So läuft die kirchenrechtliche Untersuchung gegen Bischof Bode ab
In Hamburg soll kein Zweifel offen bleiben, dass man dort die kirchenrechtliche Anzeige gegen den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ernst nimmt. In der Sache äußert sich die Pressestelle von Erzbischof Stefan Heße nicht. Aber sie legt auf Anfrage detailliert dar, wie der Metropolit der Hamburger Kirchenprovinz mit der Anzeige des Betroffenenbeirats für die norddeutschen Bistümer umgegangen ist: Am "späten Donnerstagabend (8. Dezember)" sei die Anzeige eingegangen, am "Freitagvormittag (9. Dezember)" habe der Erzbischof sie über die Apostolische Nuntiatur an das Glaubens- und das Bischofsdikasterium weitergeleitet – also alles unverzüglich und ganz genau so, wie es im Buch steht.
Das Buch ist in diesem Fall sehr knapp: 19 Artikel umfasst das Motu Proprio "Vos estis lux mundi", mit dem Papst Franziskus 2019 Meldungen von Missbrauchstaten und Versäumnissen von Bischöfen geregelt hat. Im Nachgang zum Anti-Missbrauchsgipfel im selben Jahr gehörten die Normen zur Meldepflicht zu den ersten großen gesetzgeberischen Maßnahmen, mit denen der Papst den Umgang mit Missbrauch in der Kirche verbessern wollte. Dabei war auch insbesondere der nachlässige Umgang bis hin zur Vertuschung durch Bischöfe im Blick. Das Motu Proprio regelt ein Untersuchungsverfahren für Bischöfe, die im Verdacht stehen, staatliche oder kirchenrechtliche Ermittlungen und Verfahren zu schweren Sexualdelikten beeinflusst oder umgangen zu haben.
Eine zentrale Rolle dabei haben die Metropolitanbischöfe, also die Erzbischöfe, die einer Kirchenprovinz vorstehen: Sie sind dafür zuständig, Anzeigen gegen Bischöfe ihrer Kirchenprovinz entgegenzunehmen, und sie werden in der Regel durch die zuständigen Vatikan-Behörden auch damit beauftragt, die Vorwürfe zu untersuchen. Osnabrück gehört als Suffraganbistum zur Kirchenprovinz Hamburg. Deshalb hat der norddeutsche Betroffenenbeirat den Osnabrücker Bischof beim Hamburger Erzbischof angezeigt.
Betroffenenbeirat bezieht sich auf Missbrauchs-Zwischenbericht
Der zentrale Vorwurf des Beirats: "Bischof Bode hat entgegen klaren päpstlichen Vorgaben gehandelt und bspw. sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige noch in diesem Jahr als 'Beziehung' deklariert", heißt es in der Pressemitteilung. In der Gesamtschau sieht der Beirat "ein klares kirchenrechtliches Fehlverhalten von Bischof Bode, der zum einen die Schilderungen der Betroffenen zum Sachverhalt gänzlich falsch eingeschätzt hat, und zum anderen die Anzeige nach Rom verzögerte, begleitet von der unterlassenen kanonischen Voruntersuchung nach c. 1717, die sofort hätte eingeleitet werden müssen, als sich die junge Frau erstmalig gemeldet hat". Der Beirat bezieht sich damit auf den Zwischenbericht der Uni Osnabrück, der im September vorgestellt wurde und bei Bode Pflichtverletzungen "im niedrigen einstelligen Bereich" feststellte, wie der Studienleiter Hans Schulte-Nölke bei der Vorstellung ausführte: Diese seien lediglich "fahrlässig, aber nicht vorsätzlich" gewesen.
Bislang hatte der Zwischenbericht keine Konsequenzen für Bode; einen Rücktritt hatte er schon früh ausgeschlossen. Mit dem Eingang der Anzeige hat nun das Verfahren begonnen, das "Vos estis" vorsieht: In jedem Fall muss der Erzbischof Meldung nach Rom erstatten. Entweder er bittet um den Auftrag, eine Untersuchung einzuleiten, oder er teilt dem Nuntius mit, dass er die Anzeige für "offenkundig haltlos" hält. Innerhalb von dreißig Tagen muss das zuständige Dikasterium dann reagieren und entweder den Erzbischof selbst oder eine andere geeignete Person mit der Untersuchung des Falls beauftragen. Der beauftragte Untersuchungsführer muss nun die für den Fall relevanten Informationen zusammentragen. Alle dreißig Tage übermittelt er einen Zwischenstand nach Rom, innerhalb von 90 Tagen muss die Untersuchung in der Regel abgeschlossen sein. Zusammen mit allen Akten übermittelt der Untersuchungsführer dann eine Empfehlung an die Kurie, wie er den Fall bewertet. Auf dieser Grundlage geht es dann in Rom weiter – auch unter den Regeln von "Vos estis" gilt, dass über Bischöfe die zuständigen kurialen Gerichte und Behörden urteilen.
Für kirchliche Verhältnisse sind also relativ kurze Fristen bis zur Entscheidung vorgesehen. Der emeritierte Würzburger Kirchenrechtler Heribert Hallermann, ein Experte für kirchliches Strafrecht, nennt die Fristen angesichts sonstiger Verfahrensdauern "sportlich". Aber sie seien machbar, schon deshalb, weil die 90-tägige Höchstdauer der Untersuchung auch verlängert werden kann. Der wichtigste Teil des Verfahrens komme ohnehin erst danach – und der kann sich ziehen: "Das Dikasterium kann entweder in der Sache entscheiden und gegebenenfalls Strafen verhängen oder disziplinäre Maßnahmen ergreifen, oder es kann weitere Untersuchungen verfügen", erläutert Hallermann: "Insofern ist der Abschluss des Verfahrens im Sinne einer Entscheidung in der Sache – und nur um die geht es letztendlich – in zeitlicher Hinsicht völlig offen."
