Travestiekünstler und Kommunionhelfer: Das ist Curt Delander
Curt Delander ist Travestiekünstler, bekennender Katholik - und queer. Weil er immer schon ein großer Fan der Sängerin Zarah Leander war, hat er seinen bürgerlichen Nachnamen einfach in "Curt Delander" verwandelt. Und genauso gerne verwandelt er sich selbst vom Mann zur Frau. Das ist für den 72-Jährigen die Kunst der Travestie, wie er erzählt. Wir treffen uns im Frauenmuseum, seinem zweiten Zuhause in der Bonner Altstadt.
Geboren wurde Delander 1950 in Bonn-Endenich. "Wir waren eine Ur-Bonner-Familie und dazu ur-katholisch", berichtet er. Dass er schwul ist, stört zu Hause niemanden. "Meine Eltern waren Künstler", so Delander. Die Mutter arbeitete als Tänzerin und der Vater als Operetten- und Operntenor bei den Bühnen der Stadt. "Sie waren es gewöhnt unter Künstlern zu sein, die auch gleichgeschlechtliche Beziehungen hatten“, meint der Travestiekünstler. Als er damals seinen ersten Freund mit nach Hause brachte, hatten seine Eltern nichts dagegen. Im Gegenteil, erinnert sich Delander. Sein Freund, der Pianist war, begleitet seinen Vater sogar bei Auftritten.
Seinen Glauben habe er von seiner Oma geerbt. Sie lebte einen fröhlichen, rheinischen Katholizismus. "Wir sind in jeder Kirche gleich zur Muttergottes hin", lacht Delander. Oft stehe er noch heute gerne bei der Pietá im Bonner Münster. Einmal sei er mit seiner Oma sogar nach Lourdes gefahren. "Dort haben wir für die schwerkranke Tante gebetet." Sie ist trotzdem an Krebs verstorben. Damals wurde dem 72-Jährigen klar, "dass Gott kein Automat ist, wo man oben etwas reinwirft und das Gewünschte kommt dann unten raus". Mit Gott hatte er nie Probleme, nur mit der Institution, gibt Delander zu.

Curt Delander in seiner Paraderolle als "Zarah Leander" bei einem Auftritt in der katholischen Kirche St. Helena in Bonn.
"Ich spürte, Schwule waren in der Kirche nicht erwünscht", sagt Delander. Als bekennender Schwuler wusste er, wie die Kirche damals dazu stand. "Papst Johannes Paul II. hatte gesagt, Homosexualität sei etwas Schlechtes und von Gott nicht gewollt", erinnert er sich. Auch Verhütung war verboten. Der Travestiekünstler begründete damals das "Lighthouse", ein Hospiz für aids- und krebskranke Menschen in Bonn mit und begleitete Sterbende. "Viele waren verzweifelt, weil es zu dieser Zeit noch keine passenden Medikamente gab und kaum Menschen, die sich ihrer annahmen", erinnert er sich.
Diese Diskriminierung von Homosexualität empfand Delander damals schon als äußerst ungerecht. Auch vor dem Gesetz war es verboten, schwul oder lesbisch zu sein. "Deswegen landete man im Knast", ergänzt der 72-Jährige. In den 70er Jahren gründete Delander seine eigene Travestiegruppe, die "Crazy Boys". "Wir drei Männer sind mit unserer Show durch die Diskotheken im deutschsprachigen Raum getingelt. Wir waren für viele wie eine Befreiung und die ersten, die für die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft kämpften", blickt er zurück.
"Jahrzehntelang hatte ich keinen Kontakt mehr zur Kirche und da war ich nun"
Erst vor 12 Jahren, damals war er fast 60 Jahre alt, kam er wieder in Kontakt mit der Kirche. Damals gab es in der vom Krieg zerstörten früheren Bonner Altstadt Grabungsarbeiten für einen Neubau. Curt Delander beobachtet diese. Er war neugierig, ob dort noch Kellerreste vom Haus seiner Großmutter zu finden waren. Dann wurden Teile einer alten Kapelle freigelegt. "Das war die Gertrudiskapelle", weiß Delander. Und weil man die alten Mauerteile einfach auf den Müll kippen wollte, ging er in das Pfarrbüro seiner Kirchengemeinde, um die Kapelle zu retten.
"Jahrzehntelang hatte ich keinen Kontakt mehr zur Kirche und da war ich nun", so Delander. "Der damalige Pfarrer von St. Marien, Pastor Peter Adolf, kam auf mich zu, freundlich und ohne Vorurteile", erinnert er sich. "All meine Ängste und Vorbehalte waren auf einmal weg."

