Warum eine Pfarrbeauftragte ihre Macht teilen möchte
"Ah, die Chefin kommt". Wenn Doris Brinker zu einer Runde dazustößt, hört sie das öfters. Die Pfarreibeauftragte im Bistum Osnabrück weiß, dass es noch immer nicht selbstverständlich ist, wenn eine Frau in der Kirche eine Führungsposition innehat. Einmal wurde sie sogar gefragt, ob das überhaupt katholisch ist, wenn eine Frau jetzt den Pfarrer ersetzt.
Seit einem Jahr ist die studierte Religionspädagogin an der Spitze von vier Kirchengemeinden in der Pfarreiengemeinschaft St. Barbara im Dekanat Emsland-Nord. Dazu gehören insgesamt 6.000 Mitgliedern. Brinker ist eine von sieben hauptamtlichen Laien im Bistum Osnabrück, die eine Pfarrei leiten. Das Kirchenrecht erlaubt dies, sofern es nicht genügend Priester vor Ort gibt. Im Bistum Osnabrück ist dieses Leitungsmodell Teil des bistumsweiten Prozesses "Kirche der Beteiligung" Normalerweise ist den Beauftragten ein moderierender Priester beigestellt, der vor Ort ist und Aufgaben übernimmt. Bei Doris Brinker ist das nicht so. Der moderierende Priester wohnt 30 Kilometer entfernt und steht der Pfarrbeauftragte beratend zur Seite. Für sie ist das eine große Chance, aber auch eine Herausforderung.
"Wer leitet, muss Bescheid wissen"
Zu ihrem Team gehören neben zwei Gemeindereferentinnen auch zwei Priester. "Wir verhandeln alles", erklärt die Gemeindereferentin ihren Leitungsstil. Ob sich die beiden Pastoren auch von ihr etwas sagen lassen? Jeder im Team hat seine eigenen Aufgaben, aber "ich will wissen, wer was in den Gemeinden macht", betont sie. "Wer leitet, muss Bescheid wissen", ist Brinker überzeugt. Sie erstellt auch die Dienstpläne und verteilt die Aufgaben. Das soll aber keine Kontrolle sein, fügt sie hinzu. Wichtig ist es ihr aber schon, im Gespräch gemeinsam einen Weg zu finden, der für alle gangbar ist. Außerdem möchte sie ihre Mitarbeitenden davor bewahren, sich zu überarbeiten, sagt Brinker, die auch eine Zusatzausbildung zum Thema "Leiten und führen in der Kirche" hat.
Erschöpfungszustände kennt sie selbst. Brinker kümmert sich um alle Personalangelegenheiten, erstellt Haushaltspläne, koordiniert die Finanzen, verhandelt mit Versicherungen und hat die volle Dienst- und Fachaufsicht über die kirchlichen Kindergärten der Pfarreien. Sie unterschreibt Verträge, teilt die pastoralen Dienste ein und übernimmt seelsorgliche Aufgaben. Da kommt einiges zusammen. Es sei halt vom Bistum erwünscht, dass alle administrativen Aufgaben und dazugehörenden Entscheidungen in der Verantwortung des seelsorglichen Beauftragten bleiben, fügt sie hinzu. "So hat es der Pfarrer vorher ja auch gemacht." Doch der Pfarrer hatte damals jemanden an seiner Seite. Das war Doris Brinker selbst.
Damals hat sie als "pastorale Koordinatorin" gemeinsam mit dem Pfarrer die Gemeinde geleitet. "Wir haben uns immer abgesprochen, wer welche Teilbereiche leitet", so die 52-Jährige. Sie hatte die Dienst- und Fachaufsicht über die Kitas, während der Pfarrer die Kirchenvorstände begleitete. Seelsorgliche Aufgaben haben sie beide übernommen. Das hat wunderbar geklappt, blickt sie zurück. Seit der Pfarrer im Ruhestand ist, hat Brinker alle Aufgaben übernommen, "die volle Leitung", erklärt sie. Viel zu viel. Denn die anfallenden Aufgaben in den einzelnen Pfarreien wachsen durch die Zusammenlegungen immer weiter. Das sei kaum noch zu bewältigen. Daher wünscht sich die Seelsorgerin auch einen Partner auf Augenhöhe, mit dem sie sich die Aufgaben und Entscheidungen teilen könnte. Warum haben Pfarreibeauftragte nicht auch einen Anspruch auf pastorale Koordinatoren wie ein Pfarrer, fragt sich Brinker. So eine Doppelspitze wäre aus ihrer Sicht ein Gewinn für die Gemeinde und für die Pfarrbeauftragten im Bistum Osnabrück.
