Theologe Wolfgang Reinbold über historische Fakten

Jesus-Forschung: "Dass er gelebt hat, ist kaum zu bestreiten"

Veröffentlicht am 25.12.2022 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Hannover ‐ Christen verehren Jesus von Nazareth als den Sohn Gottes. Doch wie war er zu Lebzeiten – und welche Erkenntnisse gelten als gesichert? Der evangelische Theologe Wolfgang Reinbold spricht im Interview über die aktuelle Jesus-Forschung.

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An Weihnachten feiern Christen in aller Welt die Geburt Jesu. Ob der Sohn Gottes tatsächlich am 25. Dezember zur Welt kam, ist nicht belegt. Dass Jesus aber mehr ist als eine Mythen-Gestalt, lasse sich wissenschaftlich kaum noch bestreiten, sagt der evangelische Theologe Wolfgang Reinbold, Professor für Neues Testament an der Georg-August-Universität Göttingen.

Frage: An Weihnachten mag sich so mancher diese Frage stellen: Hat Jesus wirklich gelebt – oder ist er bloß ein Mythos? Was sagt die Wissenschaft?

Reinbold: Das ist eine Frage, die vor etwa einem Jahrhundert intensiv diskutiert wurde. Damals gab es nicht wenige Wissenschaftler, die bestritten, dass Jesus tatsächlich gelebt hat. Begründet wurde das damit, dass man sagte: Das Christentum ist ein Mythos, für den man nachträglich einen historischen Ursprung konstruiert hat. Oder: Die historische Figur ist entstanden, weil man die Evangelien, die ursprünglich so etwas wie Romane sind, im Nachhinein als Tatsachenberichte missverstanden hat.

Frage: Und wie sehen heutige Forscher das?

Reinbold: Heute gibt es diese These nur noch ganz vereinzelt. Tatsächlich lässt sich kaum bestreiten, dass Jesus von Nazareth eine historische Person ist. Dafür spricht zum Beispiel, dass er auch in nicht-christlichen Quellen erwähnt wird, etwa bei den römischen Historikern Tacitus und Sueton und vermutlich auch bei dem jüdischen Historiker Flavius Josephus. Darüber hinaus wissen wir von seinem leiblichen Bruder Jakobus. Er wird im Neuen Testament häufig erwähnt und spielte eine wichtige Rolle im ältesten Christentum. Auch die Evangelien lassen sich durchaus historisch auswerten. Zwar bleibt dabei vieles unsicher. Aber einige harte historische Fakten lassen sich ihnen doch entnehmen, insbesondere über die Verurteilung Jesu durch Pontius Pilatus, dem Statthalter des römischen Kaisers Tiberius in der Provinz Judäa, und seinen Tod am Kreuz.

Frage: Sofern Jesus tatsächlich gelebt hat – wie wahrscheinlich ist seine Geburt am ersten Weihnachtstag, also am 25. Dezember?

Reinbold: Dazu wiederum wissen wir kaum etwas. Das Datum geht zurück auf eine spätere Überlieferung. Die Evangelien und die ältesten christlichen Quellen wissen davon noch nichts. Im Markus- und im Johannesevangelium gibt es ja nicht einmal Berichte über seine Geburt. Auch das Geburtsjahr von Jesus kennen wir nicht, weil sich die Überlieferungen widersprechen. In den Weihnachtsgeschichten werden sowohl König Herodes als auch der römische Statthalter Quirinius erwähnt. Das aber passt nicht zusammen, denn Quirinius tritt sein Amt im Jahr 6 nach Christus an, während Herodes im Jahr 4 vor Christus stirbt. Die Wissenschaft hat sich den Kopf darüber zerbrochen, wie man das zusammenbringen soll – und bisher keine überzeugende Antwort gefunden. So oder so aber gilt: Dass Jesus gelebt hat, ist kaum zu bestreiten.

Wolfgang Reinbold
Bild: ©epd-bild/Jens Schulze

Wolfgang Reinbold ist Professor für Neues Testament an der Georg-August-Universität Göttingen und Beauftragter für Kirche und Islam der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

Frage: Christen verehren Jesus als Sohn Gottes. Wer war er zu Lebzeiten – als "normaler Mensch"? Was wissen wir über ihn, sein Wirken, seine Bildung, seine Beziehungen, seine Familie?

Reinbold: Er war ein Zimmermann aus Nazareth in Galiläa. Er hatte mehrere Brüder, deren Namen wir kennen – unter ihnen der schon erwähnte Jakobus –, und auch Schwestern, deren Namen unbekannt sind. Die Beziehungen zu seiner Familie waren nicht immer gut. Nach allem, was wir wissen, war Jesus unverheiratet, und er verhielt sich auch sonst oft nicht so, wie es sich Eltern von ihren Kindern wünschen. Über seinen Bildungsweg ist wenig bekannt. In gewisser Hinsicht kann Johannes, der sogenannte "Täufer", der in der Wüste am Jordan wirkte, als sein Lehrer gelten. Von ihm ließ er sich taufen, und über ihn hat er stets mit großem Respekt gesprochen. In der Mitte seines Tuns stand sein Wirken als Heiler der Kranken und Schwachen. Überdies war er ein Lehrer und Dichter, ein Meister der Gleichnisse und der Erzählungen vom Reich Gottes, das für ihn schon gegenwärtig war.

Frage: Was wäre eigentlich, wenn Jesus doch nicht gelebt hätte? Würde das dem christlichen Glauben jede Grundlage entziehen – oder hängt der Glaube an Christus letztlich nicht so sehr an historischen Fakten?

Reinbold: Vermutlich ließe sich christlicher Glaube auf die eine oder andere Weise auch als reiner Mythos konstruieren. Ich bezweifle aber, dass er dann die Kraft hätte, die ihm eigen ist. Glücklicherweise stellt sich diese Frage nicht.

Frage: Was bedeutet der Name "Jesus" eigentlich, woher stammt er?

Reinbold: Der Name stammt aus der Bibel. Er ist die griechische Form des häufigen hebräischen Eigennamens "Jeschua", eine Kurzform für "Jehoschua". So heißt das sechste Buch der Bibel, auf Deutsch "Josua". Die Bedeutung des Namens lautet "Gott rettet" oder "Gott hilft".

Frage: Was bleibt jenseits des Religiösen von Jesus? Inwieweit hat er die Geistes- und Kulturgeschichte der zurückliegenden zwei Jahrtausende verändert?

Reinbold: Er hat den Lauf der Welt beeinflusst, bis hinein in den Alltag eines jeden Einzelnen von uns. Ohne Jesus gäbe es die Bewegung nicht, die man etwa einhundert Jahre nach seinem Tod "Christentum" zu nennen begann. Das heißt etwa – um ein sehr schlichtes und naheliegendes Beispiel zu wählen: Es gäbe keinen Advent, weder Weihnachtsmärkte noch Weihnachtsgeschenke – und am 26. Dezember müssten wir wohl alle zur Arbeit gehen.

Was aber noch viel wichtiger ist: Die deutsche Kultur, unser Kalender und auch unsere Rechtsordnung sind durch und durch christlich geprägt, sei es direkt, sei es indirekt oder im Widerspruch. Die Wirkung des Zimmermanns Jesus aus Nazareth könnte größer kaum sein.

Von Daniel Behrendt (epd)