Maria, Josef und der Esel: Auf Herbergssuche durch den Advent
"Sie sprechen mit dem Herbergsvater von Maria und Josef." Mit diesen Worten stellt sich Edmund Huvers am Telefon vor. Der 65-Jährige wohnt in Borken im westlichen Münsterland und beherbergt elf Monate im Jahr zwei etwa 40 Zentimeter hohe Holzstatuen der Gottesmutter und des Ziehvaters Jesu bei sich daheim. "In der Adventszeit schicken wir Maria und Josef aber auf die Reise", sagt Huvers und lässt seinen Worten ein herzliches Lachen folgen. Denn dann begibt sich das Figurenensemble – zu dem noch der Esel Elias gehört – auf Herbergssuche durch die Propsteigemeinde Sankt Remigius in Borken, das zum Bistum Münster gehört.
Jeden Tag des Advents bis zum Heiligabend ist die werdende Heilige Familie mit ihrem Lasttier an einem anderen Ort zu Gast: "Maria und Josef waren schon in einer Reithalle, einem Gefängnis, der Kita oder im Altenheim", berichtet Huvers mit Begeisterung in der Stimme. "In den vergangenen Tagen waren sie auch am Bahnhof und haben sehr gefroren, weil es so kalt war." Huvers ist gemeinsam mit einem Vorbereitungsteam von etwa zehn Gemeindemitgliedern dafür zuständig, für jeden der 24 Tage der Herbergssuche im Dezember einen Gastgeber zu finden. "Das sind nicht immer Verbände und Gruppen der Pfarrei oder öffentliche Einrichtungen, sondern auch private Haushalte oder Nachbarschaften."
Stationen der Herbergssuche als Adventskalender-Türchen
An den Orten, an denen Maria und Josef Aufnahme finden, werden abends kleine Gottesdienste von etwa 20 Minuten gefeiert, zu denen die gesamte Kirchengemeinde eingeladen ist. "In den Jahren vor Corona kamen dabei bis zu 1.500 Menschen zusammen", sagt Huvers nicht ohne Stolz. Während der Pandemie fanden die Treffen mit Gebeten und Impulsen digital statt. Auch wenn aktuell die Begeisterung für die Herbergssuche in der Pfarrei wieder groß sei, würden die Zahlen vergangener Jahre bei den Gottesdiensten nicht erreicht. "Dafür klicken aber zusätzlich zu den Teilnehmern in Präsenz täglich bis zu 250 Menschen auf die Berichte über die Treffen in der App unserer Pfarrei und lesen die Einträge auf der Facebookseite." Viele Borkener würden sich auf die einzelnen Stationen der Herbergssuche wie auf das Öffnen der Türchen eines Adventskalenders freuen, sagt Huvers – und lässt keinen Zweifel offen, dass er auch zu diesen Menschen gehört.
Denn Maria und Josef tragen durch ihre Reise dazu bei, dass viele unterschiedliche Menschen miteinander in Kontakt kommen: die westfälischen Katholiken mit ihren Glaubensgeschwistern aus der muttersprachlichen Gemeinde der Polen oder christliche Münsterländer mit Flüchtlingen aus Syrien. "Vor einigen Jahren hat die Herbergssuche bei Geflüchteten Station gemacht", erinnert ich Huvers. "Einige syrische Frauen haben Klagelieder wegen des Krieges in ihrer Heimat gesunden. Das war tief berührend."
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Auch wenn die Herbergssuche in Borken erst seit etwa zehn Jahren begangen wird, handelt es sich dabei doch um ein Brauchtum mit langer Tradition. Im 16. Jahrhundert entwickelte es sich aus mittelalterlichen Weihnachtsspielen, bei denen die biblischen Erzählungen rund um die Geburt Jesu lebendig dargestellt wurden. So wurde etwa die hochschwangere Maria mit ihrem Verlobten Josef von Kindern auf die familiäre oder kirchliche Bühne gebracht und dabei gezeigt, wie sie immer wieder an Herbergen und anderen Unterkünften abgelehnt wurden, weil dort kein Platz für sie war.
In Mexiko und anderen Ländern Amerikas entwickelte sich eine ähnliche Tradition, die Eingang in die Volksfrömmigkeit gefunden hat: "Las Posadas", nach dem spanischen Wort für Herberge. An den neun Tagen vor Weihnachten werden Statuen von Maria und Josef in Prozessionen von Station zu Station getragen. Begleitet werden die Feiern meist von Wechselgesängen, die auf sie Situation der Heiligen Familie bezugnehmen. Die Gläubigen auf der Straße bitten singend in Häusern um Einlass, während von drinnen zunächst eine ablehnende Antwort erklingt. Schließlich können Maria und Josef doch eintreten, weil sich der Hausherr erbarmt: "Obwohl diese Wohnung arm ist, gebe ich sie euch von Herzen", heißt es etwa in einem der traditionellen Gesänge.
