Ein Roman über Schuld, Verantwortung – und Auflösungsprozesse

Eine Welt, die verloren geht: Fundamentaltheologe Hoff mit Krimi-Debüt

Veröffentlicht am 20.08.2022 um 12:05 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Würzburg ‐ Der Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff ist unter die Krimiautoren gegangen und hat mit "Welt verloren" seinen Debüt-Roman veröffentlicht. Eine Geschichte, die der Frage nachgeht: Was bedeutet es, in einer Welt zu leben, die sich nach und nach auflöst – und mit ihr auch das Katholische?

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Jacob Beerwein hat die meiste Zeit seines Priesterlebens in der Auslandsseelsorge verbracht. Nach seiner Pensionierung ist er in sein niederrheinisches Heimatdorf zurückgekehrt und betreut dort die Kirche. Zu den Gottesdiensten verirren sich nur wenige Besucher in das Gotteshaus. Jacob verbringt viel Zeit mit seinem alten Freund Melchior, der gegenüber vom Pfarrhaus lebt und seit einem Unfall in der Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Doch ihr beschauliches Leben voller gemeinsamer Fußballabende vor dem Fernseher wird empfindlich gestört, als die Polizei mit schlechten Nachrichten anrückt: Raven, ein einstiger gemeinsamer Schulfreund, wurde ermordet. Doch damit nicht genug, denn weitere Menschen, die anscheinend eine Verbindung zu Raven haben, sterben.

Raven war kurz nach dem Abitur einfach verschwunden, seither erhielt Jacob kein Lebenszeichen von ihm. Dennoch trifft ihn Ravens Tod schwer – vor allem, als er erfährt, dass er in den vergangenen Jahren nur wenige Kilometer von ihm entfernt gewohnt und wohl immer wieder seine Nähe gesucht hat. Jacob hadert mit sich. Trägt er selbst etwa Mitverantwortung für das Geschehene? Aber er hadert auch mit Gott, der nicht in der Lage zu sein scheint, für so etwas wie Gerechtigkeit zu sorgen. "Es gibt so viel Tod in dieser Welt, dass ich es manchmal nicht aushalte mit meinem Gott", sagt der Priester.

Im Auflösen begriffen

"Welt verloren" lautet der Titel des ersten Kriminalromans von Gregor Maria Hoff, seines Zeichens Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Salzburg. Hoff ist schon seit seiner Jugend literarisch aktiv – nun wagt er sich an das Krimi-Genre. Es ist eine Geschichte, die die Frage nach Schuld, Verantwortung und Gerechtigkeit, aber auch Verlust stellt. "Es geht darin um eine Welt, die förmlich dabei ist, verloren zu gehen", erläutert der Autor.

Denn vieles in Jacobs Kosmos ist in Auflösung begriffen. Das beginnt bereits topografisch: Immer wieder ist von anrollenden Baggern die Rede, die die Kirche und das ganze Dorf bald verschwinden lassen. Doch auch Jacob selbst ist dabei, sich aufzulösen: Er zeigt Anzeichen einer Demenzerkrankung, Erinnerungen verschwinden – der Mensch selbst löst sich dabei mehr und mehr auf. Auch die Figur des an den Rollstuhl gefesselten, atheistischen Melchior ist eine "Auflösungsgestalt".

Porträtfoto von Gregor Maria Hoff
Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Gregor Maria Hoff ist Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg.

Was bedeutet es, in einer Welt zu leben, in der sich Liebgewonnenes, Gewohntes, jahrhundertelang Bewährtes nach und nach auflöst? Diese Geschichte will Hoff erzählen. Es ist eine Geschichte, in der es gewissermaßen um Leben und Tod geht – deshalb erzählt er sie in der Form des Kriminalromans. Hier spielen auch religiöse Motive eine Rolle, die ebenfalls unter dem Vorzeichen der Auflösung durchgespielt werden. Denn es löst sich auch zunehmend die Welt auf, in der das katholische Milieu existiert.

Diese Auflösungserscheinungen im Roman haben einen realen, biografischen Hintergrund, erläutert Hoff: Das Dorf, in dem der Krimi spielt, gibt es wirklich. Sein Großvater war dort Organist und Küster – wie es auch im Roman Jacobs Vater war. Das Dorf hat keinen eigenen Priester mehr, die Kirche wird wenig bespielt. Auch im Roman befindet sich das dörfliche Kirchenleben maximal auf Sparflamme. "Das sind Auflösungsmomente einer Welt, in der dieser Glaube unglaublich stark gewesen ist, unglaublich prägend – und nach und nach verschwindet." Der Roman will somit auch versuchen, einen der einschneidendsten Momente der westlichen Kulturgeschichte in Miniatur zu erzählen: die Auflösung des Katholischen.

Wer glaubt, der bleibt

Woran kann man sich in all diesen Auflösungsprozessen noch klammern? "Ich versuche, das in der Schwebe zu halten", betont Hoff. Das wird besonders an der Hauptfigur, Jacob Beerwein, deutlich. Obwohl er Priester ist, wird er als jemand beschrieben, in dem Gott eine "diskrete Existenz" führt. Am Ende jedoch geht ihm etwas auf – und er hält an diesem Glauben fest, in allem, was sich auflöst. "Das wäre auch etwas, das ich biografisch sagen könnte: Mein Glaube ist immer auch die Bereitschaft, festzuhalten", sagt Theologieprofessor Hoff. "Wer glaubt, der braucht nicht zu fliehen", heiße es schließlich auch beim Propheten Jesaja im Alten Testament. "Das ist die Spannung, in der wir uns befinden."

Hoff plant ein Triptychon, sprich, zwei weitere Romane sollen folgen. Allerdings sollen diese aus anderen Blickwinkeln als dem des Priesters erzählt werden. So soll die Geschichte von einer Welt, die verloren geht, mehrere Perspektiven bekommen.

Von Matthias Altmann

Buchtipp

Gregor Maria Hoff: Welt verloren, Echter Verlag 2022, 218 Seiten, ISBN: 978-3-429-05773-2, 14,90 Euro.