Kardinäle und Erzbischöfe kritisieren Gänsweins Medienoffensive
Die öffentlichen Aussagen von Erzbischof Georg Gänswein nach dem Tod des emeritierten Papstes stoßen bei Kardinälen und Erzbischöfen auf Befremden. "Es wäre besser gewesen zu schweigen. Jetzt ist nicht die Zeit für solche Dinge", sagte Kardinal Walter Kasper am Sonntag gegenüber der Zeitung "La Repubblica" auf die Frage nach der Kritik, die Gänswein an Papst Franziskus geäußert hatte. In Auszügen aus Gänsweins neuem Buch beklagte sich der ehemalige Privatsekretär über seine Behandlung durch Papst Franziskus, der ihn als Präfekt des Päpstlichen Hauses beurlaubt hatte. Als der Papst ihn im Februar 2020 von seinem Posten als "Präfekt des Päpstlichen Hauses" auf unbestimmte Zeit beurlaubte, sei er "schockiert und sprachlos" gewesen, so Gänswein. Der Erzbischof berichtete außerdem davon, dass der emeritierte Papst die Rücknahme seiner Lockerungen bei der Feier der vorkonziliaren Liturgie "mit Schmerz im Herzen" gelesen habe. Die Veröffentlichungen kommentierte der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, Vincenzo Paglia, mit "Schweigen wäre besser".
Der als konservativ geltende Vorsitzende der US-amerikanischen Bischofskonferenz, Erzbischof Timothy Broglio, sagte ebenfalls gegenüber La Repubblica, dass er die Aussagen Gänsweins zwar nicht gelesen habe. "Aber ich denke, wenn wir Kritik am Heiligen Vater äußern, sollte dies nicht über die Massenmedien, sondern direkt an ihn persönlich gerichtet werden. Und ich betrachte Monsignore Gänswein als einen Freund", so der amerikanische Militärbischof. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der als Präfekt der Glaubenskongregation einer der Nachfolger Ratzingers war, äußerte sich zurückhaltend. Er habe Gänsweins Position in den Zeitungen gelesen. Man müsse für eine Bewertung den Kontext kennen. "Leider ist es eine dieser Kontroversen, die nicht gut für Gottes Volk sind", so Müller weiter.
Papst Franziskus: Klatsch ist eine tödliche Waffe
Bei seiner Predigt zu Epiphanie hatte Papst Franziskus abweichend vom ursprünglichen Manuskript eine spontane Bemerkung hinzugefügt. Nach dem Satz "Beten wir Gott an und nicht die falschen Götzen, die uns mit der Verlockung von Ansehen und Macht verführen" ergänzte er noch "mit der Verlockung falscher Nachrichten". Auch beim Angelus am Sonntag griff der Papst das Thema noch einmal auf: "Bin ich ein Jünger der Liebe Jesu oder ein Jünger des Klatsches, der spaltet? Klatsch ist eine tödliche Waffe: Er tötet, er tötet die Liebe, er tötet die Gesellschaft, er tötet die Brüderlichkeit. Fragen wir uns: Bin ich ein Mensch, der spaltet, oder ein Mensch, der mitfühlt?" Am Montag hat Papst Franziskus auch persönlich mit Gänswein gesprochen: Laut der vom vatikanischen Pressesaal veröffentlichten Liste der Papstaudienzen wurde der Erzbischof am Montagvormittag vom Papst empfangen. Inhalte aus dem Gespräch sind noch nicht bekannt.
Schon am Donnerstag soll Gänsweins Buch unter dem Titel "Nient'altro che la verità. La mia vita al fianco di Benedetto XVI" ("Nichts als die Wahrheit. Mein Leben an der Seite von Benedikt XVI.") in Italien erscheinen. Es sei an der Zeit, "die Wahrheit über die eklatanten Verleumdungen und obskuren Manöver" zu sagen, die vergeblich versucht hätten, "einen Schatten auf das Lehramt und die Handlungen des deutschen Papstes zu werfen", heißt es in der Verlagsankündigung. So werde "endlich das wahre Gesicht einer der größten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte offenbart, die von den Kritikern zu Unrecht als 'Panzerkardinal' oder 'Gottes Rottweiler' verunglimpft wurde". Eine deutsche Übersetzung wird im Herder-Verlag erscheinen. Auf Anfrage teilte der Verlag mit, dass weder der Veröffentlichungstermin noch der deutsche Titel feststehen: Unter dem Titel "Nichts als die Wahrheit" erschien 2002 eine Autobiographie von Dieter Bohlen.
Seit dem Tod des emeritierten Papstes ist Gänswein in den Medien wieder verstärkt präsent. In mehreren Interviews betonte er die Bedeutung Benedikts XVI. und gab Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt des Verstorbenen. Gegenüber dem Fernsehsender EWTN hielt er eine schnelle Seligsprechung für möglich. Angekündigt ist außerdem ein Buch des Vatikan-Journalisten Orazio La Rocca, in dem die Auseinandersetzung des emeritierten Papstes mit dem Münchner Missbrauchsskandal der 1980er Jahre ein Schwerpunkt sein soll. Gänswein hat dazu ein Vorwort beigesteuert. (fxn)