Anglikanischer Priester: Wir beten auch für den Papst
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Johannes Arens ist anglikanischer Priester im mittelenglischen Leicester, obwohl er eigentlich aus Deutschland stammt. Im Interview spricht er über große Spannungen innerhalb der anglikanischen Kirche und Parallelen zu den Reformdebatten in der katholischen Kirche.
Frage: Sie sind von Hause aus altkatholischer Geistlicher und vor 20 Jahren nach England gezogen. Die anglikanische Kirche steht in voller Kommunionsgemeinschaft mit den Altkatholiken, deshalb konnten Sie problemlos die Konfession wechseln. Was sind da die Zusammenhänge? Anglikaner und Altkatholiken sind ja historisch nicht gleichzusetzen.
Arens: Die "Church of England" sieht sich in ganz klarer Tradition zur mittelalterlichen Kirche Englands und versteht sich als die katholische Kirche Englands. Für den Großteil ihrer Geschichte war die Kirche von England in voller Kommuniongemeinschaft mit dem Papst. Sie sieht den Bruch dieser Kommuniongemeinschaft als historische Entwicklung und auch als Verwundung. Anglikaner verstehen sich als Katholiken, nicht als Protestanten.
Wir sehen die Trennung der Kirche von England mit Rom als Verwundung an und als zeitbedingte Notwendigkeit. Das führt dazu, dass die Kirche von England Entscheidungen, die diesen Graben vertiefen, mit ausgesprochen unangenehmen Gefühlen trifft. Das Thema Frauenordination ist zum Beispiel für viele Anglikaner ein Problem, weil der Papst sagt, das geht nicht. Die Kirche von England hat sich dazu entschieden, aber mit großen Schmerzen – und sieht das auch als prophetisch. Aber wir könnten da ja auch falsch liegen. Es wäre sehr viel einfacher, wenn der Papst sagen würde, dass es eine gute Idee ist. Das hat er aber nun mal genau nicht gesagt. Wir beten auch für den Papst. Wichtig ist aber: Wir sehen uns in der direkten Kontinuität zur mittelalterlichen Kirche – und nicht als Protestanten. Anglikaner verstehen sich nicht als Protestanten, sondern als katholisch und reformiert.
Frage: Aber Anglikaner sind ja nicht gleich Anglikaner …
Arens: Innerhalb dieser Definition gibt es eine ganz große Bandbreite. Auf der einen Seite gibt es sehr katholische Anglikaner, die in jeder Messe für den Papst beten, die exakt das gleiche Sakramentenverständnis und auch das Glaubensverständnis haben und den Katechismus ohne Probleme unterschreiben könnten. Und es gibt sehr evangelikale Anglikaner, die das etwas anders sehen, und die auch in ihren Gottesdiensten und in ihrem Glaubensleben das sehr anders leben.
Da ist eine riesige Spannung. Anglikaner haben es in den letzten paar Hundert Jahren gut verstanden, diese Spannung auszuhalten – mit Schmerzen. Unsere offiziellen Texte sind aber häufig so formuliert, dass man da verschiedene Dinge reinlesen kann und dass man diese ökumenische Bandbreite aushält, die wir in einer Kirche haben, die es de facto natürlich auch in allen anderen Kirchen gibt. Ich habe gerade einen Artikel gelesen, dass die Deutsche Bischofskonferenz nach Rom zum Ad-limina-Besuch muss und dass es da mehr oder weniger unüberbrückbare Gegensätze innerhalb der deutschen römisch-katholischen Bischofskonferenz gibt. Das ist genau die gleiche Situation. Es ist nur etwas weniger öffentlich.
Frage: Genau das ist ja der Knackpunkt an der Reformdebatte der katholischen Kirche in Deutschland. Wir haben eine große reformbereite Mehrheit, sowohl unter den Gläubigen als auch unter den Bischöfen. Aber es ist nun mal nicht zu vereinbaren mit dem, was der Vatikan sagt und was eine Minderheit der deutschen Bischöfe sagt. Wie kriegen Sie als Anglikaner das hin, was wir nicht hinkriegen – diese Spannung auszuhalten?
Arens: Wir kriegen das genauso viel und genauso wenig hin wie die Katholiken. Wir kriegen es innerhalb Englands hin, dass zum Beispiel die Traditionalisten, die die Ordination von Frauen zu Priestern und Bischöfen – wahrscheinlich aufgrund des Widerstands des Papstes – ablehnen, eigene Weihbischöfe haben. Die haben so etwas wie eine Personalprälatur, das ist vielleicht das römische Äquivalent. Das funktioniert im Großen und Ganzen ganz gut. Das bedeutet, wenn die ihre Priesterweihen haben, dann kommt ein eigener Bischof, der sie weiht und der natürlich männlich ist und in einer männlichen Sukzessionslinie steht. De facto ist das ein Schisma, aber es funktioniert im Praktischen und im Alltagsleben ganz gut.
Im internationalen Vergleich sieht das genauso schwierig aus. Man sieht ja, was da jetzt in Rom mit der Synode oder mit dem synodalen Prozess funktioniert oder wie es eben nicht funktioniert. Ich höre das von Kollegen, die in Rom arbeiten und sagen, in Afrika oder in Gegenden Asiens gebe es da angeblich überhaupt noch keinen Gesprächsbedarf. Wir haben aber mit den gleichen Themen zu tun. Anglikaner in Zentralafrika sehen das Thema Frauenordination oder das Thema gelebte Homosexualität komplett anders, als man das in Nordeuropa tut, wo das eigentlich im Gemeindeleben überhaupt kein Thema ist. Ganz im Gegenteil. Zum Beispiel hier in meiner Gemeinde, die sehr studentisch geprägt ist, haben wir wirklich andere Themen, als was Leute in ihren Privathäusern tun.
