Meier: Habe meinen kirchenpolitischen Standpunkt nicht geändert
Fast zeitgleich mit Beginn des Synodalen Wegs wurde Bertram Meier zum Bischof von Augsburg ernannt. Nach zwei Jahren des Reformprojekts der Kirche in Deutschland hat Meier den Synodalen Weg wiederholt kritisiert: Er sei von "Hektik" geprägt und stelle eine mögliche Gefahr für die Kircheneinheit dar. Im Interview erklärt der Augsburger Bischof, warum er den Synodalen Weg kritisch sieht, weshalb er Petrusbrüdern die Diakonenweihe gespendet und was er aus seiner Zeit in Rom mitgenommen hat.
Frage: Herr Bischof, in den vergangenen Monaten haben Sie sich mehrfach kritisch zum Synodalen Weg geäußert. Vor kurzem erst warnten Sie davor, dass das Reformprojekt zu einer deutschen Nationalkirche führen könnte. Mehrfach haben Bischofskonferenz und Laienvertreter diese Befürchtung zuvor jedoch zurückgewiesen. Trauen Sie diesen Aussagen nicht, oder warum warnen Sie vehement vor einem deutschen Sonderweg?
Meier: Obwohl ich allen, die darauf verweisen, dass sich der Synodale Weg in Deutschland insofern auf einem sicheren Pfad bewegt, dass alle konkreten Schritte auf dem Boden der katholischen Lehre und Moral gründen, subjektiv einen guten Willen unterstelle, habe ich daran objektiv meine Zweifel. Der gute Wille ist sicher da, aber in der Praxis werden doch Weichen gestellt, die letztlich die Grundrichtung der katholischen Kirche betreffen. Als Beispiel unter anderen nenne ich die Absicht, auf allen Ebenen sogenannte Ständige Synodale Räte einzurichten. Damit wir uns recht verstehen: Auch ich bin für eine Verstetigung der Synodalität als Lebensform der Kirche, doch was das spirituell-pastoral bedeutet, müssen wir gut überlegen. Eine Vermehrung von Gremien kann es meines Erachtens nicht sein. Schon jetzt sitze ich auf vielen Konferenzen und bin zu wenig bei den Menschen.
Frage: Sie haben es auch als Problem bezeichnet, dass der Synodale Weg ein deutsches Projekt sei. Warum soll das aber ein Problem sein? Er fügt sich doch sogar sehr gut in den weltweiten synodalen Prozess ein, den Papst Franziskus angestoßen hat. Dort ist die Vergewisserung auf nationaler Ebene ein elementarer Bestandteil.
Meier: Vergewisserung ist etwas anderes als Vorpreschen. Dass wir in Deutschland Themen behandeln, die uns – vor allem nach dem chronischen Missbrauchsskandal – hautnah betreffen, und auch ein Stimmungsbild darüber erheben, ist legitim. Aber dass wir meinen, vor der Weltsynode, die für Oktober 2023 in Rom geplant ist, mit unseren Synodenbeschlüssen auch weltkirchlich Fakten setzen zu sollen, halte ich für problematisch. Die Kirche in Deutschland soll sich einbringen, sie darf couragiert Themen setzen, aber sie sollte nicht meinen, der "Synodenprimus" sein zu müssen.
Frage: Auch wenn Sie vor einem möglichen deutschen Sonderweg warnen: Wären partikuläre Regelungen für die Ortskirche in Deutschland nicht ein denkbarer Weg, um kirchliche Reformen bei uns umzusetzen?
Meier: Genau da liegt das Problem – eine Hausaufgabe, die wir bis jetzt nicht gemacht haben. Die Frage ist doch: Was ist Kern und was ist Schale des katholischen Glaubens? Oder anders gefragt: Es geht um die göttliche Offenbarung. Was ist vorgegeben und damit unserem Zugriff tabu, und was ist historisches Beiwerk, also veränderbar? Dieser Frage haben wir uns meines Erachtens auf dem Synodalen Weg von Anfang an zu wenig gestellt. Der Papst würde das "discernimento", Unterscheidung, nennen, damit daraus verantwortete Entscheidungen erwachsen könnten.
Frage: Und wo wären hier aus Ihrer Sicht Grenzen?
