Nach Münchner Missbrauchsgutachten: Hinweise auf 48 neue Fälle
Seit dem Münchner Missbrauchsgutachten vor einem halben Jahr sind bei der Erzdiözese Hinweise auf 48 neue Fälle eingegangen. Diese würden nun geprüft, teilte die Bistumsleitung am Donnerstag bei der Finanzpressekonferenz mit. Bei der seit 20. Januar eingerichteten telefonischen Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene hätten sich 223 Personen gemeldet, sagte Mitarbeiterin Elisabeth Dreyßig. Rund 60 Prozent der Anrufenden seien älter als 60 Jahre gewesen. Insgesamt hätten 93 Personen angegeben, sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Dies sei nicht weiter überprüft und auch nicht mit den bereits bekannten Fällen abgeglichen worden. Eine ganze Reihe habe etwa schon Anerkennungsleistungen erhalten. Viele Anruferinnen und Anrufer seien aber auch nicht aus dem Erzbistum gewesen.
Die geschilderten Taten bezögen sich teils auf andere Bistümer und Orden. Insgesamt seien mehr als die Hälfte der Beschuldigten Priester gewesen, weitere 29 Prozent Ordensleute, sagte Dreyßig weiter. Gut jeder zehnte Beschuldigte komme aus dem Kreis der kirchlichen Mitarbeitenden. Auch einige Lehrkräfte sowie Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergärten seien darunter. "Bei allem darf man nicht vergessen, dass es nicht nur Männer gibt, die sich schuldig gemacht haben, sondern auch Frauen haben sich missbräuchlich verhalten", so Dreyßig. Ebenso hätten einige Anrufende mitgeteilt, als Erwachsene missbraucht worden zu sein, etwa in der Beichte oder bei einer geistlichen Begleitung.
Die Psychologin betonte, dass viele Betroffene ein Leben lang unter dem Missbrauch litten, oft scheiterten sie in Beruf und in Paarbeziehungen. Sie bräuchten ein ganzes Leben therapeutische Begleitung, "nicht zur Heilung, sondern um im oder am Leben zu bleiben".
Beratungsstelle werde dauerhaftes Angebot bleiben
Der Münchner Generalvikar Christoph Klingan betonte, dass die Beratungsstelle ein dauerhaftes Angebot bleiben werde. "Es konnten, was eine Ausnahme ist, zusätzliche Personalstellen geschaffen werden, zwei Psychologinnen und eine Verwaltungskraft arbeiten seit 1. Juli bei dieser Stelle", so Klingan. Zudem könnten sich Betroffene auch an zwei nichtkirchliche Fachberatungsstellen wenden, mit denen die Erzdiözese Kooperationsverträge geschlossen habe. Dies sind für Frauen die Organisation "Wildwasser", für Männer das "Münchner Informationszentrum für Männer" (MIM).
Zudem habe der Betroffenenbeirat vorgeschlagen, die seelsorgerische Begleitung für Betroffene zu intensivieren, so Klingan weiter. Derzeit werde dafür eine neue Stabsstelle "Seelsorge und Beratung für Betroffene von Missbrauch und Gewalt" direkt im Generalvikariat aufgebaut.
Ebenfalls auf drei Personen aufgestockt worden sei das Team der unabhängigen Ansprechpersonen. Nun stünden ein Jurist, eine Psychologin und eine Sozialpädagogin für entsprechende Hinweise auf Missbrauch zur Verfügung, hieß es. Das Motto des Erzbistums laute "Helfen und Schützen". Deshalb sei Prävention eine "ganz zentrale Aufgabe mit Blick auf Gegenwart und Zukunft", sagte Klingan. Die Präventionsarbeit der Erzdiözese genieße hohe Anerkennung und werde im Gutachten positiv hervorgehoben. Der Generalvikar verwies auch auf die Kooperation mit dem Kinderschutzzentrum der Universität Gregoriana in Rom, das jedes Jahr vom Erzbistum mit einem sechsstelligen Betrag unterstützt werde.
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Anders als erwartet erzielte das Erzbistum München und Freising im Geschäftsjahr 2021 einen Überschuss. Statt des geplanten Minus von etwas mehr als 12 Millionen Euro stand am Ende des Jahres ein positives Ergebnis von 17 Millionen Euro in den Büchern, wie aus dem bei der Pressekonferenz präsentierten Geschäftsbericht hervorgeht. Der Gewinn halbierte sich gegenüber dem Vorjahr jedoch nahezu. Ein Hauptgrund für die positive Entwicklung dürfte in den Kirchensteuereinnahmen zu suchen sein. Hier hatte das Erzbistum 2021 bereits mit einem deutlichen Rückgang kalkuliert. Tatsächlich erreichte das Aufkommen mit 647 Millionen Euro fast exakt den Wert von 2020.
Ausweislich der Bilanz wuchs das Vermögen der Erzdiözese 2021 nur noch in vergleichsweise geringem Umfang. Für die Sachanlagen wird ein Wert von 1,47 Milliarden Euro angegeben, das sind fast 60 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Dafür sank der Wert der Finanzanlagen um etwa 50 Millionen auf 1,39 Milliarden Euro. Im laufenden Haushaltsjahr will das Erzbistum erstmals weniger Geld ausgeben als in der Vergangenheit. Die Aufwendungen sollen, gemessen am Jahresergebnis 2021, um 14 auf 857 Millionen Euro gesenkt werden. Bleibt es bei den zugleich prognostizierten Ertragsrückgängen von 66 Millionen Euro, könnte Ende 2022 erstmals ein nicht mehr aus laufenden Einnahmen auszugleichendes Ergebnis in den Büchern stehen. Dann müssten 39 Millionen Euro aus den Rücklagen entnommen werden. Bei der Kirchensteuer kalkuliert die Münchner Finanzkammer 2022 nur noch mit rund 623 Millionen Euro, das wären 24 Millionen weniger als 2021.
Amtschefin Stephanie Herrmann sagte, trotz der überraschend positiven Entwicklung auf der Einnahmeseite stelle eine veränderte Wirtschaftslage das Erzbistum vor Herausforderungen. Angesichts massiver Kostensteigerungen im Unterhalt bei zugleich erheblich steigendem Sanierungsbedarf müsse die Baulast zurückgefahren werden. Das Erzbistum habe in seinem Ende 2021 abgeschlossenen Gesamtstrategieprozess sich darauf verständigt, das Handeln der Kirche wirkungsvoller zu gestalten. Das werde auch Folgen für den Etatplan 2023 haben. (rom/KNA)