Papst Franziskus räumt in der Caritas-Weltzentrale auf
Auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Rom berichtete man gerade über erfolgreiche Nord-Süd-Partnerschaften von gut 60 Caritasverbänden weltweit, als im Konferenzsaal der dazu gehörenden Veranstaltung die Bombe platzte. Die Kardinäle Michael Czerny und Luis Tagle teilten der Versammlung mit: Mit sofortiger Wirkung entlässt der Papst die gesamte Führungsriege von Caritas Internationalis (CI) und setzt eine kommissarische Leitung ein.
"Mit dem Inkrafttreten dieser Maßnahme scheiden die Mitglieder des Vertretungsrates und des Exekutivrates, der Präsident und die Vizepräsidenten, der Generalsekretär, der Schatzmeister und der kirchliche Assistent aus ihren jeweiligen Ämtern aus", heißt es in dem vorgetragenen Dekret. Viele Teilnehmer der eineinhalbtägigen Konferenz klappte die Kinnlade herunter, andere schauten betroffen zu Boden.
Einzelne hatten am Morgen mitbekommen, dass Generalsekretär Aloysius John, Schatzmeister Alexander Bodmann und der geistliche Beirat Pierre Cibambo Ntakobajira zu einem Gespräch ins Dikasterium für menschliche Entwicklung gehen wollten. Nicht ungewöhnlich, weil der Dachverband der von Czerny geleiteten Entwicklungsbehörde zugeordnet ist. Doch die Drei kehrten bis Mittag nicht zurück.
Wirtschaftsingenieur als kommissarischer Geschäftsführer
Stattdessen saß Pier Francesco Pinelli auf dem Podium. Als kommissarischer Geschäftsführer soll er vorübergehend die Verwaltung des Dachverbands von derzeit 162 nationalen Caritasverbänden übernehmen. Der italienische Wirtschaftsingenieur arbeitete früher für Energieunternehmen. Später konzentrierte er sich auf Projektmanagement und Unternehmensberatung. Parallel schulte er sich in ignatianischer Spiritualität; beriet zwischendurch die italienische Regierung bei der Pflege von Kulturgütern.
Pinelli war auch beim Aufbau des 2016 von Franziskus gebildeten Entwicklungsdikasterium beratend tätig gewesen, heißt es in einer Mitteilung der Vatikanbehörde. Und er war Mitglied einer 2021 eingesetzten Gruppe, welche die Arbeit dieser aus vier ehemaligen päpstlichen Räten komponierten Superbehörde evaluieren sollte. Am Ende dieser Untersuchung stand die Ernennung von Kardinal Czerny als Nachfolger des bisherigen Präfekten Peter Turkson sowie die Ernennung der italienischen Finanzexpertin und Ordensfrau Alessandra Smerilli als Vize-Chefin.
Zudem war Pinelli beteiligt bei der vorausgegangenen Evaluierung der CI-Zentrale. Um erwartbaren Medien-Spekulationen vorzubeugen, stellte der Vatikan in seiner Mitteilung klar: Die Untersuchung habe weder Vergehen finanzieller noch sexueller Art festgestellt. Von Problemen in der Zusammenarbeit zwischen Dachverband und nationalen Verbänden ist bisher ebenfalls nichts bekannt.
Was genau Anlass oder Grund für den radikalen Schnitt gewesen ist, darüber spekulieren Beobachter noch. Natürlich träten bei Evaluierung einer Behörde, eines Unternehmens immer Dinge auf, die zu optimieren sind, auch kleinere Fehler, meint ein Konferenzteilnehmer. Aber deswegen die ganze Verwaltungsführung austauschen, sei ungewöhnlich.
Die Gründe zur Einsetzung einer kommissarischen Leitung dürften in der CI-Zentrale im römischen Stadtteil Trastvere liegen. In einem kurzen Statement betonte der soeben eingesetzt Pinelli, es gehe um einen Prozess der "Versöhnung" in den römischen Strukturen des CI-Generalsekretariats. So berichtete es der Präsident von "Caritas Europa", Österreichs Caritas-Präsident Michael Landau, der Nachrichtenagentur Kathpress. Er gehe davon aus, dass es einen konstruktiven Prozess rund um die Arbeitsstrukturen des Generalsekretariates geben werde.