Meier: Die Grenzen, die uns gesetzt sind, markieren die Aussagen, die Gott uns in seiner Offenbarung vorgegeben hat. Leider steht der Begriff von der Hierarchie der Wahrheiten, der im Dekret über den Ökumenismus Nr. 11 des Zweiten Vatikanischen Konzils erwähnt wird, zwar formal in der kirchlichen Landschaft, aber er wird inhaltlich zu wenig gefüllt. Es geht letztlich um Priorisierung: Was steht ganz oben, unverrückbar – und was liegt in unserem Ermessen, es zu ändern? Wir kennen das aus anderen Kontexten: Wer priorisiert, muss auch eine Diskussion um Posterioritäten führen. Das ist langwierig und anstrengend. Doch wir sollten uns diese Arbeit nicht ersparen.
Frage: Sie haben auch eine "Hektik" beim Reformprozess ausgemacht. Warum geht Ihnen der Synodale Weg zu schnell voran?
Meier: Weil wir zu wenig an die Wurzeln gehen. Kurze Redezeiten bei den Vollversammlungen, die vertiefte Befassung und Diskussion kaum zulassen, machen das auch schwer möglich. Anders sieht es bei den Foren aus, in denen – wie ich es selbst erfahre – ausgiebig und differenziert gesprochen wird. Ein weiteres Fragezeichen, das auch spirituelle Implikationen hat, ist die Zusammensetzung des Synodalen Weges. Bildet unsere Vollversammlung tatsächlich das Volk Gottes in Deutschland ab? Die katholische Kirche in unserem Land ist nicht nur deutsch, sondern international. Ein Beispiel: Weltkirchliche Priester, Gruppen, sogenannte Missionen anderer Muttersprachen sind auf dem Synodalen Weg nicht stark vertreten. Sie wären sicher auch spirituell eine Bereicherung für uns. Es geht immer um ein Geben und Nehmen, sonst bewegen wir uns schnell in einer "Synodenblase".
Frage: Aber verstehen Sie nicht auch den Drang hin zu raschen Reformen? Schließlich ist es ein Auftrag des Synodalen Wegs, sich dafür einzusetzen, dass es nicht mehr zu Missbrauch oder seiner Vertuschung in der Kirche kommen kann.
Meier: Das ist die eine Seite der Medaille: Den Anstoß zum Synodalen Weg gab der Missbrauchsskandal mit allen seinen Belastungen und Nebeneffekten – ein Dauerbrenner, der uns noch länger begleiten wird. Da gibt es nichts zu beschönigen. Doch die andere Seite ist die Frage, ob es nicht zu monokausal ist, die Antwort auf diese Misere, in der die katholische Kirche derzeit steckt, allein im Synodalen Weg zu sehen. Letztlich geht es um unsere Glaubwürdigkeit. Diese Herausforderung betrifft uns alle. Und die Glaubwürdigkeit gewinnen wir nicht allein durch Texte, sondern durch ein Leben, das zum Zeugnis für das Evangelium wird.
Frage: Der Synodale Weg ist von den Organisatoren bewusst als ein geistlicher Prozess angelegt: Es gibt regelmäßige spirituelle Impulse, Gebetszeiten, Gottesdienste und sogar zwei geistliche Begleiter. Wie nehmen Sie das Geistliche rund um den Reformprozess wahr? Wünschen Sie sich eine andere Form von Spiritualität bei den Synodalversammlungen?
Meier: Dass es geistliche Elemente bei den Vollversammlungen und auf den Foren gibt, ist unbestritten. Doch ist Spiritualität nicht nur eine Frage bestimmter dafür reservierter Zeitfenster, sondern eine Grundhaltung. Spiritualität sollte gleichsam der Notenschlüssel für unser "geistliches Experiment" sein, wie ich den Synodalen Weg schon am Anfang nannte. Ich muss mich hier selbst an der Nase fassen: Wie gehe ich in die Sitzungen und Versammlungen hinein? Strebe ich ehrliche Begegnung und aufrichtiges Hören an? Geben wir uns auch Räume und Zeiten der Stille, Intervalle zum Nachklingen einzelner Beiträge? Papst Franziskus legt auf diesen Einhalt der Stille großen Wert.
Frage: Beim Synodalen Weg tritt sehr deutlich zu Tage, dass durch die Kirche in Deutschland ein tiefer Graben verläuft zwischen mehrheitlich reformorientierten und eher traditionsbewussten Katholiken. Braucht die Kirche in Deutschland eine größere Einigkeit?
