Soziologe Joas: Synodaler Weg birgt Gefahr zunehmender Polarisierung
Eine zunehmende Polarisierung unter den katholischen Gläubigen in Deutschland hält der Soziologe Hans Joas (73) für nicht ausgeschlossen. Er habe die "große Angst", dass der Reformdialog Synodaler Weg im schlimmsten Fall statt Veränderungen in der Weltkirche "ein Zerfallen der deutschen Katholiken in feindselige Lager" bewirken könne, sagte Joas am Dienstag im Interview des Deutschlandfunks. Auch eine zunehmende Resignation könne folgen, wenn die Hoffnungen vieler auf Reformen enttäuscht würden.
Im positiven Fall könnten durch den Prozess hingegen Neuerungen in der katholischen Kirche möglich werden, "die von sehr vielen Menschen für nötig befunden werden", betonte Joas. Dafür müsse ein Synodaler Weg indes "nicht nur in Deutschland stattfinden", sondern auch in anderen Ländern. Joas ist als unabhängiger Berater Mitglied der Synodalversammlung.
Ein Demokratisierung könne nicht das zentrale Ziel für eine Kirchenreform sein, fügte er hinzu. Allerdings steckten in dieser Forderung wichtige Elemente, die dringend aufgenommen werden müssten: etwa dass bisher zu viel unkontrollierte Macht in den Händen der Bischöfe liege und dass es mehr Transparenz sowie mehr Kontrolle durch Laien brauche. Zudem müsse darüber nachgedacht werden, was die katholische Kirche etwa von protestantischen Kirchen und Religionsgemeinschaften lernen könne.
Zukünftige "Nicht-Existenz der Kirche" möglich?
Für eine erfolgreiche Reform regte der Philosoph darüber hinaus eine gemeinsame Rückbesinnung auf die Entwicklung der Kirche an. Er sehe es als eine "staunenswerte Tatsache", dass die Institution trotz all ihrer Spaltungen in einer derartigen Kontinuität bestehen geblieben sei. Joas griff damit eine zentrale These seines neuen Buchs "Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft" auf. Eine zukünftige "Nicht-Existenz der Kirche" halte er zwar für unwahrscheinlich, aber die Gefahr sei durchaus da.
Der Soziologe erinnerte daran, dass in der Geschichte nicht alle Religionen auch einer institutionalisierten Kirche bedurft hätten. Doch baue das Christentum auf einem "moralischen Universalismus" auf. So frage man sich als Christ, ob die eigenen Taten gut für "alle Menschen" seien. Dies gewinne aktuell vor dem Hintergrund des Klimawandels noch an Relevanz, ergänzte Joas: "Eine solche Religion kann sich nicht einfach in den Organisationsformen, die schon gegeben sind, unterbringen, sondern braucht etwas, was darüber hinaus geht und was diejenigen, die von dieser Botschaft ergriffen sind, verbindet."
Auf dem Synodalen Weg beraten deutsche Bischöfe und Laien seit 2019 gemeinsam über die Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland. Schwerpunktthemen sind die Sexualmoral, die priesterliche Lebensform, Macht und Gewaltenteilung sowie die Rolle von Frauen in der Kirche. Zuletzt hatte der Vatikan in einer Erklärung die Katholiken in Deutschland vor Alleingängen bei Kirchenreformen gewarnt. Das Dokument löste eine kontroverse Debatte über den Reformprozess und das Kommunikationsverhalten des Heiligen Stuhls aus. (tmg/KNA)