Soll Caritas Internationalis enger an Entwicklungsdikasterium gebunden werden?
In der Mitteilung von Dienstag heißt es, die Studie habe vor allem das Arbeitsumfeld im Generalsekretariat und dessen "Übereinstimmung mit den katholischen Werten der Menschenwürde und der Achtung vor jedem Menschen" im Blick gehabt. Das klingt nach einer vornehmen Umschreibung von Mobbing, von dem einzelne lobende Stimmen für den päpstlichen Eingriff sprechen.
Auch sollen die Wahlen zur Leitung des Dachverbands 2019 knapp ausgefallen sein, vor allem jene von Aloysius John zum Generalsekretär. Von anschließenden Querelen und Protesten war die Rede. Ob diese sich bis zuletzt fortsetzten, ist unklar.
Andere Beobachter meinen, der Papst und sein Vertrauter Czerny wollten den selbstbewussten internationalen Verband enger an die Entwicklungsbehörde binden. Kurz nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie hatte Franziskus das Entwicklungsdikasterium - damals noch unter Leitung von Kardinal Turkson - und Caritas Internationalis mit der Koordination kirchlicher Pandemiehilfen rund um den Globus beauftragt. Deren Mühen - so der Eindruck von außen - war redlich, ihre Wirksamkeit eher mager. Denkbar, dass unter dieser Belastung latente Spannungen im Führungsteam an der Piazza San Calisto noch einmal stärker zutage traten.
Nicht ganz einleuchtend erscheint der päpstliche Auftrag an Kardinal Tagle. Als Präsident von CI ist er entlassen; dennoch soll er die Reform unter Interimsleiter Pinelli begleiten. Ein gesichtswahrender Abgang? Der bisherige Präfekt der mächtigen Missions-Kongregation "Propaganda Fide" ist mit Inkrafttreten der Kurienreform "nur noch" Co-Vize-Chef der neuen Evangelisierungsbehörde. Diese, zusammengelegt aus der "Propaganda" und dem Rat für Neuevangelisierung, wird - zumindest theoretisch - vom Papst persönlich geleitet.
Im Übrigen ist Franziskus nicht der erste, der die 1953 gegründete Caritas Internationalis stärker unter die vatikanische Knute bringen will. Bereits 2004 war der Dachverband kirchenrechtlich dem für katholische Hilfswerke zuständigen Päpstlichen Rat "Cor Unum" zugeordnet worden. Präsident und Generalsekretär von CI bedurften fortan der päpstlichen Billigung. Das genaue Verhältnis zu "Cor Unum" allerdings blieb vage.
Wahl der neuen Leitung im Mai 2023
2012 dann band Benedikt XVI. den Verband noch enger an "Cor Unum" und das Staatssekretariat. Sein Wunsch: ein stärker katholisches Profil von Caritas Internationalis. Die "unterscheidende Identität", Christliche Motivation und kirchliche Bindung, sollten deutlicher werden.
Inzwischen ist "Cor Unum" selbst nur noch ein Teil des neuen Entwicklungsdikasteriums. Und angesichts weltweit steigender Herausforderungen der Caritas geht es vor allem um möglichst reibungsfreies Arbeiten in der Weltzentrale. Interimsleiter Pinelli wird dabei unterstützt von Maria Amparo Alonso Escobar, einer langjährigen Caritas-Vertreterin bei internationalen Institutionen und Kampagnen-Managerin, und dem portugiesischen Jesuiten Manuel Morujao.
Die Drei sollen für eine Aktualisierung der Statuten und Regeln von Caritas Internationalis sorgen, "um deren Funktionalität und Effektivität zu verbessern und die Organisation bei der Vorbereitung der nächsten Generalversammlung zu unterstützen". Die soll samt Wahl einer neuen Leitung im Mai 2023 stattfinden.