Meier: Eigentlich versuche ich, Klassifizierungen möglichst zu vermeiden. Wer den Zustand der Kirche in Deutschland anschaut, kommt zum Ergebnis: Wir brauchen eine geistliche Erneuerung. Da sind sich wohl die meisten einig. Doch der Knackpunkt ist: Wie soll das gehen? Mir kommen Erinnerungen an das 19. Jahrhundert mit ähnlichen Problemen wie heute. Vor 200 Jahren war es der Schock der Säkularisation, heute beschäftigt uns der Sog der geistigen Säkularisierung. Im Blick auf damals denke ich an die Spannung zwischen Restauration und Reformkatholizismus. So setze ich auf Erneuerung mit der Neuentdeckung geistlicher Quellen. Johann Michael Sailer ist da für mich ein großes Vorbild. Er versuchte, die "goldene Mitte" zu halten, was ihm allerdings Kritik und Häme von beiden Seiten eintrug. Wenn wir diese geistliche Basis teilen und Spannung aushalten, dann wächst die Einigkeit, trotz aller Unterschiede.
„Als Bischof möchte ich Diener der Einheit sein. Ich werde auch in Zukunft versuchen, Bischof möglichst vieler zu sein. Daher wünsche ich mir eine differenzierte Bewertung. Es wäre schade, wenn ich in eine Schublade gesteckt würde. Ich persönlich sehe mich als Mensch der Weite, nicht der Enge.“
Frage: Sie haben vor kurzem Mitglieder der Petrusbruderschaft zu Diakonen geweiht und auch beim konservativen Kongress "Freude am Glauben" gesprochen. Ist das Ihr Beitrag zur Überwindung der kircheninternen Gräben?
Meier: Dass diese beiden Auftritte für Aufsehen sorgten, überdeckt das Panorama meiner sonstigen Termine, in denen sich die große Bandbreite dessen aufspannt, was katholisch ist. Sie glauben gar nicht, mit wie vielen Menschen ich tagtäglich im Gespräch bin – mit offenen Ohren und einem weiten Herzen. Das Seminar der Petrusbrüder liegt auf dem Gebiet der Diözese Augsburg. Und die Petrusbrüder haben keinen eigenen Bischof. Ich bin auch deren Bischof. So habe ich diesmal die Diakonenweihe gespendet. Ähnliches gilt für den Kongress "Freude am Glauben". Ich benutzte die Gelegenheit, um über Evangelisierung und Berufungspastoral zu sprechen. Wer sich sowohl für die Weihepredigt der Diakone als auch für meinen Vortrag in Regensburg interessiert, kann die Texte im Internet abrufen. Mein Ziel ist stets, mich auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils zu bewegen.
Frage: Verstehen Sie auch die Kritik daran, dass Sie sich bei diesen Vereinigungen zeigen? Schließlich werden in diesen Kreisen massive Vorbehalte gegen den Synodalen Weg geschürt.
Meier: Ich verstehe die Kritik durchaus, bitte aber gleichzeitig um wohlwollendes Verständnis. Als Bischof möchte ich Diener der Einheit sein. Ich werde auch in Zukunft versuchen, Bischof möglichst vieler zu sein. Daher wünsche ich mir eine differenzierte Bewertung. Es wäre schade, wenn ich in eine Schublade gesteckt würde. Ich persönlich sehe mich als Mensch der Weite, nicht der Enge. Mit eigenem Profil und Standpunkt kann ich offen und dialogbereit sein. Das ist auch ein Erbe meiner familiären Wurzeln.
Frage: Einen Tag vor der ersten Synodalversammlung Anfang 2020 wurden Sie zum Bischof ernannt. Der erste Eindruck vieler Beobachter war, dass Sie anders als Ihr Vorgänger zu Reformen in der Kirche bereit wären. In den zurückliegenden Monaten haben Sie sich jedoch immer kritischer zum Synodalen Weg geäußert. Hat sich Ihr kirchenpolitischer Standpunkt in den vergangenen zwei Jahren verändert?
Meier: Dass ich zu Reformen in der Kirche nicht nur bereit bin, sondern dass ich sie für nötig halte, daran möchte ich keinen Zweifel lassen. Als der Startschuss für den Synodalen Weg im Dom zu Frankfurt fiel, war die Kirchenwelt noch etwas anders: von Corona keine Spur, ein präsentisches Meeting in Aufbruchsstimmung, die Themen der Foren wurden präsentiert, waren aber inhaltlich noch nicht entfaltet. Texte gab es noch nicht. Der Synodale Weg hat eine Dynamik entwickelt, wie es ein Sprichwort sagt: "Der Weg wächst im Gehen unter unseren Füßen, wie durch ein Wunder." Meiner Einschätzung nach habe ich nicht meinen "kirchenpolitischen Standpunkt" geändert, sondern versucht, beim Gehen des Synodalen Weges immer wieder innezuhalten. Dabei bin ich auf Wegmarken gestoßen, die mir Orientierung geben, um den Synodalen Weg weiter mitzugehen. Auf sie verweise ich gelegentlich. Es geht mir also weniger um Kritik, als um die Frage nach der Richtung und den Zielen unseres Weges. Jedenfalls möchte ich mir auch weiterhin treu bleiben.
