Plädoyer für einen Blick über den eigenen religiösen Zaun
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Wie schrieb kürzlich einer auf Twitter, als der Vatikan die nächste Auslandsreise von Papst Franziskus ankündigte, die ihn bald nach Bahrain führen wird: Der Papst sollte eher nach Deutschland fahren und sich dort den anstehenden Fragen stellen. Aber nein, Franziskus folgt lieber einem der diversen roten Fäden seines Pontifikats und sucht die Möglichkeit zum interreligiösen Dialog. Im Alter, so wirkt es, wächst noch einmal sein Interesse daran, solche Zeichen zu setzen.
Als erstes römisch-katholisches Kirchenoberhaupt überhaupt besucht Franziskus vom 3. bis 6. November das Königreich Bahrain. Da reist er in ein Land, das auch von einem innerislamischen Konflikt geprägt ist – zwischen dem sunnitischen Islam, dem die Führung des Landes anhängt, und schiitischen Muslimen, die die Mehrheit der Bevölkerung bilden.
Mit dem Reiseziel Bahrain rückt der Papst noch näher an Saudi-Arabien und dessen Hauptstadt Riad heran als bei seinem erstmaligen Besuch auf der arabischen Halbinsel im Februar 2019. Sein damaliger Aufenthalt in Abu Dhabi und das gemeinsam unterzeichnete "Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt" gelten bleibend als sensationell. In Abu Dhabi ging es um eine interreligiöse Konferenz, in Kasachstan kürzlich ebenfalls, in Bahrain bei einem Dialogforum erneut. Mag sein, dass Franziskus eher nach Riad kommt als nach Moskau oder Peking.
Nun sind päpstliche Reisen bei allen großen Distanzen oft nur kleine symbolische Schritte. Und Papst Franziskus ist durchaus berüchtigt dafür, Dinge ohne allzu viel systematische Konzeption einfach mal zu machen. So ist er. Und trotzdem: Mit jeder dieser Reisen zeigt Franziskus auf, welche überragend hohe Bedeutung er dem interreligiösen Dialog zumisst. Da sieht er sich nur als eine Führungsgestalt neben vielen anderen. Solche Reisen machen Spannungen oder Konflikte nicht wett, die es in einer Reihe von muslimisch geprägten Ländern auch gibt und bei denen Christen als Minderheit oft zu leiden haben. Aber die Reisen sorgen für Dialog und Vertrauen, bestenfalls für Bündnispartner und Netzwerke. Mit jeder dieser Reisen, so wirkt es, mahnt er ein wenig auch seine Kirche.
Klar – man kann das nicht in jede Alltagssituation runterbrechen. Aber ein wenig mehr über den konfessionellen Zaun schauen kann jede und jeder. Wer geht denn schon am 3. Oktober mal in die nächste offene Moschee und schaut sich um? Wer interessiert sich für den merkwürdigen buddhistischen oder hinduistischen Tempel in der gleichen Stadt? Oder auch: Wo bieten kirchliche Jugendliche einer jüdischen Gemeinde an, am Jom-Kippur-Tag während der Gottesdienste ruhig (neben den Polizisten) vor der Synagoge zu stehen und damit symbolisch Schutz zu signalisieren?
Deutschland verliert seine christliche Prägung. Das wird in jüngster Zeit des öfteren festgestellt oder beklagt. Aber das heißt nicht nur, das das Land weniger religiös wird. Es wird eben auch anders religiös. Und die Kirchen und ihre Gemeinden sollten sich dem nach ihren Möglichkeiten durchaus stellen – über Konfessions-, aber auch über Religionsgrenzen hinweg. Der Blick über den Zaun wird das Eigene an Glaube und Traditionen nicht gefährden. Man muss sich nur auf den Weg machen.
Der Autor
Christoph Strack ist Leiter des Bereichs Religionen der Deutschen Welle.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.