Reformer auf dem Papstthron: Paul VI. veränderte die Kirche
Die Welt wandelte sich rasend schnell, und die Kirche stand mitten im größten Konzil ihrer Geschichte, als die Wahl auf ihn fiel. Gedrängt hatte sich der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini nicht nach dem Stuhl Petri. "Hier bin ich, gekreuzigt mit Christus", soll er am Schluss des Konklaves im Juni 1963 gesagt haben. Der Weg, den er dann als Papst Paul VI. ging, war aus Sicht der Kirche vorbildlich: 2018 wurde er heiliggesprochen. Am 26. September jährt sich sein 125. Geburtstag.
Er war der letzte Papst, dem bei der Amtseinführung die Tiara aufs Haupt gesetzt wurde, Symbol des päpstlichen Machtanspruchs über den Erdball. Später trug er sie nie mehr, und kein Pontifex hat sie je wieder beansprucht. Auf den zurückhaltenden Mann wartete innerkirchlich das wohl schwierigste Erbe, das ein Papst des 20. Jahrhunderts übernehmen musste. Am Ende seiner 15-jährigen Regierung hatte die katholische Kirche ein anderes Gesicht.
Schon äußerlich wirkte der feingliedrige Montini wie das Gegenbild zu seinem volkstümlichen Vorgänger Johannes XXIII. 1897 als Sohn eines Rechtsanwalts im norditalienischen Concesio geboren, hatte er die päpstliche Diplomaten-Akademie durchlaufen und 30 Jahre im vatikanischen Staatssekretariat gearbeitet. "Immer höflich, manchmal scheu", so beschrieben ihn Zeitgenossen. Doch als er 1954 Erzbischof in der Industriemetropole Mailand wurde, suchte der kühle Intellektuelle das Gespräch auch mit Arbeitern in Fabriken, über denen bei Streiks die rote Fahne flatterte.
Der persönliche Preis für das Zweite Vaticanum war hoch
Der neue Papst ließ keinen Zweifel daran, dass er das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) fortsetzen würde: "Dafür wollen wir alle Kräfte einsetzen, die der Herr uns gegeben hat." Behutsam abwägend, aber zügig lenkte er die Bischöfe durch drei Sitzungsperioden. Die Grenzen und Gefahren für eine 2.000-jährige Institution, die den Anspruch auf absolute Wahrheit verkörpert, waren ihm dabei immer bewusst. Sie erforderten ein Gespür, das die Kräfte eines einzelnen beinahe überfordern musste.
Der persönliche Preis dafür war hoch. Als der Papst das Konzil am 8. Dezember 1965 schloss, glichen dessen Dokumente für Traditionalisten wie den französischen Erzbischof Lefebvre und manchen Kurienvertreter einem Erdbeben – und blieben für Progressive hinter den Erwartungen zurück.
Für die einen war das Bekenntnis zur Glaubensfreiheit, die Öffnung der Liturgie für die Volkssprache, die Anerkennung anderer Religionen als Dialogpartner schierer Verrat an der Botschaft Jesu. Die anderen verübelten Paul VI. das Beharren auf dem päpstlichen Primat, etwa gegenüber den vom Konzil beschlossenen Bischofssynoden. Unter den Anfeindungen beider Seiten hat Paul VI. gelitten.
Seine Vision eines modernen Papsttums verfolgte er weiter und schaffte im Zuge einer tiefgreifenden Kurienreform den päpstlichen Hofstaat ab: keine Straußenfedern mehr, kein Tragesessel, flankiert von Adligen in spanischer Hoftracht. Selbst die schweren brokatenen Gardinen im Vatikan ließ er abhängen und die Räume weiß streichen. Die neue Schlichtheit sollte den Blick auf die eigentliche Botschaft freilegen.
Auch politisch setzte der erste "Reisepapst" der Neuzeit Impulse, schon weil er die Zahl der vatikanischen Nuntiaturen verdoppelte; seine Wegestrecke reicht von Südamerika bis Fernost. Sein Friedensappell vor den Vereinten Nationen in New York 1965 galt vor dem Hintergrund des eskalierenden Vietnam-Kriegs als Meilenstein. Als erster Papst begann er Gespräche mit der Sowjetunion und dem atheistischen Ostblock, gegen die Proteste konservativer Kreise.
Eine neue Epoche der Kirchengeschichte
Historisches leistete er für die Ökumene. Die Umarmung mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras auf seiner Heilig-Land-Reise 1964 und die spätere Aufhebung des gegenseitigen Banns von 1054 leiteten eine neue Epoche der Kirchengeschichte ein.
Paul VI. suchte den Dialog mit der Welt, als die sich im Westen heftiger denn je von der Kirche abwandte. Gegen die linke Kulturrevolution der 60er und 70er Jahre wirkte er oft machtlos. Die negativen Reaktionen auf seine Enzyklika "Humanae vitae", in der er sich 1968 gegen die grundsätzliche Trennung von Sexualität und Familienplanung durch künstliche Verhütungsmittel wandte, machten die Kluft deutlich. Als "Pillen-Paule" verspottete man ihn in Deutschland. Dass er im Vorjahr den berüchtigten "Antimodernisteneid" für Priester abgeschafft hatte oder in seiner Sozialenzyklika "Populorum progressio" (1967) energisch für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung eintrat, ging dagegen fast unter.
Das schwierige Pontifikat forderte Tribut. Pauls Kräfte ließen in den 70er Jahren sichtlich nach und verließen ihn am 6. August 1978 ganz. Sein Biograf Jörg Ernesti nannte ihn später den "vergessenen Papst". Doch für viele bleibt er der größte des 20. Jahrhunderts.