Kritik an Bischöfen, die Sexualmoral-Text verhindert haben

Moraltheologe Sautermeister: Kirche hat immer ihre Lehre geändert

Veröffentlicht am 12.09.2022 um 09:55 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Zürich ‐ Dass der Sexualmoral-Text beim Synodalen Weg an der Sperrminorität der Bischöfe gescheitert ist, bezeichnet Moraltheologe Jochen Sautermeister als "ein gewaltiges, irritierendes Beben". Argumente der Gegner kann er nicht nachvollziehen.

  • Teilen:

Der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister kritisiert diejenigen unter den deutschen Bischöfen, die beim Reformprojekt Synodaler Weg die Verabschiedung eines Reformpapiers zur Sexualmoral verhindert haben. Der Grundtext zu einer erneuerten Sexualethik sei "sehr solide ausgearbeitet" und bilde behutsam den theologisch-ethischen Diskussionsstand ab, sagte er dem Schweizer Portal "kath.ch". Dass dennoch keine Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe zustande kam, sei "ein gewaltiges, irritierendes Beben" gewesen.

Nicht nachvollziehen könne er die Argumente der Gegner, der Text entspreche nicht der kirchlichen Lehre und auch nicht der christlichen Anthropologie. Es gehe um eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexuallehre, betonte Sautermeister: "Und Weiterentwicklung und Vertiefung der theologisch-ethischen Grundeinsichten sind ein wichtiger Bestandteil der Treue zum Evangelium."

Papst Franziskus etwa habe die kirchliche Morallehre dahingehend vertieft, dass die Todesstrafe immer unzulässig sei, fügte der Theologe hinzu. Als weitere Beispiele nannte er die Anerkennung der Religionsfreiheit durch die Kirche und das personale Eheverständnis: "Es ließen sich noch weitere Beispiele anführen, die zeigen: Tradition ist geschichtlich und es gibt Lern- und Einsichtsprozesse auch in der kirchlichen Morallehre."

Sexualmoral entspreche nicht mehr Forschungsstand der Humanwissenschaften

Konkret dürfe sich die kirchliche Morallehre aber auch nicht nur darauf berufen, dass man der Lebenswirklichkeit der Menschen gerecht werden wolle. Entscheidend sei das "Ernstnehmen der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse zur menschlichen Sexualität und zweitens die Einsicht, dass selbstverständlich auch in queeren Beziehungen Liebe, Treue und Verantwortung gelebt werden kann." Wenn sich gesicherte empirische Erkenntnisse und Werteinsichten änderten, müsse das auch in der ethischen Urteilsbildung Berücksichtigung finden.

Die lehramtliche Sexualmoral entspreche derzeit nicht mehr dem Forschungsstand der Humanwissenschaften, ergänzte der Moraltheologe: "Die Kirche sollte aus Fehlern früherer Zeiten lernen. Ansonsten hätten wir einen neuen Fall Galilei im 21. Jahrhundert – nur mit dem gravierenden Unterschied, dass es die Gestirne nicht tangiert, was Menschen über sie denken." Tatsächlich stehe auf dem Spiel, "ob die Kirche überhaupt noch als moralische Autorität in der Gesellschaft Gehör finden kann", so Sautermeister weiter.

Am Donnerstagabend war zu Beginn der vierten Vollversammlung des Synodalen Wegs ein Grundsatzpapier für eine Liberalisierung der katholischen Sexuallehre an der Sperrminorität der Bischöfe gescheitert. Bei der finalen Abstimmung in Zweiter Lesung votierten in Frankfurt 82,8 Prozent der anwesenden Delegierten des Reformdialogs für den Text, die ebenfalls notwendige Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe wurde jedoch verfehlt: 61,1 Prozent der anwesenden Bischöfe stimmten dafür, 38,9 Prozent dagegen. Das führte zu heftiger Kritik von Delegierten und Beobachtern. (tmg/KNA)