Fakultätentags-Chefin Rahner: Unser Problem ist die Außenwirkung
Die Tübinger Dogmatikerin Johanna Rahner beklagt eine fehlende Wertschätzung für die katholische Theologie – gerade im Vatikan. "Rom fällt es schwer, theologisch gute Argumente für Veränderungen zu akzeptieren", kritisiert die scheidende Vorsitzende des Katholisch-Theologischen Fakultätentages (KThF) im Interview. Sie erklärt auch, warum es aus ihrer Sicht Sinn macht, Theologie zu studieren.
Frage: Frau Professorin Rahner, was war in Ihrer Amtszeit als Chefin des Katholisch-Theologischen Fakultätentages das Kerngeschäft?
Rahner: Hochschulpolitik. Wir vertreten alle wissenschaftlichen Einrichtungen für katholische Theologie in Deutschland. Aber wir sind kein kirchliches Gremium, sondern ein privatrechtlich organisierter eingetragener Verein. Wir sind der Ansprechpartner für die Bischofskonferenz, wir koordinieren beispielsweise die Weiterentwicklung des Fachs Theologie an den Unis, sind Ansprechpartnerin für Kolleginnen und Kollegen bei der kirchlichen Vorgaben bei Berufungsverfahren. Und wir sprechen mit den Wissenschaftsministerien der Länder.
Frage: Wie steht es insgesamt um die wissenschaftliche Theologie? Sie selbst haben mit Blick auf ihre Kirche eine mangelnde Wertschätzung beklagt.
Rahner: Das ist so – obwohl es beim Reformprojekt Synodaler Weg eine hohe Wertschätzung gibt. Auch bei den Gesprächen mit den anderen Wissenschaften werden wir respektiert und sind sehr gut vernetzt. Mangelnde Wertschätzung zeigt sich indes, wenn es um den Vatikan geht. Rom fällt es schwer, theologisch gute Argumente für Veränderungen zu akzeptieren. Das, was die Kardinäle Marc Ouellet und Luis Ladaria zum Beispiel im November den deutschen Bischöfen über den Synodalen Weg gesagt und später veröffentlicht haben, hatte theologisch betrachtet große Schwächen und erschwert Debatten.
Frage: Sie haben mit Blick auf öffentliche Diskussionen die Frage formuliert: "Wie kann man so reden, dass man theologisch Niveau hält, aber trotzdem von anderen verstanden wird." Welche Antwort geben Sie selbst?
Rahner: Notwendig ist Zweisprachigkeit, es braucht theologische Grenzgänger: das eine ist die Analyse der Welt, salopp formuliert die Frage: Wie ticken Leute heute? Das andere ist: Die Theologie muss fähig sein, ihre Überzeugungen mit dieser Realität ins Gespräch zu bringen, Theologie muss für die Menschen relevant, also bedeutsam sein.
Frage: Aber wo kann sich Theologie überhaupt noch in Debatten einschalten?
Rahner: Ein Beispiel ist der Krieg in der Ukraine: Wir analysieren, was der Begriff "Zeitenwende" bedeutet. Ist Krieg tatsächlich die ultima ratio, also das letzte Mittel der Politik? Was bleibt von der theologischen Möglichkeit vom gerechten Frieden? Wir denken darüber nach, wie eine Nachkriegsordnung aussehen kann, in der die Menschen wieder miteinander leben können müssen. Zu Schuld und Sünde oder Vergebung und Versöhnung hat Theologie viel zu sagen.
Oder schauen Sie auf Südafrika: Da hat mit Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ein Theologe und Bischof wesentlich dazu beigetragen, dass eine Gesellschaft wieder funktionieren kann. Die Theologie hat die Kraft, in Konflikten Position zu beziehen, nach Lösungen zu suchen und Versöhnung voranzubringen.
Frage: Themenwechsel. Die Fakultäten geraten zunehmend unter Druck. Unter anderem, weil sich immer weniger junge Menschen für ein Vollstudium entscheiden. Welche Gründe gibt es dafür? Wie erklären Sie einem jungen Menschen, dass es Sinn hat, Theologie zu studieren?
Rahner: Meine persönliche Antwort: Sie ist eines der spannendsten Studienfächer. Es geht um Kompetenzen für ganz verschiedene Bereiche: etwa Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaften, historisches, spekulatives und kreatives Denken. Wer etwas Geisteswissenschaftliches studieren will, ist bei uns gut aufgehoben. Das Zweite: Wer sensibel ist für gesellschaftliche Entwicklungen und Religion als Faktor ernst nimmt, wer sich für interkulturelle Kompetenz interessiert – auch der ist bei uns richtig. Unser Problem aktuell ist die Außenwirkung. Wir müssen erklären, dass Theologiestudium und katholische Kirche zwei verschiedene Dinge sind. Die wissenschaftliche Theologie ist ja oft eine kritische Gegenstimme zur Institution.
