscher Bischofskonferenz und Bundesregierung zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche für falsch. Der Rechtsstaat akzeptiere "bedenkenlos die quasi-autokratische Binnenstruktur der katholischen Kirche. Gewaltenteilung ist hier ein Fremdwort", schreibt Rixen im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). Er ist vom Land NRW als Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln benannt worden.

Was "unabhängig" bedeute, bestimme der jeweilige Bischof nach eigenem, unüberprüfbarem Ermessen, so der Jurist. Die Besetzung der Kommissionen müsse dringend "stärker rechtsstaatlich gesteuert" werden, um Kommissionen zu verhindern, "die bestenfalls Placebo-Aufarbeitung leisten könnten", schreibt Rixen weiter. Der Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln forderte Bundes- und Landesgesetze, die die Aufarbeitung "demokratisch legitimieren und kontrollieren".

"Bedenkliches Arrangement zwischen Staat und Kirche"

2020 hatten die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der damalige Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, eine Vereinbarung geschlossen, in jedem Bistum eine Kommission zur Aufarbeitung zu errichten. In etwas mehr als der Hälfte der Bistümer haben diese Gremien inzwischen ihre Arbeit aufgenommen. Die Mitglieder werden teils von der Kirche, teils von der jeweiligen Landesregierung benannt und sämtlich vom Ortsbischof berufen.

Rixen nannte dies "bizarr" und sprach von einem "bedenklichen Arrangement zwischen Staat und Kirche". Der Staat verstecke sich hinter der angeblich bewährten Kooperation mit den Kirchen. "All die kirchlichen Entschuldigungsroutinen, all die gekonnt weggeweinten Krokodilstränen, all die Rituale der Folgenlosigkeit, sie lenken nur davon ab, dass die katholische Kirche seit etwa zwanzig Jahren mit freundlicher Duldung des Staates die Aufarbeitung verschleppt", monierte Rixen, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.

Die mögliche Nähe von Kommissionsmitgliedern zum kirchlichen Milieu berge die Gefahr der Befangenheit. "Wenn dann noch Betroffene offenbar deshalb ausgewählt werden, weil sie 'den Bischof verstehen', sollte spätestens dann klar sein: Die Aufarbeitungskommissionen lassen sich personell auf Linie bringen, und ihre Unabhängigkeit wird zur reinen Fassade.

Claus: Politik will mehr Verantwortung übernehmen

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, kann Rixens Kritik nach eigener Aussage nachvollziehen. Die Politik habe es in der vergangenen Legislaturperiode aber abgelehnt, selbst stärker Verantwortung zu übernehmen und für eine unabhängige Aufarbeitung zu sorgen, sagte Claus am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In der damaligen Konstellation sei für ihren Vorgänger Rörig, der die Verhandlungen geführt hatte, deswegen "leider nicht mehr drin gewesen", so Claus. Sie sei aber zuversichtlich, dass die derzeitige Regierung sich stärker engagieren wolle.

Claus betonte, mit der Ampelregierung habe sich die politische Situation verändert. Sie habe in ihrem Koalitionsvertrag eine gesetzliche Verankerung ihres Amtes vorgesehen und ein gesetzlich verankertes Recht auf Aufarbeitung als Option genannt. Aus ihrer Sicht müsse auch die ehrenamtlich tätige unabhängige Aufarbeitungskommission über das Gesetzgebungsverfahren mehr Rechte erhalten und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. (mal/KNA)

20.7., 16 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme von Kerstin Claus.