Ex-Interventionsbeauftragter: Woelki hat Missbrauchs-Liste gesehen
Ein weiterer Zeuge wirft dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki vor, in einem prominenten Missbrauchsfall nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Der frühere Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Oliver Vogt, sagte dem WDR, der Kardinal habe sehr wohl schon 2015 eine Liste gesehen, auf der auch der Name des Ex-"Sternsinger"-Chefs Winfried Pilz gestanden habe. Woelki hatte an Eides statt versichert, er sei erstmals in der vierten Juni-Woche 2022 mit dem Fall befasst worden. Vogt bestätigte die Angaben der Bistumsmitarbeiterin Hildegard Dahm im "Kölner Stadt-Anzeiger", dass Woelki 2015 eine von ihr erstellte Liste mit 14 damals aktuellen Missbrauchsfällen – darunter auch Pilz – erhalten habe. Dahm habe die Liste ihrem damaligen Vorgesetzten, Personalchef Stephan Weißkopf, zu einer Sitzung mit Woelki mitgegeben, zu der auch Vogt eingeladen gewesen sei. "Er hat sie gesehen", sagte Vogt im WDR.
Nach Dahms Aussagen hatte die Kölner Staatsanwaltschaft am Mittwoch Ermittlungen gegen Woelki eingeleitet. Dabei geht es um die Frage, ob Woelkis eidesstattliche Versicherung zutrifft. Dahm hatte gesagt, sie habe Weißkopf die Liste mitgegeben: "Mag sein, dass er sich das Blatt mit Pilz und den anderen 13 Namen nicht angeschaut hat. Aber befasst habe ich ihn damit. Ganz eindeutig." Nach der Sitzung habe sie von ihrem Chef wissen wollen, wie Woelki auf die Liste reagiert habe. "Das hat den Kardinal überhaupt nicht interessiert", habe er geantwortet. Das Erzbistum wies alle Anschuldigungen zurück und kündigte die Prüfung von arbeitsrechtlichen Schritten an. Die Frau wisse selbst nicht, "ob der Kardinal diese, eine andere oder gar keine Liste gesehen hat, behauptet dieses aber einfach ins Blaue hinein".
Hauptamtliche fordern Woelki auf, Amt ruhen zu lassen
Am Donnerstagabend forderte eine Gruppe von hauptamtlichen Beschäftigten im Erzbistum Köln Woelki auf, sein Amt ruhen zu lassen, solange die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft andauern. Zugleich solidarisierten sie sich mit Dahm. Der ehemaligen Mitarbeiterin der Personalabteilung, die heute als Verwaltungsleiterin in einer Pfarrei arbeitet, gelte "unser großer Respekt und unsere volle Unterstützung", erklärte Gemeindereferentin Marianne Arndt: "Sie trägt mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit und ihrer Sicht der Dinge dazu bei, die Vertuschungsstrategien der Kölner Bistumsleitung zu entlarven."
Die Erklärung des Erzbistums mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen sei "verletzend und missachtend gegenüber Frau Dahm", sagte Arndt am Donnerstagabend der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Auf die Schnelle hätten bisher 16 hauptamtliche Mitarbeitende aus verschiedenen Berufsgruppen eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Sie gehe aber davon aus, "dass sich viele weitere anschließen werden". Zu den Unterstützern gehören Priester, Pastoral- und Gemeindereferenten, Professoren, Religionslehrkräfte sowie Vertreter katholischer Verbände.
Im Sommer hatten sich rund 150 Menschen aus diesen Berufsgruppen einem Protest gegen den Kardinal angeschlossen und "personelle und systemische Veränderungen" gefordert. Im Erzbistum arbeiten eigenen Angaben zufolge rund 60.000 Menschen hauptamtlich für die katholische Kirche. Den Mitarbeitenden falle es zunehmend schwer, sich loyal zu ihrem Arbeitgeber zu verhalten, erklärte Pastoralreferent Peter Otten: "Der Kardinal hat erneut das Vertrauen verspielt und es wird deutlich, dass er in seiner Leitungsverantwortung versagt hat."
Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sagte dem "Stadt-Anzeiger" (Freitag), ein Ruhenlassen des Bischofsamtes aus eigener Entscheidung sei in der Kirche nicht vorgesehen: "Das ist allein Sache des Papstes." Lüdecke verwies aber darauf, dass der Hamburger Erzbischof Stefan Heße nach einem Rücktrittsgesuch im März 2021 die Amtsgeschäfte im Erzbistum bis zum ablehnenden Bescheid des Papstes von seinem Generalvikar wahrnehmen ließ. Ein Rücktrittsangebot Woelkis liegt dem Papst seit Monaten vor. Franziskus hat darüber noch nicht befunden.
Kritische Stimmen mehren sich
Unterdessen mehren sich kritische Stimmen aus Kirche und Politik. SPD-Landespolitiker Sven Wolf forderte den Rückzug des Erzbischofs: "Kardinal Woelki hat für einen so großen Vertrauensverlust in beiden Kirchen gesorgt, dass nur noch seine Entlassung die logische Folge sein kann", sagte er dem "Stadt-Anzeiger". Es reiche auch nicht, das Amt nur ruhen zu lassen. Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Benjamin Rauer, forderte: "Sollte sich der Verdacht bestätigen, sollte Kardinal Woelki persönliche Konsequenzen ziehen." Martin Sträßer, der Beauftragte der CDU-Fraktion für die katholische Kirche im NRW-Landtag, mahnte dagegen zur Zurückhaltung: "Solange die Staatsanwaltschaft ermittelt, gilt für den Kardinal die Unschuldsvermutung."
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sagte der "Rheinischen Post" (Freitag): "Ein Ende mit Schrecken statt ein Schrecken ohne Ende wäre in Köln längst angeraten gewesen." Die jüngsten Entwicklungen seien "nur ein weiterer Punkt in einer langen Reihe von verstörenden Ereignissen". Dass die Staatsanwaltschaft gegen Woelki ermittle und eine Mitarbeiterin ihn schwer belaste, sei "eine unerträgliche Situation, denn wir wissen alle, dass das Vertrauensband zwischen dem Kardinal und den Gläubigen in der Erzdiözese Köln seit langem überstrapaziert wird".
Als "absoluten Tiefpunkt" bezeichnete die Sprecherin der Initiative "Maria 2.0", Maria Mesrian, die Entwicklung: "Der Kardinal sollte so viel Gespür für die verfahrene Situation im Bistum haben und seine Ämter vorläufig ruhen lassen." Für den Vorsitzenden des Diözesanrates im Erzbistum Köln, Tim Kurzbach, "bricht jetzt ein Kartenhaus von Unwahrheiten zusammen". Eine der "schrecklichen Erkenntnisse" sei, dass Woelki als "selbst ernannter Aufklärer" zugebe, eine Liste mit aktiven Missbrauchstätern nicht beachtet zu haben, "nur um sich selbst zu verteidigen". (tmg/KNA)