Diese 101-jährige Ordensfrau spielt täglich die Orgel
Weil ihr Bruder, der Organist war, im Krieg eingezogen wurde, sprang Schwester Beata ein. So kam sie "zufällig" zum Orgel spielen, erzählt die 101-jährige Ordensfrau, als wir sie im Vincenzhaus in Oberhausen besuchen. Seit mehr als 75 Jahren spielt sie die Orgel. Im Kloster ist sie die Einzige, die noch Orgel spielen kann. "Nach ihr gibt es niemanden mehr, der das weiterführt", erklärt die Priorin, Schwester Maria Jung. Sie begleitet die betagte Ordensfrau. Im Vincenzhaus leben 25 Arenberger Dominikanerinnen. Die Hälfte von ihnen ist pflegebedürftig. Seit kurzem lebt hier auch eine Schwester aus dem erst kürzlich aufgelösten Berliner Konvent.
In das Kloster in Oberhausen ist Schwester Beata vor 70 Jahren eingetreten. Sie heißt eigentlich Schwester M. Beata. Das M. steht für "Maria", das aber nicht ausgesprochen wird, erklärt die Priorin. Schwester Beata trägt an ihrem Finger einen goldenen Ring. Er strahlt genauso wie ihr Gesicht. "Es war damals die richtige Entscheidung, ins Kloster zu gehen", sagt sie im Rückblick. Sie ist eine von rund 100 Arenberger Dominikanerinnen in Deutschland.
Geboren wurde Schwester Beata im Oktober 1920 in Bottrop, gleich in der Nähe von Oberhausen. Sie habe schon als Kind jeden Morgen gebetet. Auch wenn ihr Vater evangelisch war, sei sie mit ihrer Mutter jeden Tag in die Messe gegangen, später dann in die Schulmesse. Sie besuchte dann eine Handarbeitsschule und half ihrer Mutter im Haushalt, als "Haustochter". Ihre vier Brüder waren im Krieg.
"Der Krieg, das war eine schlimme Zeit", sagt sie. Ein Bruder ist bis heute vermisst. Sie kann sich noch gut erinnern, wie sie vor dem letzten Bombenangriff in Bottrop morgens noch die Frühmesse spielte. Mittags schlugen die Bomben ein. Die Hälfte der Kirche war weg, die Orgelempore komplett zerstört. "Da habe ich noch ein paar Stunden vorher drauf gesessen", erzählt sie. Der Pfarrer der Gemeinde konnte sich nicht mehr rechtzeitig in den Bunker retten, weiß Schwester Beata. Er ist auf der Kellertreppe verbrannt. Es war eine schreckliche Zeit, erinnert sie sich. Die Kirche sei dann viel später wieder aufgebaut worden. In der Zwischenzeit fanden die Gottesdienste bei den Dominikanerinnen im Ort statt. Die gab es damals schon in Oberhausen, so die Ordensfrau.
Mit 28 Jahren ist sie selbst Dominikanerin geworden. 1949 war das, da war der Krieg schon zu Ende, erinnert sich Schwester Beata. Ihr jüngster Bruder, der aus dem Krieg zurückgekehrt war, hat sie damals ins Kloster begleitet. "Denn alleine geht man nicht so gerne", erklärt sie.
Das musikalische Talent hat sie von ihrem Vater geerbt, ist sie sich sicher. Er habe sogar Querflöte und Klarinette gespielt. Das Orgelspielen war für sie anfangs Beruf, um Geld zu verdienen, erzählt Schwester Beata. Später im Kloster habe sie auch täglich an der Orgel gesessen. Nur nicht im Postulat, verrät sie. Das habe sie damals auch geärgert. "Beichten sollte ich regelmäßig, aber spielen durfte ich in dieser Zeit nicht". Das änderte sich aber, als sie Novizin wurde. Von da an saß sie wieder täglich an der geliebten Orgel. Bis heute. Sie oben, ihre Mitschwestern unten. "Ich habe nie in der Kirchenbank gesessen", sagt sie.
Warum sie ins Kloster wollte, weiß sie bis heute: "Der liebe Gott, der wollte das, der hat mich gezogen", wiederholt sie. "Ich habe schon den richtigen Weg gewählt." Sie blickt fragend zur Priorin. "Nehme ich an?"
Schwester Beata hat Fotos mitgebracht. Sie legt sie auf den Tisch vor sich. Auf einem Foto steht sie in einem grauen Habit auf einer Treppe, umgeben von Priestern. Das war 1961, sagt sie, bei der Primiz ihres Bruders. Den Schleier trug sie tief im Gesicht. "Das war damals so", meint Schwester Beata. Das Ordensgewand änderte sich aber mit den Jahren. Die Farbe wechselte von grau zu cremeweiß. Und der Schleier fiel nicht mehr so eng aus. "Das war viel Arbeit, denn ich musste das alles abändern, ich war ja die Schwester im Nähzimmer", erzählt sie.
