So steht es um die Pläne zur Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche
Zuletzt war es Münsters Bischof Felix Genn, der einen neuen Anlauf ankündigte. Als eine seiner Reaktionen auf die Missbrauchsstudie in seinem Bistum kündigte er an, prüfen lassen zu wollen, "wie und unter welchen Umständen eine vorübergehende diözesane kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bistum Münster jetzt schon eingeführt werden könnte". Zwar hat Verwaltungsgerichtsbarkeit mit sexuellem Missbrauch wenig zu tun; da ist Strafrecht gefragt. Aber sie könnte helfen, Missbrauch und Fehlentwicklungen bei Macht und Amtsausübung einzudämmen.
Zunächst, so Genn vorletzte Woche, habe er den emeritierten Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke mit der Prüfung einer solchen Einrichtung beauftragt. Lüdicke gilt gerade in Sachen Verwaltungsrecht als ausgewiesener Fachmann. Weil er aber mit dem Bischof über Kreuz lag in der Einschätzung von Vorwürfen gegen einen Priester des Bistums, gab Lüdicke den Auftrag zurück, wie Genn sagte. Dem Vernehmen nach hielt Lüdicke dem Bischof rechtlich überzogenen Umgang mit weitgehend substanzlosen Vorwürfen vor. Daher bat Genn den Kirchenrechtler Thomas Schüller, Lüdickes Nachfolger an der Uni Münster, zu prüfen, ob seine Diözese in Sachen kirchlicher Verwaltungsgerichtsbarkeit Vorreiter sein könne. Das will Schüller gerne tun, wie er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte, und zwar auf der Grundlage eines bereits erstellten Entwurfs, der bereits zur Stellungnahme dem Vatikan vorgelegt wurde.
Dieser Entwurf, erstellt unter Mitwirkung des kürzlich zurückgetretenen Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick, des Paderborner Weihbischofs Dominicus Meier – beide anerkannte Kirchenrechtler – und des ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverwaltungsgerichts, Klaus Rennert, ist Teil eines deutschen Dreiervorschlags an Rom: Die zwei weiteren kirchenrechtlichen Vorschläge betreffen Spezifizierungen zum kirchlichen Strafrecht im Allgemeinen Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici) sowie eine Disziplinarordnung für Kleriker, die unterhalb des Strafrechts angesiedelt würde.
Wohl vier kirchliche Verwaltungsgerichte
Wie aus mehreren Quellen zu hören ist, sähe der Entwurf für die 27 deutschen Diözesen vier kirchliche Verwaltungsgerichte vor – je eines in Freiburg, Köln, München und Paderborn – , sowie als erste Berufungsinstanz einen Verwaltungsgerichtshof in Bonn. Zu besetzen wären sie mit mindestens einem akademisch geprüften Kirchenrechtler sowie Juristen mit zweitem Staatsexamen. Die Berufungsinstanz in Bonn hätte einen Bischof als Gerichtspräsidenten. Nur hier könnten laut Entwurf auch Verwaltungsentscheide eines Bischofs angefochten werden.
Klagen können sollten natürliche und juristische Personen – ob Kirchenangestellte oder einfacher Gläubiger, katholischer Verband, Pfarrgemeinderat, Kirchengemeinde – gegen Verwaltungsakte einer Diözese. Pikanterweise könnte dort auch ein zu Unrecht des Missbrauchs verdächtigter Kleriker dagegen klagen, dass Hinweise auf seine Person zu früh an die Öffentlichkeit gelangt seien und damit sein guter Ruf beschädigt worden sei.
Dritte kirchliche Berufungsinstanz in Sachen Verwaltung wäre wahrscheinlich die Apostolische Signatur in Rom. Sie fungiert jetzt schon als oberstes kirchliches Verwaltungsgericht, nachdem Entscheidungen der vatikanischen Dikasterien keinen Rechtsfrieden herstellen konnten. Allerdings sind Berufungsverfahren in Rom nur unter Beteiligung eines dort approbierten Anwalts möglich. Und auf Latein. Fast unerreichbar für einen Pfarrgemeinderat aus Vorpommern oder eine Kirchenangestellte aus dem Schwarzwald.
Dass es um die Pflege des innerkirchliche Rechtskreises nicht zum Besten steht, ist schon lange ein Thema. Insbesondere nach der MHG-Studie 2018 wurde die Forderung nach der Einführung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit erneut erhoben. Kardinal Reinhard Marx hatte Anfang 2019 beim internationalen Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan auf die Notwendigkeit hingewiesen. Und von teilnehmenden Bischöfe wie medialen Kommentatoren viel Zuspruch erhalten.
Neu ist die Idee indes nicht. Bereits 1975 war auf der "Würzburger Synode" der westdeutschen Bischöfe der Entwurf für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung vorgestellt worden. Sie erhielt recht genaue Hinweise, wie kirchliche Schiedsstellen und Verwaltungsgerichte aussehen und was sie verhandeln sollten. Damals blieb es bei einem synodalen Votum an den Papst. Auf das keine Reaktion mehr erfolgte.
Ebenso erging es Überlegungen im nachkonziliaren Kirchenrecht. Kurz vor der Promulgation des neuen Codex 1983 flog der Abschnitt mit einer Rahmenordnung für kirchliches Verwaltungsrecht aus dem Gesetzbuch. Dazu kursieren zwei inoffizielle Gründe: a) Es fehle weltweit an Geld und Fachleuten, um solche Verwaltungsgerichte überall aufzubauen; b) Johannes Paul II., aus einem Land mit kirchenfeindlichem Regime stammend, sah in der kirchengerichtlichen Beschneidung bischöflicher Vollmachten ein Einfallstor zu weiterer staatlicher Drangsalierung der Kirche.