Frage: Heißt das, der große Unterschied ist einfach, dass es keinen Papst gibt, der das Dogma vorgibt?
Arens: Jein. So könnte man sich das gut vorstellen. Der Erzbischof von Canterbury ist eben nicht unser Papst, sondern hat den Ehrenvorsitz. In gewissen Dingen hält man dann auch Unterschiede aus oder unterschiedliche Tempos, unterschiedliche Akzente, wenn man sich einig ist, dass die Themen zweitrangig sind und eigentlich nicht das zentrale Glaubensgut antasten. Wenn es aber um Fragen wie die Ordination und das Amtsverständnis geht, dann ist das schon ziemlich zentral. Oder wenn es darum geht, was eine Ehe ist. Das berührt auch das Sakramentenverständnis, was ausgesprochen zentral ist.
Dann bröckelt es. Dann gibt es Leute, die sagen: Nein, das geht nicht, wenn ihr die Ehe umdefiniert und sagt, die ist möglich zwischen zwei Frauen und zwei Männern. Andere sagen, das sei keine Umdefinierung, sondern eine Erweiterung und nehme den wissenschaftlichen Konsens ernst. Sie sagen, im wissenschaftlichen Konsens und den Überzeugungen der Gläubigen in Europa zeige sich ein Ort, an dem sich Offenbarung äußert. Das ist also exakt die gleiche Gemengelage, die man in der Deutschen Bischofskonferenz hat. Man verortet nämlich den Ort der Offenbarung in unterschiedlichen Bereichen. Und da gibt es große Schwierigkeiten, miteinander am Tisch zu bleiben. Und am Tisch ganz deutlich, nämlich am Altar, wo die Frage ist: Kann man zusammen Eucharistie feiern?
„Ich würde es mir auch sehr wünschen, wenn der Papst sein Amt verstehen würde als Vorsitzender der Weltbischofskonferenz.“
Frage: Das haben wir ja bei der anglikanischen Weltkonferenz, der Lambeth-Konferenz, vor ein paar Wochen mitbekommen, wo ja einige konservative Bischöfe ihre Teilnahme abgesagt haben, weil sie gesagt haben, sie können nicht dahinter stehen. Aber fehlt es da nicht trotzdem an so etwas wie einem oberen Gremium und irgendjemandem, der die Linie vorgibt, sodass man definiert, was anglikanisch ist und was nicht?
Arens: Ich würde es mir auch sehr wünschen, wenn der Papst sein Amt verstehen würde als Vorsitzender der Weltbischofskonferenz. Dann wären, glaube ich, fast alle Anglikaner zutiefst dankbar und wären in höchstem Maße erfreut, die Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri wiederherzustellen. Nichtsdestoweniger geht es mir auch ganz persönlich so, dass ich mich über die Frauenordination freue. Ich bin ein Teil des politischen Flügels innerhalb der Kirche von England, der damit zumindest einverstanden ist. Ich denke, das ist prophetisch. Das ist der Punkt, wo wir 2000 Jahre etwas falsch gemacht haben. Es gibt aber sehr viele Leute, die das ganz anders sehen. Und ich bin auch bereit zuzugeben, dass ich mich selbst da vielleicht vertue. Der Prozess muss aber irgendwo anfangen.
Innerhalb der römisch-katholischen Weltgemeinschaft geht das im Moment überhaupt nicht. Es gibt keinen Bischof, der sagen kann, wir probieren das jetzt und schauen mal, wie sich das in 50 Jahren entwickelt. Das geht nicht. Wenn der Bischof von Limburg heute eine Frau zur Priesterin weihen würde, wäre er morgen nicht mehr Bischof von Limburg. Aber der Prozess muss irgendwo anfangen. Und man muss dann mehrere Hundert Jahre darüber reden – und dann sieht man, ob man recht hat. Das Lehramt verändert sich. Was in sich schon eine kontroverse Aussage ist. Aber bei vielen Themen ändert sich über die Zeit das Verständnis. Man denke an Themen wie Sklaverei, Tierschutz, Frauenrechte, die Bewertung von Sexualität oder die Bewertung von Ehe. Das Ehe-Verständnis hat sich in den letzten 2000 Jahren massiv verändert. Das ändert sich immer nur dadurch, dass man unterschiedlicher Meinung ist.
Meinen persönlichen Ungehorsam gegenüber dem Papst in der Frage der Frauenordination rechtfertige ich damit, dass das irgendwo anfangen muss – und ich denke, das ist die richtige Entwicklung. Aber da gibt es viele Anglikaner und erst recht römisch-katholische Kollegen, die sagen, dass das nicht geht und unmöglich ist. Es bleibt also kompliziert. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Papst sein Amt ökumenischer ausüben würde. Aber das würde die Probleme überhaupt nicht beseitigen.
Frage: Es ist einfach eine Spannung, die in der grundsätzlichen Ungleichzeitigkeit der verschiedenen Strömungen der Kirchen drin ist, egal ob das jetzt katholisch, anglikanisch oder sonst was ist. Es geht ja allen Religionsgemeinschaften so.
Arens: Richtig. Das ist auch schon seit biblischen Zeiten so. Sonst hätte Paulus seine Briefe nicht schreiben müssen. Das ist von vornherein so. Interessanterweise lassen ja unsere heiligen Schriften sehr unterschiedliche Interpretationen zu. Ich glaube auch, das ist so gewollt.