"Das bin ich auch", sagt sie und zeigt auf ein anderes Foto aus der Kriegszeit. "Eine schöne Frau", meint sie. Da ist sie mit ihrem Bruder in Berlin, "auf dem Reichsportfeld". Weil ihr Bruder im Krieg an der Heereswaffenmeisterschule war, habe sie ihn besucht. Zwei Tage später schlugen die Bomben in Berlin ein und haben die Gedächtniskirche zerstört. "Ich war auch kurz vorher in der Kirche drin", ergänzt sie. Auf einem anderen Foto ist Schwester Beata als junge Frau in Brüssel zu sehen, bei der Weltausstellung damals. "Da war ich öfters, denn meine Mutter war Französin und wir besuchten meine Tante", erinnert sie sich. "Das war eine schöne Zeit. Diese Fotos könnte ich jeden Tag anschauen." Es gibt auch ein Foto gemeinsam mit der Priorin, die ihr das Bild reicht. "Wir mögen uns einfach", sagt sie.
"Gehen wir jetzt auf die Empore", unterbricht die 101-Jährige "Ja, bitte?", drängt sie. Sie hält sich am Rollator fest, leicht gebückt, läuft sie den Gang entlang bis zum Aufzug. Es ist ein vertrauter Weg für sie. Sie drückt auf die zwei. Oben angekommen, stellt sie den Rollator neben die Orgelbank und murmelt: "1,2, so geht das" und mit einem "Hoppla" sitzt sie auch schon drauf. Sie zieht noch einmal den Habit lang und schaut auf die Noten vor sich. "Ich brauche immer eine Partitur", erklärt sie, auswendig spielen könne sie nicht, so musikalisch sei sie eben auch nicht. Die Priorin lächelt.
Die Orgel hat zwei Manuale. Orgelspielen sei nicht so einfach, aber „wenn man es kann, dann geht es“. Sie lacht. "Ich habe es ja gelernt". Auch wenn ihr Bruder der bessere Organist gewesen sei, meint sie. „Ich kann alles spielen, wenn ich die Noten dazu habe“, betont sie und ergänzt: "Auch mit Pedal“. Früher habe sie auch Walzer oder Karnevalslieder am Klavier gespielt. Das mache sie heute nicht mehr. Es sei ihr einfach zu beschwerlich.
"Was soll ich denn spielen?", überlegt sie laut und blättert in den Noten. Die Priorin macht das Licht der Leselampe an. "Mein schönster Herr Jesus" beschließt sie. Sie schaltet den Motor der Orgel ein und bleibt einen Moment ruhig, faltet die Hände. "Man muss immer ein wenig warten, bis der Strom da ist. Es kommt nicht sofort was", erklärt die Ordensfrau. Dann setzt sie ihre zarten Hände auf die Tasten und spielt. Sie trifft nicht immer den richtigen Ton. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie nicht mehr so gut hören kann. "Ich kann auch lauter spielen", sagt sie bestimmt. Und spielt das Schubert "Heilig". Danach ein Marienlied. Ob sie ein Lieblingslied habe? "Ich spiele alles gerne", sagt sie.
Sie zeigt, wie sie die Liednummer einstellt, sodass sie vorne in der ganzen Kirche zu sehen sind. Sie müsse immer prüfen, ob die Nummer richtig dort ankomme und ob das Lämpchen leuchte. Sie kennt sich halt gut aus, erklärt die Priorin, sie sei schließlich die Hausorganistin. Es gebe auch niemanden, der nach ihr die Orgel spielen kann. Sie hatte zwar einmal eine Orgelschülerin, aber die hat sich den Arm gebrochen und dann war Schluss. "Schwester Beata wird bei uns einfach gebraucht", sagt die Priorin. Das gebe ihr bestimmt auch viel Lebenskraft, meint sie.
Schwester Beata stimmt an der Orgel das "Großer Gott" an. Sie spielt beherzt. "Ich spiele schließlich für den Herrn, denn ohne Jesus Christus geht es ja nicht", meint sie. "Und für die Gemeinde", ergänzt die Priorin. Ob sie auch mal Tutti spielen könnte? Nein, das macht sie nie. "Tutti brauche ich nicht", lacht sie. Dann schaltet sie den Orgelmotor ab. "Jetzt ist genug". Sie knipst das Licht an der Orgel aus.