Ein Blick in die Gertrudiskapelle im Bonner Frauenmuseum. Die Kapelle wurde ökumenisch gesegnet und wird regelmäßig für liturgische Andachten und Veranstaltungen genutzt.
Die Überreste der vom Krieg zerstörten Gertrudiskapelle darf Delander von der Baustelle mitnehmen. Er bringt sie ins Bonner Frauenmuseum und gestaltet aus den Trümmerteilen einen Andachtsraum. Dann besorgt er auch Kirchenbänke, Heiligenfiguren und Erinnerungsstücke an die Patronin der Strafgefangenen, der Landwirtschaft sowie der Schiffer und Fischer ist. Alles findet Platz in der neuen Kapelle. Es bildet sich sogar ein ehrenamtliches Gertrudis-Team, das Vorträge und Führungen für Besucher organisiert und immer am Patrozinium, am 17. März, zur früheren Kapelle dieser heiligen Gertrud aus Nivelles in Bonn mit einer Prozession pilgert. Im Innenhof des Frauenmuseums wird einmal jährlich am 18. Oktober an die 300 Menschen gedacht, die 1944 bei dem Bombenangriff in Bonn gestorben sind. Der einzige Gedenkort dafür, meint Delander, der für sein umfassendes Engagement später sogar das Bundesverdienstkreuz erhielt.
Wir trinken Kaffee, es gibt Plätzchen. Hündchen "Gertrud" schläft zusammengerollt auf einer Kirchenbank im Kapellenraum nebenan. Nun ist auch Pastoralreferentin Ingeborg Rathofer bei uns. Sie arbeitet in der St. Petrus-Kirchengemeinde in Bonn und ist auch im Gertrudis-Kapellenteam engagiert. "Wir machen alles gemeinsam", stellt Delander sie vor. Für ihn ist sie eine Türöffnerin.
Mit Erlaubnis und auf Wunsch des damaligen Gemeindepfarrers machte Delander sogar eine Ausbildung zum Wortgottesleiter und Kommunionhelfer. Gemeinsam mit der Pastoralreferentin bietet Delander auch regelmäßig seelsorgerliche Gespräche in der Gertrudiskapelle an. Zusammen halten sie dort auch Wortgottesfeiern und Einzelsegnungen. Sie haben sich sogar dafür extra ein liturgisches Schultertuch in Regenbogenfarben anfertigen lassen. "Das tragen wir immer ganz bewusst hier in der Kapelle", erklärt Rathofer. "Denn hier in der Gertrudiskapelle erreichen wir Menschen, die wir sonst gar nicht sehen und viel zu lange ausgegrenzt haben“, ergänzt die Seelsorgerin. Viele kommen erst bei uns wieder in Kontakt mit der Kirche, ergänzt Delander.

In der Gertrudiskapelle halten Curt Delander und Pastoralreferentin Ingeborg Rathhofer von der Bonner St. Petrusgemeinde meist gemeinsam Andachten mit Einzelsegnungen. "Hier erreichen wir Menschen, die sonst nicht in eine Kirche kommen würden."
Ab und zu gestalten Pastoralreferentin Rathhofer und Delander auch zusammen Wortgottesfeiern in Senioreneinrichtungen. "Doch die meisten warten nur darauf, dass der Travestiekünstler für sie singt", verrät Rathofer. Nach der Andacht verwandelt er sich dann für die Bewohner und Mitarbeiter des Altenheims in die 70-jährige Zarah Leander und schlüpft in die echten Kostüme der Sängerin. Die haben seine Eltern nach dem Tod der Künstlerin ersteigert. Delander hat einen Teil dieser wertvollen Bühnenroben sogar dem Bonner Stadtmuseum vermacht.
An einen Moment in seinem Leben erinnert sich der Travestiekünstler immer wieder gerne. Einmal habe ihn der Pfarrer damals gefragt, ob er in der Gemeinde nich auch auftreten wolle. "Ich dachte, ich falle um", lacht Delander. "Natürlich wollte ich das." Für Delander dieser Auftritt vor fast 150 Leuten wie eine Versöhnung mit der Kirche. "Endlich war ich willkommen, so wie ich bin!", sagt er nicht ohne Stolz. Noch heute hat er den Zeitungsbericht mit dem Foto von seinem Auftritt damals als Zarah Leander in einer Mappe in der Gertudiskapelle aufbewahrt und zeigt ihn gerührt.
"Ich bin ein Schwuler, der mit seiner Kirche versöhnt ist"
Seit zwei Jahren teilt Delander auch die Kommunion im Gottesdienst aus. Es sei für ihn immer wieder etwas Besonderes, wenn er die Hostien aus dem Tabernakel hole. "Ich habe so viel Ablehnung erfahren. Und jetzt darf ich den den Gläubigen die Heilige Kommunion spenden", freut er sich.
Papst Franziskus mag er sehr. Daher hat sich der Travestiekünstler auch ein Bild von ihm auf seinen Oberarm tätowieren lassen. "Dieser Papst hat ein Herz für queere Katholiken wie mich", schwärmt Delander und verweist auf den Papst-Film von Wim Wenders. Darin sagte der Papst einmal bei einer Pressekonferenz im Flugzeug: "Wer gibt mir das Recht, über solche Menschen zu urteilen." Dieser Satz vor laufender Kamera über Menschen, die homosexuell sind, sei für Delander eine Wiedergutmachung für alle Verletzungen.
"Heute kann ich öffentlich sagen: Ich bin ein Schwuler, der mit seiner Kirche versöhnt ist. Jetzt habe ich das, was ich mir jahrelang gewünscht habe." Zum Abschluss des Gesprächs stellt sich der Travestiekünstler noch enmal vor die kleine Pietá in seiner Gertrudiskapelle und stimmt das Ave Maria an. Aus ganzem Herzen. Er schließt die Augen beim Singen. Curt Delander ist angekommen, hier in seiner Kirche.