In der Vergangenheit wurde zum Fest noch nicht so viel konsumiert

Diese alten Weihnachtsbräuche können heute eine Inspiration sein

Veröffentlicht am 16.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Bewusstsein zahlreicher Menschen steht die Advents- und Weihnachtszeit nicht zuletzt dafür, in kurzer Zeit viel Geld auszugeben. Im Angesicht von Krisen und Inflation ist das in diesem Jahr für viele kaum zu stemmen. Früher wurde dagegen sparsamer gefeiert – ein Impuls für 2022?

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Die Preise steigen, die Weltlage ist unsicher – und bald kommt Weihnachten. Für nicht wenige ist das eine Vorstellung mit Magengrummeln, denn Weihnachten bedeutet Essen, Schenken und Konsum. Doch das war nicht immer so – und vielleicht können alte Advents- und Weihnachtsbräuche im Jahr 2022 eine neue Wirksamkeit entfalten.

Dazu ist erst einmal wichtig zu wissen, dass die Adventszeit früher generell mit deutlich kleinerem Besteck begangen wurde als es heute der Fall ist, schließlich ist der Advent kirchlicherseits bis heute eine Fastenzeit. Als Adventskalender wurden etwa 24 Kreidestriche an einen Türrahmen gemalt und dann jeden Tag einer weggewischt, oft jeweils von einem anderen Kind des Haushalts. Dazu wurden dann gemeinsam Lieder gesungen oder jemand las eine Geschichte vor. Eine Variante des Adventskalenders war eine mit 24 abteilenden Linien versehene Kerze, die jeden Tag ein Stück weiter heruntergebrannt wurde.

Bild: ©wideonet - stock.adobe.com

Ein Adventskalender muss nicht teuer sein.

Von einer ganz anderen Form von Adventskalender berichtet der Verleger Gerhard Lang, der den Adventskalender Anfang des 20. Jahrhunderts professionell auf den Markt gebracht hat. Die Idee stammte nämlich von seiner Mutter. "Die hatte ihm zu Weihnachten immer einen Pappkarton mit 24 Feldern gebastelt. In jedem dieser Felder war ein selbstgebackenes Plätzchen und er durfte jeden Abend ein Fensterchen öffnen. Das war der Uradventskalender", erzählt die Ethnologin Heidrun Alzheimer. Eine relativ schlichte Variante also, die jeder auch mit wenig Mitteln selbst basteln kann. Diese Form ist schon eine recht säkulare, denn in einer Fastenzeit haben Plätzchen eigentlich nichts zu suchen – auch wenn sich nur die wenigsten daran halten.

Noch bis in die 1950er Jahre berichten manche Kinder von einem weiteren Brauch, der mit der grundsätzlichen Erwartungshaltung des Advents (lat: Ankunft) zu tun hat: An jedem Tag, an dem sich ein Kind gut benommen hatte, bekam es einen Strohhalm. Kurz vor Weihnachten wurden alle diese Halme in die Krippe gelegt, als Unterlage für das Jesuskind. Hatte sich ein Kind gut benommen, sorgte es für ein weiches Jesus-Bett, war es unartig, musste das Kind hart liegen. Wie manche andere hatte auch dieser Brauch einen pädagogischen Aspekt.

Eine Versinnbildlichung der Herbergssuche

Ebenso gab es den Brauch, an den neun Tagen vor Weihnachten eine Marienstatue oder ein Bild der Heiligen Familie von Haus zu Haus zu tragen, als Versinnbildlichung der Herbergssuche. In jedem Haus versammelten sich die Nachbarn und sangen und beteten zusammen. Heute wird dieser Brauch nur noch sehr selten praktiziert. Dagegen hat sich das gemeinsame Singen in der Advents- und Weihnachtszeit durch die Jahrhunderte gehalten. Noch heute spielen in vielen Familien die Kinder in dieser Zeit Weihnachtslieder auf Instrumenten vor oder die ganze Familie singt sie zusammen.

Ganz anderer Natur ist das Adventsklopfen, das aus Süddeutschland kommt: Kinder oder auch Handwerksburschen ziehen um die Häuser und klopfen mit kleinen Hämmern oder Ruten an die Türen. Wird ihnen geöffnet, singen sie ein Lied oder sagen ein Gedicht auf, um dafür mit Süßem oder etwa Kleingeld belohnt zu werden. Einen solchen sogenannten Heischebrauch gibt es heute noch am Dreikönigstag als Sternsingeraktion. Hier sammeln die jungen Menschen im deutschsprachigen Raum allerdings nicht mehr in erster Linie für sich, sondern für Bedürftige.

Das Ossarium im tschechischen Sedletz ist mit menschlichen Knochen dekoriert.
Bild: ©Fotolia.com/Petr Bonek

Die Musik spielt in der Advents- und Weihnachtszeit eine besondere Rolle.

Gänzlich kostenlos ist hingegen das Adventsblasen: Musikerinnen und Musiker stellen sich etwa auf einen Kirchturm und spielen adventliche Musik, um den Herrn wortwörtlich auf die Erde herabzurufen. Ursprünglich eine rein protestantische Tradition, gibt es Adventsbläser heute auch auf Weihnachtsmärkten und in – beziehungsweise auf – katholischen Kirchen.