Gilt "Vos estis" überhaupt noch?
Offen ist auch, inwiefern "Vos estis" auf die im Osnabrücker Zwischenbericht Bode angelasteten Sachverhalte überhaupt angewendet werden kann. Das beginnt schon mit der grundsätzlichen Frage, ob die Verfahrensregeln überhaupt noch gelten: Sie wurden zum 1. Juni 2019 für drei Jahre zur Erprobung in Kraft gesetzt. Dieser Erprobungszeitraum ist in diesem Sommer abgelaufen. "Eine entsprechende Erstreckung über den 1. Juni 2022 hinaus ist mir bislang jedenfalls noch nicht begegnet", berichtet Hallermann. Gelten die Regeln noch, so enthalten sie keine Rückwirkungsklausel: "Das bedeutet, dass auf der Grundlage von 'Vos estis' nur solche (Straf-)Taten und Verhaltensweisen verfolgt werden können, die nach dem 1. Juni 2019 begangen worden sind", analysiert der Kirchenrechtler. Das schränkt die Anwendung auf durch den Zwischenbericht festgestellte Versäumnisse vor dieser Zeit ein; der Bericht selbst attestiert dem Bischof, mit der Zeit dazugelernt zu haben.
Seit Inkrafttreten von "Vos estis" sind vor allem in den USA, aber auch in Polen Fälle von Untersuchungen nach der dort festgelegten Prozedur bekannt geworden. In Deutschland sind öffentlich nur zwei Anzeigen gegen den Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki beim Münsteraner Bischof Felix Genn bekannt geworden – als dienstältester Suffraganbischof ist er zuständig, wenn der Erzbischof selbst Ziel einer Anzeige ist. Über den Gang des Verfahrens und Ergebnisse hat man nichts erfahren. Medienberichten zufolge soll Genn nicht einmal eine Antwort aus Rom bekommen haben.
Überhaupt ist wenig bekannt, wie effizient das Instrument einer Vos-estis-Untersuchung ist, und ob sich die Verfahrensordnung bewährt hat: Alle Verfahren unterliegen der Vertraulichkeit und dem Amtsgeheimnis. Auch der aktuelle Fall ist nur bekannt, weil die Anzeigeerstatter selbst ihn öffentlich gemacht haben – aus eigenem Antrieb hätte Heße die Öffentlichkeit nicht informieren dürfen. Auch die Bitte des Betroffenenbeirats, ihn über den Fortgang des Verfahrens zu informieren, dürfte er wohl kaum erfüllen können: Lediglich Geschädigte haben unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Informationen. "Der Anzeigenerstatter, der nicht mit der Person identisch ist, die angibt, geschädigt worden zu sein, hat nicht nur kein Recht auf Information bezüglich des Fortgangs des Verfahrens, sondern es ist dem Metropoliten aufgrund des Amtsgeheimnisses sogar ausdrücklich untersagt, solche Informationen an Dritte zu geben", erläutert Hallermann. Er hält nichts von überzogenen Transparenzforderungen im Lauf des Verfahrens: Der Zweck der Vertraulichkeit ist nicht Vertuschung, sondern der Schutz von Persönlichkeitsrechten der Beschuldigten. "Das penetrante Verlangen nach 'Öffentlichkeit' und 'Transparenz' setzt in der Sache die Vorverurteilung der beschuldigten Person voraus", so Hallermann.
Bode kündigt Kooperation an
Der Kirchenrechtler bewertet das im Motu Proprio festgelegte Verfahren grundsätzlich positiv: "Insgesamt ist 'Vos estis' tatsächlich geeignet, allen Bischöfen und vergleichbaren Oberen klarzumachen, dass eine Vertuschung von einschlägigen Straftaten oder die Behinderung entsprechender strafrechtlicher Untersuchungen durch Handeln oder durch Unterlassen seitens des Apostolischen Stuhls nicht hingenommen wird." Dadurch sei ein Druck auf die Bischöfe entstanden – allerdings mit der Gefahr von Überreaktionen: "In manchen Fällen entsteht der Eindruck, dass es Bischöfen vordringlich um den Schutz der eigenen 'weißen Weste' geht – nicht so sehr um den Schutz der tatsächlichen oder vermeintlichen Opfer und oft auch nicht um einen sachgerechten Umgang mit den Beschuldigten", so Hallermann weiter.
Aus Hamburg ist jetzt, knapp zwei Wochen nach Anzeigeneingang, noch kein neuer Sachstand bekannt. Noch läuft die Frist, bis zu der Rom reagieren muss: Frühestens am 8. Januar läuft die Zeit aus, innerhalb derer das zuständige Dikasterium Zeit zu entscheiden hat, ob und wen der Vatikan mit einer Untersuchung des Falls beauftragt. Bischof Bode hat schon angekündigt, die Untersuchung zu unterstützen – und sich ihrem Ergebnis stellen.
Motu Proprio "Vos estis lux mundi"
Mit dem Motu Proprio "Vos estis lux mundi" ("Ihr seid das Licht der Welt") regelte Papst Franziskus 2019 den Umgang mit Meldungen über Sexualdelikte und Versäumnisse von Bischöfen damit. Der Titel bezieht sich auf das Matthäusevangelium: "Unser Herr Jesus Christus ruft jeden Gläubigen, ein leuchtendes Vorbild an Tugend, Integrität und Heiligkeit zu sein", erläuterte Papst Franziskus im Vorwort zu dem Gesetz.