Große Krise am ersten Tag der vierten Synodalversammlung

Sexualitäts-Text abgelehnt: Wie geht es weiter mit dem Synodalen Weg?

Veröffentlicht am 09.09.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Schon am ersten Tag der vierten Synodalversammlung gab es den großen Knall: Die Annahme des Grundtexts zur Sexualmoral ist an der Sperrminorität der Bischöfe gescheitert. Viele Synodale machten ihrem Ärger Luft – der Reformprozess ringt nun um sein Weitergehen.

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Die Sitzungsleitung wurde von dem Ergebnis offenbar kalt erwischt. Nachdem festgestellt worden war, dass der Grundtext des Forums IV zur Sexualmoral nicht angenommen wurde, unterbrach man die Synodalversammlung zunächst für mehrere Minuten. Die erste große Benchmark, die in den Augen vieler gesetzt werden sollte, war gescheitert. Das Synodalpräsidium beriet sich, um zu besprechen, was nun zu tun ist.

Rückblickend könnte man es beinahe als schlechtes Omen betrachten, dass ausgerechnet zuvor während der Abstimmung über die von den Synodalen eingebrachten Änderungswünsche im Text die Sitzung bereits länger unterbrochen werden musste. Ein technisches Problem hatte die Mikrofone in der Synodalaula lahmgelegt. Die Teilnehmer mussten über 20 Minuten warten, bis der Schaden behoben und die Sitzung fortgesetzt werden konnte.

80 Prozent Zustimmung, aber...

Über 80 Prozent der Synodalen hatten dem Papier eigentlich zugestimmt; einem Papier, das Reformbedarf unter anderem in der Haltung der Kirche zu künstlicher Verhütung und homosexuellen Partnerschaften sieht und das Thema Geschlechteridentitäten jenseits des Mann-Frau-Schemas in den Blick nimmt. Es geht ihm, gerade nach dem Vertrauensverlust der Kirche auf diesem Gebiet durch die Missbrauchsfälle, um eine Anschlussfähigkeit der kirchlichen Sexualmoral an die Lebensrealität der meisten Menschen. Der Haken: Er erreichte nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe, die neben der Zweidrittelmehrheit aller Synodalen notwendig ist, damit ein Text als beschlossen gilt. Von den 57 abgegebenen bischöflichen Stimmen votierten 31 dafür, 22 dagegen und drei enthielten sich. Andere stimmten offenbar gar nicht ab, da laut Synodalpräsidium 60 Bischöfe teilnahmen. Fast 40 Prozent der Bischöfe verweigerten somit dem Text die Zustimmung. Nun stand unweigerlich die Frage im Raum, wie es mit der Synodalversammlung weitergehen soll – und mit dem Synodalen Weg als Ganzes.

Bild: ©Synodaler Weg / Maximilian von Lachner

Viele Synodale – im Bild der Soziologe Hans Joas – waren nach der gescheiterten Abstimmung über den Grundtext zur Sexualmoral fassungslos.

In der Unterbrechung spielten sich zum Teil dramatische Szenen ab. Einige Synodale verließen aus Protest dem Raum, manche mit Tränen in den Augen. Spontan kam es zu einer Protestkundgebung. Eine der Synodalen hielt ein Transparent mit der Aufschrift "Kein Raum für Menschenfeindlichkeit" mitten in der Synodenaula hoch in die Luft.

Im Anschluss wurde kurzfristig eine Aussprache für alle Synodalen angesetzt, in der sich über 50 von ihnen zu Wort meldeten. Mit tränenerstickter Stimme brachte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter Karp, ihre Erschütterung über das Ergebnis zum Ausdruck. Auch Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Doch er appellierte an die Synodalen: "Bleiben wir zusammen. Jetzt ist der Punkt, an dem es sich bewährt."

"Wie soll ich als Bischof nun über Sexualität predigen?"