Auch an Weihnachten selbst wurde in der Vergangenheit deutlich anders und weniger üppig gefeiert: Die großen Feste fanden nicht im Familienhaushalt, sondern in einer Zunft, im Dorf oder in der Nachbarschaft statt. Der erste dokumentierte geschmückte Weihnachtsbaum stand 1419 in der Freiburger Bäckerzunft. Dessen Schmuck waren selbstgebackene Süßigkeiten, die von den Kindern an Weihnachten geplündert werden durften. Den häuslichen Weihnachtsbaum gibt es erst seit dem Biedermeier, als sich das Bürgertum nach der verlorenen Revolution in die eigenen vier Wände zurückzog.

Lange waren Weihnachtsbäume kaum zu bekommen

Zudem war es in vielen deutschen Landesteilen lange Zeit unmöglich, an Weihnachtsbäume zu kommen – denn Fichten wachsen nicht überall. In Nordschwaben etwa gab es bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts überhaupt keine Fichten. Erst mit der Etablierung der Eisenbahn konnten Bäume landesweit transportiert werden. Alle, die in fichtenarmen Gebieten wohnten, begnügten sich bis dahin mit Obstzweigen. Ein bekannter Brauch sind die Barbarazweige: Kirschzweige, die am vierten Dezember in Wasser gestellt werden, sodass sie an Weihnachten blühen. Die Tradition geht auf die heilige Barbara zurück. Sie ließ sich zur Zeit der Christenverfolgung in der Spätantike gegen den Willen ihres Vaters taufen. Der ließ sie dafür in einen Turm sperren. Auf dem Weg dorthin verfing sich ein Kirschzweig in ihrem Kleid – so will es die Legende. Barbara stellte die Zweige in Wasser und sie blühten am Tag ihrer Hinrichtung.

Doch auch abseits davon nahmen viele Menschen Zweige aus ihrem direkten Umfeld, stellten sie in eine Zimmerecke und dekorierten sie. Das bedeutete wenig Aufwand und wenig Kosten – beides Konzepte, die auch heute noch funktionieren. Ähnliches gilt für den Schmuck, mit dem Bäume oder Zweige verschönert wurden. Der bestand in vergangenen Jahrzehnten aus Hobelspänen oder angemalten Walnussgehäusen. Selbstgebastelte Strohsterne oder Plätzchen waren ebenso gern geschmückte Details.

Ein kleines Mädchen liegt am Heiligen Abend 1955 unter dem Weihnachtsbaum und schaut auf die Geschenke, darunter eine Puppe, ein Kindertelefon und eine kleine Spielzeugeisenbahn.
Bild: ©dpa/Otto Noecker

Viele Menschen verbinden das Weihnachtsfest vor allem mit Geschenken.

Es wird klar: Das Weihnachtsfest der Vergangenheit kam mit deutlich weniger materiellen Mitteln aus. Das zeigt sich auch im Umgang mit Spielzeug. "Lange Zeit wurde das Spielzeug nach der Weihnachtszeit wieder weggeräumt, denn im Sommer spielten die Kinder draußen", so Ethnologin Alzheimer. An Weihnachten gab es vielleicht ein neues Möbelstück für das Puppenhaus, ein neues Puppenkleid oder einen neuen Anstrich für das Schaukelpferd. Mehr nicht. "Es war nicht so, dass die Kinder immer komplett neu ausgestattet wurden."

Wie aber kam es zum Ausbruch des Kommerzes an Weihnachten? "Das liegt unter anderem an der Spielzeugindustrie", sagt Alzheimer. Spielzeugmacher etwa in Thüringen oder dem Erzgebirge suchten im 18. und 19. Jahrhundert nach Absatzmöglichkeiten für die von vielen Menschen, oft ganzen Familien, in schwerer Heimarbeit produzierten Spielsachen. In diesen Zentren entstand die Idee von Weihnachten als Schenkfest und breitete sich schnell aus. Insbesondere in den 1920er Jahren wurde dafür viel Werbung gemacht. Seitdem muss es stets etwas Neues geben.

Bräuche verändern sich

Doch so, wie sich der Brauch des vielen Schenkens entwickelt hat, kann er sich auch wieder ändern, glaubt Alzheimer: "Wir können nicht ewig weiter konsumieren, wir müssen auf Nachhaltigkeit achten, um die Welt zu retten." Zudem sei das Geld bei vielen Familien derzeit knapp. "Dann kommt man vielleicht von alleine auf die Idee, lieber bestehende Spielzeuge zu reparieren, anstatt alles immer neu zu kaufen." Zumal in den Kinderzimmern ohnehin oft kaum noch Platz ist.

Einige neue, weniger auf Konsum ausgerichtete Bräuche gibt es bereits. Dazu gehören etwa die "Lebendigen Adventskalender", wenn in einer Nachbarschaft jeden Tag im Dezember ein anderes Haus geschmückt und illuminiert wird und die Nachbarn auf einen Becher Glühwein und geselliges Zusammensein einlädt.

Was sich vor etwas über hundert Jahren zum modernen Weihnachtsfest entwickelt hat, kann also durchaus auch zum nachhaltigen Feiern der Gegenwart und Zukunft werden. Dazu braucht es Ideen für die passenden Zeichen zur richtigen Zeit. Die Praktiken der Vergangenheit können dazu Ansporn sein, sie für die heutige Zeit zu adaptieren und damit neu zu beleben.

Von Christoph Paul Hartmann