„Alle Schwierigkeiten, die wir in der Kirche haben, haben genau damit zu tun, dass eine Person zu viel Macht bekommt.“
Erst vor kurzem wurde in der Pfarreiengemeinschaft eine Verwaltungskraft eingestellt. Sie soll Entlastung bringen. Aber das sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, meint Brinker. Leitung mmüsse ordentlich geteilt werden. Nicht weil sie selbst erschöpft sei, sondern weil es nötig ist. "Denn alle Schwierigkeiten, die wir in der Kirche haben, haben genau damit zu tun, dass eine Person zu viel Macht bekommt," meint Brinker. Das müsste minimiert werden. Sie kennt diese "Machtteilung" auch aus ihren früheren Aufgaben im Bistum. Damals war Brinker im Bereich der Gemeindeentwicklung- und Organisationsberatung tätig: "Wir waren immer zu zweit im Leitungsteam", erinnert sie sich. Die Zukunft der Kirche müsse daher partizipatorisch sein, fordert die Pfarrbeauftragte.
Sie nehme ihr Team daher immer in alle pastoralen Entscheidungen mit hinein, genauso wie die Gremienmitglieder in den einzelnen Kirchengemeinden. "Es macht viel Arbeit, wenn man immer alle fragt, aber es lohnt sich", sagt sie. "Natürlich entscheiden die Mitarbeitenden und Gremien vieles selbst, aber immer in Rücksprache mit mir", ergänzt sie. Und auch die Arbeit der vielen Ehrenamtlichen sei unverzichtbar. Diese Menschen, die unentgeltlich für die Kirchengemeinde da sind und sich einbringen, sind nicht selbstverständlich. Es gibt in der Pfarrei zum Beispiel mehrere Erwachsene, die ehrenamtlich zu den Beerdigungen kommen, um zu ministrieren. "Das machen die alles in ihrer Freizeit", unterstreicht Brinker dieses Engagement. Es ist daher wichtig, wenn man sich bei diesen Menschen namentlich und öffentlich bedankt. Sie gestalten nicht nur die Zukunft der Kirche mit, sondern entscheiden mit, ob wir als Kirche eine Zukunft haben werden, meint die Seelsorgerin.
Sie sei einfach Seelsorgerin aus ganzem Herzen und könne sich keinen anderen Beruf vorstellen, sagt sie. Als ausgebildete Gemeindereferentin gestaltet Brinker auch Wortgottesfeiern und Trauerfeiern, predigt selbst, spendet den Krankensegen, gestaltet Katechesen und Andachten mit selbstgeschriebenen Texten. Ihr Dienst für Gott und die Menschen erfülle sie einfach, koste aber auch viel Kraft. Wenn sie auftanken will, dann geht sie mit ihrem Mann auf Wanderschaft. Meist stundenlang, manchmal tagelang. Der Rückhalt in der Familie sei ihr sehr wichtig. Denn die Gefahr, in der Seelsorge auszubrennen, sei durchaus real. Aufgaben auch abzugeben, musste sie anfangs auch erst lernen.
"Weil ich gebraucht werde, als Seelsorgerin und als Frau in der Kirche"
Früher hatte sie beispielsweise immer das Notfalltelefon der Gemeinde dabei. Jetzt haben es die beiden Priester übernommen. Schließlich spenden die auch das Krankensakrament, erklärt Brinker. Ihr eigenes Handy schaltet sie allerdings nie aus. "Ich will erreichbar für die Leute sein." Denn manche wünschen sich in einem seelsorglichen Notfall auch ganz bewusst eine Seelsorgerin zur Begleitung. Dann heißt es: "Kannst du bitte kommen und mit uns beten?". "Dann will ich auch da sein", sagt die Pfarrbeauftragte. Dann geht es nicht mehr nur um das Sakrament, sondern um den konkreten Mensch, der kommt und da ist, so Brinker.
Einmal habe sie eine schwerkranke Frau begleitet, die ihr Kind bei der Geburt verloren hat. Das war sehr tragisch, erinnert sich die Seelsorgerin. Sie sei die ganze Zeit bei dieser Mutter geblieben und habe den Schmerz und die Trauer mit ausgehalten. Damals habe sie gespürt, wie wichtig ihr Dienst ist. Daher will sie weiter machen. "Weil ich gebraucht werde, als Seelsorgerin und als Frau in der Kirche", schließt sie, und "auch als Chefin".