Viele Synodale reagierten in der Debatte emotional auf das Ergebnis. Aachens Bischof Helmut Dieser, einer der beiden Vorsitzenden des Forums, das den gescheiterten Text erarbeitete, sagte, er wisse nicht, wie er nun Enttäuschten gegenübertreten soll. "Wie soll ich als Bischof nun über Sexualität predigen?" Die Co-Vorsitzende des Forums, Birgit Mock, sprach von einer "Katastrophe". Die Benediktinerin Philippa Rath sagte, sie befürchte, dass sich die Spaltung zwischen den Gläubigen und den Bischöfen nun weiter vertiefen werde. Manche Teilnehmer warfen den Bischöfen, die ihre Zustimmung verweigert hatten, vor, in der vorausgehenden Diskussion nicht mit offenen Karten gespielt zu haben und still gewesen zu sein. Sie riefen sie auf, Farbe zu bekennen. Manche äußerten die Sorge, welches Zeichen diese Abstimmung in die Gesellschaft sende. Mit Blick auf diejenigen Synodalen, die den Saal enttäuscht verlassen hatten, weil sie beispielsweise selbst homosexuell sind, sagte der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann: "Der Sinn des Synodalen Wegs verlässt hier den Raum." Denn gerade queere Gläubige fühlten sich von der Sexualmoral der Kirche diskriminiert und verletzt.

Einige Bischöfe, die mit Nein gestimmt hatten, erklärten sich. Der Passauer Bischof Stefan Oster hatte schon in der Debatte vorher aufgezeigt, wo er die Probleme dieses Textes sieht: Er umschreibe ein anderes als das bisher geteilte christliche Menschenbild. Nun verteidigte er seine Ablehnung – und verwahrte sich gegen die Unterstellung, nichts auf dem Synodalen Weg gelernt zu haben. Er betonte, es sei nicht leicht, als Anhänger der Minderheit offen seine Position in der Versammlung zu vertreten. Gleichzeitig betonte er, kein Interesse daran zu haben, "dass wir auseinandertreiben".

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Auch der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke erklärte, dass er den Text abgelehnt habe, obwohl er durch einige Passagen viel gelernt habe. Die Bischöfe, die mit Nein gestimmt haben, wollten nicht diskriminieren, so Hanke, orientierten sich aber an der gültigen Lehre. Er kritisierte, dass es auf den bisherigen Synodalversammlungen zu wenig Raum für Grundsatzdebatten gegeben habe, "für eine Vergewisserung, wo wir stehen". Auch die Kölner Weihbischöfe Rolf Steinhäuser und Ansgar Puff bekannten sich zu Ihren Nein-Stimmen, betonten aber, dass sie vieles in dem Papier als zustimmungswürdig sehen.

Andere Bischöfe betonten dagegen umso mehr, dass sie hinter dem letztlich nicht verabschiedeten Text stehen. So sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, er sorge sich nach dem Ergebnis um die "zarten Pflänzchen" im Bereich der Homosexuellenpastoral in seiner Diözese. Niemand hindere ihn daran, so Kohlgraf, auf Grundlage dieses Textes weiterzuarbeiten. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sagte, es sei nicht das Problem, dass ein Text abgelehnt wurde, "aber dass es dieser Text ist". Andere Stimmen, darunter der frühere Caritas-Präsident Peter Neher und Augsburgs Bischof Bertram Meier, unterstrichen, der Text sei auch ohne positives Abstimmungsergebnis in der Welt und werde Beachtung finden.

Krisensitzungen nach der Abstimmung

Doch wie geht es nach diesem "Schock" nun weiter mit dem Synodalen Weg? Manche Teilnehmer betonten, dass sie ihn als gescheitert betrachten. Andere sagten, der Weg müsse gerade jetzt weitergegangen werden. Dabei kam auch die Frage auf, wie nun mit den Handlungstexten aus dem Forum zur Sexualität umzugehen sei. Formal sind sie unabhängig vom abgelehnten Grundtext und könnten beschlossen werden. Doch einige warnten davor, dies ohne das "Fundament" zu tun. Um das weitere Vorgehen abzustimmen, kamen die Bischöfe und die sonstigen Teilnehmer der Synodalversammlung am späten Abend in zwei getrennten Sitzungen zusammen. Aus der Synodalversammlung war zuvor die Forderung an die Bischöfe herangetragen worden, sich auszusprechen und eine gemeinsame Linie zu finden – um eventuell zu retten, was noch zu retten ist.

Das Chaos nach der Abstimmung zum Grundtext des Sexualforums brachte auch den Zeitplan der Synodalversammlung gehörig durcheinander. Insgesamt sollen dort 14 Texte besprochen werden, neun davon in der finalen zweiten Lesung samt Abstimmung. Allein am Donnerstag sollte noch über zwei weitere Grundtexte abgestimmt werden: die aus den Foren zur Priesterlichen Existenz und zu Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche. Dies wurde bis auf Weiteres vertagt. Nach den Erfahrungen des ersten Tages geht bei vielen Synodalen die Angst um, bei den noch anstehenden Abstimmungen erneut kalt erwischt zu werden.

Von Matthias Altmann