Könnten Laien über Bischöfe zu Gericht sitzen?
Der Missbrauchsskandal hat die Konsequenzen fehlender Machtkontrolle und willkürlichen Umgangs mit untergeordneten Personen und Strukturen deutlich gemacht: Die Kirche sollte transparente und rechtlich überprüfbare Verfahrenswege etablieren. Verwaltungsgerichte könnten hierzu ein Beitrag sein, und sie sind auch in der Rechtsgeschichte der Kirche nichts Neues. So kannte man bis zu ihrer Abschaffung durch Pius X. (1903-1914) die sogenannte "appelatio extraiudicialis" als effektiven Weg des Rechtsschutzes. Auch diverse Beispruchrechte – Zustimmungsrecht (consensus) oder Recht auf Gehör (consilium) – durch Domkapitel, Dechanten oder Ausschüsse sorgten im vorkodikarischen Recht oder im Codex 1917 für eine gewisse außergerichtliche Kontrolle des Bischofs bzw. Oberen. Heute jedoch fehlt in Bistümern ein systematisches Management zum Umgang mit Konflikten und Streitigkeiten jeglicher Art. Oft sehen die Ordnungen für Pfarrgemeinderäte und Kirchenvorstände zwar vor, was zu tun ist, wenn das Gremium und der leitende Pfarrer oder die Bistumsverwaltung über Kreuz liegen.
De facto ist es jedoch so, dass solche Fälle an die Rechtsabteilung des Generalvikariats bzw. Ordinariats gehen oder im Offizialat behandelt werden. Dort sucht man dann meist nach einer Kompromisslösung – allerdings ohne geregeltes Verfahren. Was fehlt, ist Rechtssicherheit für jede der beteiligten Parteien. Was bislang auch fehlt, sind gesicherte Erkenntnisse, wie groß der Bedarf an einer solchen Gerichtsbarkeit tatsächlich ist. Eine strittige Frage lautet zudem: Können einzelne Getaufte oder auch Pfarreien und Vereinigungen nur gegen Akte der Kirchenverwaltung klagen oder auch solche der Kirchenregierung - also des Bischofs?
Der einstige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, erklärte im Zuge der Debatte, er halte es für unmöglich, dass an Verwaltungsgerichten Laien über Bischöfe zu Gericht sitzen könnten. Dem widersprach der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper. "Es geht ja nicht um ein Urteil über Personen, sondern über deren Entscheidungen", sagte er. "Von einem Bischof zu verlangen, dass er seine eigenen Gesetze oder die Gesetze Roms einhält, ist weder unbillig noch schränkt es den Bischof ungebührlich ein." Verwaltungsgerichte könnten zu "mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit" beitragen.
Genn selber, so Schüller, habe erklärt, er würde sich unter eine solche Gerichtsbarkeit stellen. Dennoch ist, wie im weiteren Umfeld der Kurie zu erfahren war, in Kreisen der Deutschen Bischofskonferenz noch umstritten, ob künftig auch gegen Entscheidungen des Bischofs vorgegangen werden kann oder nur gegen jene des Generalvikars. Sollten Bischöfe ausgenommen sein, ist fraglich, inwieweit dann Rechtssicherheit tatsächlich gestärkt werden kann.
Andere Stimmen in Rom weisen auf praktische Bedenken hin, wenn ein Verwaltung Rechtsakte aufschiebt. Der Untersekretär des Dikasteriums für die Gesetzestexte, Markus Graulich, erklärte der KNA: "Unklar ist, auf welche Bereiche sich die Gerichtsbarkeit beziehen soll. Es gibt die Gefahr, dass bei aufschiebender Wirkung bei laufenden Verfahren, ein Bistum lahmgelegt werden könnte."
Dem kirchlichen Arbeits- und Datenschutzgerichtshof in Deutschland hat die Apostolische Signatur als vatikanische Aufsichtsbehörde aller Kirchengerichte bereits die Zustimmung erteilt. Ob sie auch dem deutschen Entwurf von Verwaltungsgerichten ihren Segen gibt, ist derzeit unklar. Sicherlich muss der diözesan-national-vatikanische Instanzenweg klar geregelt sein. Und das von Deutschland vorgelegte Modell müsste zumindest prinzipiell in anderen Ländern umsetzbar sein.
Noch vatikanische Rückfragen an deutsche Ideen
So ist zu hören, es gebe noch vatikanische Rückfragen an die Entwürfe der Deutschen. Dies seien eher Pseudorückfragen und -bedenken, weil Rom keine solche Gerichtsbarkeit will, kontert hierzulande manch einer. Auch soll die Apostolische Signatur grundsätzliche Bedenken zur Möglichkeit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Deutschland signalisiert haben.
Vatikanbeobachter unken, unter Franziskus werde es ohnehin nichts mehr mit einer von deutschen Verwaltungsexperten entworfenen Gerichtsbarkeit. Der argentinische Jesuit auf dem Papststuhl, dem Strukturen, Papiere und Verwaltungsvorschriften tendenziell suspekt sind – zumindest überbewertet, entscheidet gerne selbst. Und als Papst endgültig. Weswegen Bischöfe und Kurienmitarbeiter sich ein gewünschtes Okay lieber von ihm persönlich holen (wollen), als vorgesehene Verwaltungswege einhalten.
Ob der jüngste Ad-limina-Besuch der Bischöfe in Rom das Anliegen Verwaltungsgerichtsbarkeit befördern konnte, ist bislang unklar. Genügend Experten, die mit gutem Willen das Projekt auf die Beine stellen könnten, gibt es südlich wie nördlich der Alpen. Wollte aber Bischof Felix Genn zunächst alleine vorpreschen, bräuchte er sicher viel Stehvermögen.