Wilmer: Frieren steht in keinem Verhältnis zum Sterben im Krieg
Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hat auch angesichts einer drohenden Energie-Engpässe dazu aufgerufen, nicht mit der Solidarität für die Ukraine nachzulassen. "Wir sind gemeinsam von der Krise betroffen; wir werden auch nur gemeinsam mit ihr umgehen können. Niemand kann sich allein retten", schreibt Wilmer in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag" (Wochenende).
Vielleicht werde er im Winter frieren müssen, dies sei aber "nicht der Rede wert", so der Bischof. Dies stehe in keinem Verhältnis zum Sterben der Menschen im Krieg: "Währenddessen sterben in der Ukraine Väter an der Front und Kindern in den Armen ihrer Mütter. Bomben fliegen in Musikschulen und Krankenhäuser." Nirgends habe er selbst so gefroren, wie Ende der Achtzigerjahre beim Studium in Rom. Dort sei die Heizung zentral geregelt worden. "Was manche vielleicht als Zwang und Freiheitsbeschränkung erlebten, empfand ich als gesellschaftliche Solidarität", so Wilmer.
Solidarität Gottes mit den Menschen kenne keine Grenzen
Noch vor wenigen Monaten habe Europa über ein Gasembargo diskutiert, nun habe der russische Präsident Wladimir Putin es geschafft, "den Spieß umzudrehen". "Wir haben Angst und fragen uns bange, was geschieht, wenn Putin uns den Gashahn abdreht", so der Bischof. Bislang trage eine Mehrheit der Bevölkerung aus Solidarität die Sanktionen mit, "die nicht nur für Russland schmerzhaft sind, sondern auch für uns". Russland "in die Knie zu zwingen" dürfe aber nicht bedeuten, auch die eigene Wirtschaft in den Ruin zu treiben. "Die Selbstaufopferung christlicher Heiliger, die Kranke gepflegt haben und dann selbst daran umgekommen sind, ist nichts, was man einer Bevölkerung politisch verordnen könnte."
Wirkliche Solidarität bedeute, "die Welt als ein gemeinsames großes Haus zu verstehen", schreibt Wilmer weiter. Die Grundlage dafür sei die Solidarität Gottes mit den Menschen: "Der Gott, der Mensch wird und am Kreuz stirbt, zeigt seine Solidarität mit dem Leid der Menschen." Diese Solidarität kenne keine Grenzen. Christen könnten diese Sicht Gottes auf die Welt haben, eine Perspektive der Barmherzigkeit: "Barmherzigkeit ist das Gesicht der Solidarität."
Niemand könne solidarisch sein, wenn er nicht die Barmherzigkeit kennen würde, so der Hildesheimer Bischof. "Und wenn ich in meinen menschlichen Grenzen barmherzig handle, dann bringe ich damit die Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck, die alle Grenzen überschreitet." Damit könne man auch die Grenzen zwischen Freund und Feind überschreiten. "Man braucht denjenigen, die brutal angegriffen werden, im Moment nicht mit Feindesliebe zu kommen", schreibt Wilmer. Sie hätten das Recht, sich zu verteidigen und dürften dabei auch Hilfe erwarten. "Aber Christen werden die Hoffnung auf Versöhnung am Ende nicht aufgeben können." (cbr)