Kölner Betroffenenbeirat sieht sich in "Medienspektakel" benutzt
Der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln hat die Kritik am Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgewiesen. "Es verletzt uns zunehmend, dass Missbrauch fast ausschließlich nur als 'Aufhänger' für kirchenpolitische Kritik genutzt wird", heißt es in einer durch den ehemaligen Sprecher des Gremiums, Peter Bringmann-Henselder, verbreiteten Pressemitteilung. Darin weist das Gremium auch zurück, im Zusammenhang mit der Nichtveröffentlichung des ersten Kölner Missbrauchsgutachtens instrumentalisiert worden zu sein. "Tatsache ist, dass wir unsere Ideen zur Erstellung des Gutachtens vortragen konnten. Ein bis dato einmaliger Vorgang in einem deutschen Bistum. Für uns ist dieses monatelange lautstarke Medienspektakel immer unerträglicher geworden – ein erneuter Missbrauch unseres erfahrenen Leids."
Der Betroffenenbeirat habe lange geschwiegen, "um ausschließlich der Sache der Betroffenen zu dienen", so die Mitteilung weiter. Das seit vielen Monaten dauernde "Medienspektakel" belaste die Mitglieder jedoch immer stärker persönlich, "weil wir selbst als Jungen und Mädchen verschieden starke Missbrauchsformen durchgemacht haben". Das Gremium frage sich, warum sich die Beteiligten an der öffentlichen Debatte nicht bei den gegenwärtigen Mitgliedern erkundigen würden und stattdessen zurückgetretene Mitglieder zitieren. Explizit genannt werden die Kreisdechanten, der Diözesanratsvorsitzende, Sprecherinnen der UBSKM und "Maria 2.0". Dem Beirat werde vorgeworfen, sich instrumentalisieren zu lassen. Es sei jedoch "die einseitige Information in die Öffentlichkeit hinein", die der Instrumentalisierung Tür und Tor öffne, "so dass sich diese Stimmungsmacherei breit machen kann", heißt es in der Stellungnahme.
Unterschiedliche Darstellungen aktueller und ehemaliger Betroffenenvertreter
Hintergrund der Kritik ist die Veröffentlichung von internen Papieren zur PR-Strategie des Erzbistums im Umgang mit dem Betroffenenbeirat durch den "Kölner Stadt-Anzeiger" (KStA). Die beauftragten PR-Experten sollen demnach dem Kardinal und seinem damaligen Generalvikar Markus Hofmann geraten haben, den Betroffenenbeirat mit Blick auf den Gutachter-Wechsel im Oktober 2020 auf Linie zu bringen.
Der amtierende Betroffenenbeirat wünscht sich in seiner aktuellen Stellungnahme, dass kirchenpolitische Fragen und Probleme mit den Verantwortlichen direkt besprochen werden, "statt ständig in den Medien den sexuellen Missbrauch vorzuschieben und uns erneut zu benutzen". Gegenüber der "Kölner Rundschau" betonte Bringmann-Henselder am Freitag, dass die fragliche Sitzung anders verlaufen sei als von ehemaligen Beiratsmitgliedern dargestellt. "Das alles geschah weder unter Druck noch irgendeiner Beeinflussung. Inszeniert war hier nichts", so der ehemalige Betroffenenbeiratssprecher.
Der neu berufene siebenköpfige Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln hat sich Ende Juni in der zweiten Amtszeit konstitutiert. Die Mitglieder des Betroffenenbeirats wurde durch den Beraterstab des Erzbischofs in Fragen des Umgangs mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener ausgewählt. Dem Beraterstab gehören externe Experten aus den verschiedenen Fachbereichen sowie zwei Betroffenenvertreter an. Laut einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers" habe der Betroffenenvertreter Georg Menne sich im Beraterstab als einziger gegen die erneute Berufung Bringmann-Henselders ausgesprochen und anschließend das Gremium verlassen. Am Auswahlverfahren äußerte die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Kerstin Claus Kritik. Der Beraterstab war auf Empfehlungen der zuständigen UBSKM-Referentin nicht eingegangen. Medienberichten zufolge besteht der Rat aus den fünf verbliebenen Mitgliedern der ersten Amtsperiode sowie zwei neuen Betroffenenvertretern. Das Gremium hat vorerst noch keinen neuen Sprecher gewählt.
Bringmann-Henselder gehört auch als Betroffenenvertreter der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) des Erzbistums an, die sich ebenfalls im Juni konstituiert hat. Er wurde im Juli des vergangenen Jahres zum neuen Sprecher des Gremiums gewählt, nachdem die Sprecher Patrick Bauer und Karl Haucke das Gremium nach der Entscheidung zur Nichtveröffentlichung des ersten Kölner Missbrauchsgutachtens unter Protest verlassen hatten. Später erklärten Bauer und Haucke jedoch, sie seien überrumpelt worden. Auch andere Mitglieder verließen den ursprünglich aus zehn Personen bestehenden Beirat.
Bringmann-Henselder seit Jahren in der Kritik anderer Betroffener
Bringmann-Henselders steht bei anderen Missbrauchsbetroffenen schon länger in der Kritik – unter anderem wegen des Umgang mit ihren Unterlagen. Bei einer Tagung der UBSKM erklärte er jüngst, dass er im Besitz von Personalakten ehemaliger Heimkinder sei, die er privat ausgewertet habe. Das Ergebnis seiner Auswertungen habe er staatlichen Archiven angeboten, die Unterlagen selbst könne er nicht herausgeben, da er sie für seine Arbeit brauche. Haucke hatte daraufhin unter Protest die Tagung verlassen und bezeichnete Bringmann-Henselder als "Komplizen von Vertuschung". Auch die frühere Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt, die Mitglied im Betroffenenbeirat der UBSKM ist, zeigte sich erschüttert. "Ein Betroffenenvertreter hortet privat Akten anderer Betroffener und weigert sich, den gesamten Bestand herauszugeben, weil er den für sich selbst benötige. Das ist indiskutabel und empörend", sagte Marquardt gegenüber dem KStA. Sie erwarte, dass die Kirche aktiv werde und kläre, "auf welchen Akten er sitzt und was damit in einem rechtskonformen, transparenten Verfahren unter Einbeziehung der Betroffenen zu geschehen hat", so Marquardt weiter. Bereits zuvor hatte es Kritik an Bringmann-Henselder gegeben.
Ein Gesprächsformat zur Betroffenenbeteiligung, das der damalige UBSKM Johannes Rörig eingerichtet hatte, und an dem Bringmann-Henselder beteiligt war, wurde nach internen Zerwürfnissen auf Proteste von Betroffenen hin eingestellt. Bringmann-Henselder veröffentlichte im März 2013 heimlich angefertigte Mitschnitte aus einem Workshop, der zur Konfliktbearbeitung anberaumt worden war. Gegenüber dem KStA sagte Marquardt, dass jeder, der sich mit dem Thema Missbrauch und Aufarbeitung in der katholischen Kirche beschäftigt habe, "schon vom fragwürdigen Agieren des Herrn Bringmann-Henselder gehört" habe. Auch die Leiterin der Kölner Informations- und Beratungsstelle "Zartbitter", Ursula Enders, habe dem damaligen Interventionsbeauftragten des Erzbistums, Oliver Vogt, schon 2019 ihre Bedenken gegenüber einer Berufung Bringmann-Henselders in den Betroffenenbeirat mitgeteilt. Dessen Einwände seien aber nicht gehört worden (fxn)