Frage: Sie haben lange im Vatikan gearbeitet, noch heute gute Kontakte nach Rom und wissen, wie man dort auf den Synodalen Weg blickt. Speist sich Ihre Kritik am deutschen Reformprojekt auch daraus?
Meier: Ich war nicht nur am Vatikan, sondern vorher in Rom beim Studium. Ich habe in einer Vorstadtgemeinde mitgewirkt, wo ich noch heute Freundinnen und Freunde habe. Jetzt bin ich seit 20 Jahren in Deutschland. Ich trauere Rom nicht nach, wünsche mir aber etwas von der italienischen Mentalität bei uns. Wir "Germanen" gehen alles sehr systematisch und konzeptionell an, dafür werden wir bewundert. Was ich mir von Italien nach Deutschland mitgebracht habe, ist die Heiterkeit und Gelassenheit, um die ich mich wenigstens bemühe, wenn es "knistert". Panikmache hilft nicht weiter – weder in der Gesellschaft noch in der Kirche.
Frage: Sie haben gesagt, dass kritische Stimmen zum Synodalen Weg aus der Weltkirche in Deutschland "arrogant weggeschoben" werden. Ist das wirklich so? Schließlich wird der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, nicht müde, höflich, aber bestimmt auf entsprechende Anfragen zu antworten.
Meier: Dass ich das mir zugeschriebene Wort tatsächlich in den Mund genommen haben soll, wundert mich. Normalerweise ist das nicht mein Sprachgebrauch. Was ich mir wünsche, ist Respekt vor anderen Meinungen. Nur so lebt der Dialog. Ignatius von Loyola hat seinen Ordensbrüdern, die als Beobachter auf dem Konzil von Trient waren, geraten, auch in strittigen Debatten die Meinung des anderen zu "retten". Bei synodalen Prozessen – innerlich, aber auch bei Wortmeldungen von außen – sollte es weder Gewinner noch Verlierer geben, sondern einzig und allein das Evangelium Jesu Christi sollte nach vorn kommen.
Frage: Sind offene Briefe wie von den polnischen Bischöfen oder der skandinavischen Bischofskonferenz aber überhaupt probate Mittel, seine Meinung und damit die Sorge über den Kurs der Kirche in Deutschland zum Ausdruck zu bringen? Sie könnten auch als sehr unpassend wahrgenommen werden.
Meier: In der Päpstlichen Diplomatenakademie galt der Grundsatz: Offene Gespräche sind meist das Gegenteil von öffentlichen Gesprächen.
Frage: Das bedeutet?
Meier: Nicht alles, was unter Brüdern (und Schwestern) auszutauschen ist, muss an die Öffentlichkeit. Diskretion ist eine Tugend, die gerade heute wichtig ist. In der Vertraulichkeit – was nicht mit Geheimnistuerei zu verwechseln ist – sehe ich das Fundament für einen ehrlichen Dialog.
Frage: In den vergangenen Wochen wurden die Ergebnisse der nationalen Etappen des weltweiten synodalen Prozesses veröffentlicht. In vielen Ländern scheinen sich die Wünsche der Katholiken an ihre Kirche zu ähneln: So wird nicht nur in Deutschland und beim Synodalen Weg eine stärkere Rolle der Frau in der Kirche gefordert – bis hin zu Weiheämtern. Ist das als "Weltkirche-Bischof" auch Ihre Wahrnehmung?
Meier: Teils teils. Während in einzelnen Teilkirchen in verschiedenen Ländern ähnliche Themen aufschlagen wie bei uns, bekommen wir aber auch Reaktionen wie: "Wir haben andere Probleme." Hier können wir die Ungleichzeitigkeit der Weltkirche als Global Player mit Händen greifen. Als Priester bin ich schon seit vielen Jahren weltkirchlich unterwegs. Die unterschiedlichen Echos sollten wir nicht ignorieren. Und dennoch gilt: Versuchen wir, unsere Themenfelder, die uns in Deutschland bewegen, weltkirchlich einzubringen. Hören wir aufeinander! Dann bin ich zuversichtlich, dass wir viel voneinander lernen können – wechselseitig, auf Augenhöhe.