Besonders in Süddeutschland bildete sich die Tradition des Frauentragens heraus, bei der eine Marienstatue oder -ikone an jedem Tag des Advents in einem anderen Haushalt aufgenommen wird. Vor allem Gemeinschaften, in denen die Marienverehrung einen großen Stellenwert hat, pflegen diesen Brauch der Wandermuttergottes bis heute. Dazu gehört etwa die Schönstatt-Gemeinschaft: Nicht nur in der Adventszeit, sondern an jedem Tag des Jahres wird das Gnadenbild von Schönstatt weitergegeben und in einem anderen Haushalt von Mitgliedern der Bewegung verehrt. Bereits seit 25 Jahren gibt es das Projekt Pilgerheiligtum der Gemeinschaft, bei dem in Deutschland etwa 6.000 Marienbilder täglich in Kreisen von jeweils fünf bis acht Familien oder Einzelpersonen weitergegeben werden.
Die Tradition des Frauentragens hatte Gabriele Sommer im Kopf, als sie in der Kirchengemeinde Sankt Nikolaus im hessischen Hainburg 2004 eine Herbergssuche ins Leben rief. "Wir stimmten damals im Team aber darin überein, dass uns bei einer Wandermuttergottes etwas fehlt: der heilige Josef", sagt die Gemeindereferentin aus dem Bistum Mainz. Deshalb nahm die Pfarrei Kontakt zu einer Künstlerin auf und ließ ein Holzbild anfertigen auf dem die schwangere Maria auf einem Esel und Josef zu sehen sind, die eine Unterkunft für die Nacht suchen. "Es gibt zwei Ausfertigungen der Abbildung: eine steht den Advent über in einer unserer Kirchen, die andere wandert von Familie zu Familie", erklärt Sommer.
Bei einigen Familien ist die Teilnahme an der Herbergssuche schon zu einer Tradition geworden – teilweise sogar immer am selben Datum: "Wenn die Aufnahme von Maria und Josef etwa mit dem Geburtstag eines Kindes zusammenfällt, ist das eine schöne Erfahrung", betont Sommer. Manche Familien würden den Besuch des Bildes auch mit dem Aufstellen des Christbaumes verbinden. Auch bei Alleinstehenden, bei der Kommunionvorbereitung oder in einer Wallfahrtskapelle wird das Holzbildnis regelmäßig empfangen. "Eine Frau sagte mir: 'Das Bild bringt Glanz in mein Wohnzimmer!'", zitiert die Religionspädagogin den Ausspruch einer Teilnehmerin, an den sie sich gerne erinnert.
Maria und Josef kehren nach Heiligabend in Sommerquartier zurück
Begleitet werden Maria und Josef bei ihrer Herbergssuche von einer Tasche mit einem Impulsheft mit adventlichen Texten und Gebeten, die von den Teilnehmern bei Andachten im kleinen Kreis verwendet werden können. Außerdem stecken ein Kinderbuch und ein Adventskalender in der Tasche. "Das macht diesen Brauch bei uns in der Pfarrei so familiär", sagt Sommer. Trotz der Beliebtheit der Herbergssuche habe es in diesem Jahr dennoch freie Plätze auf der Anmeldeliste gegeben. An Tagen, an denen sich niemand findet, um das Bildnis bei sich aufzunehmen, findet es seinen Platz in der Kirche. Dorthin kehren Maria und Josef auch am Heiligabend zurück: "Beim Familiengottesdienst am 24. Dezember zieht das Bild in die Kirche ein und die Eltern Jesu beenden ihre Herbergssuche", freut sich Sommer.
In Borken werden Maria und Josef ihre Reise durch die Kirchengemeinde am Heiligabend traditionell im Stall eines Bauernhofes beenden, um das neugeborene Jesuskind auf Stroh betten zu können – also fast so wie im Lukasevangelium, das davon berichtet, dass der Sohn Gottes in eine Futterkrippe gelegt wurde. "Dann wird der Gottesdienst auch etwas früher am Nachmittag stattfinden, damit Kinder daran teilnehmen können", sagt Huvers. Besonders bei den Kleinen sei der Abschluss der Herbergssuche auf dem Bauernhof beliebt. "Für viele markiert er den Beginn des Weihnachtsfestes." Der Esel Elias findet anschließend für einige Tage seinen Platz in der Krippenlandschaft der Kirche, Maria und Josef hingegen werden wieder von ihrem Herbergsvater in Empfang genommen und kehren bis zum kommenden Dezember in ihr Sommerquartier im Hause Huvers zurück.