Frage: Aber nach dem Studium oft lebenslang der Arbeitgeber.
Rahner: Genau. Aber ohne Menschen mit wissenschaftlicher Kompetenz wird sich dieses System nicht ändern. Und unabhängig davon: Die Fragen von Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung sind zentrale theologische Themen. Wir brauchen hier Menschen, die kreativ weiterdenken können. Aktuell kommen die aber nicht, weil sie fürchten, dass sich das System Kirche nicht ändert.
Frage: Druck hat auch das Vorhaben der Bischöfe ausgelöst, die Priesterausbildung zu zentralisieren. In der Professorenschaft befürchtet wurden Fakultäten erster und zweiter Klasse. Nachdem die Pläne zunächst an Ihnen vorbei entstanden sind, dürfen Sie jetzt ein bisschen mitreden. Wird es nun besser?
Rahner: Die radikalen Konsequenzen der ursprünglichen Pläne sind aktuell vom Tisch. Jetzt stehen wir in einer Zwischenphase. Unser Vorschlag ist, jeweils das ganze wissenschaftliche Personal eines Bistums an einer Hochschule ausbilden zu lassen – egal, ob es um künftige Priester, Pastoral- oder Gemeindereferenten geht. Alles, was gemeinsam möglich ist, soll auch gemeinsam getan werden. Ich habe nie verstanden, warum es für eine priesterliche Identität entscheidend sein soll, die Ausbildung getrennt von anderen zu machen. Eine solche Haltung klingt eher ideologisch und kann die systemischen Faktoren verstärken, die zur Kirchenkrise geführt haben.
Frage: Als schwierig gilt das Schreiben Veritatis gaudium, mit dem Papst Franziskus 2017 weltweit Normen für Universitäten und Fakultäten regeln wollte. Dabei war von Anfang klar, dass manches nicht mit deutschem Universitätsrecht in Einklang zu bringen ist – etwa die originelle römische Idee, dass die Wahl eines Dekans oder einer Dekanin vom Vatikan bestätigt werden muss.
Rahner: Wir haben eine Änderungsvorlage zur Anpassung an die deutschen Bedingungen formuliert, aber die ist bisher unbeantwortet.
Frage: Zuständig in der Bischofskonferenz ist als Chef der Kommission Kardinal Rainer Maria Woelki. Er ist es auch, der mit seinen Plänen für eine neue theologische Hochschule in Köln eine Debatte über wissenschaftliche Theologie befördert hat. Gestärkt werden die Fakultäten damit nicht gerade ...
Rahner: ... und das ist unser Hauptkritikpunkt: Kardinal Woelki widerspricht mit seinem Vorgehen der Empfehlung des deutschen Wissenschaftsrates, das Seelsorgepersonal an staatlichen Hochschulen auszubilden, um die jungen Theologen ganz bewusst dem Gespräch mit Politik, Gesellschaft und anderen Wissenschaften auszusetzen. Ich habe den Kölner Erzbischof deshalb schon vor über drei Jahren darüber informiert, dass wir seinem Vorgehen nicht zustimmen können. Er setzt ein falsches Zeichen und geht den falschen Weg.
Frage: Ist mit solchen Diskussionen bei Ihnen auch ein Stück Ohnmachtserfahrung verbunden?
Rahner: Ja. Immer noch läuft es in solchen Fällen so, dass Argumente keine Rolle spielen und wir rechtlich keine Mittel haben. Ich habe noch nie verstanden, warum Rom gerade die deutsche Wissenschaftslandschaft verdächtigt. Anscheinend wird Rechtgläubigkeit daran gemessen, dass das wiederholt wird, was angeblich immer schon galt. Doch es hilft nicht, ewige Wahrheiten vor sich her zu tragen. Spätestens seit dem großen Theologen Thomas von Aquin sollten wir wissen, dass solche Aussagen auch vernünftig begründet werden müssen.
Frage: Ein Herzensanliegen ist Ihnen, Frauen in der wissenschaftlichen Theologie zu fördern.
Rahner: Neue Zahlen belegen den alten Befund: Der Knackpunkt ist, dass zu wenige Frauen promovieren und sich habilitieren. Das hat biografische Gründe, liegt aber auch an mangelnder Förderung. Die Abbruchquote ist immens. Aktuell sprechen wir mit der Bischofskonferenz über ein Förderprogramm. Der altbekannte Satz "Der Priester X wurde zur Promotion freigestellt" soll nach unserer Vorstellung künftig "Der Seelsorgemitarbeitende wurde zur Promotion freigestellt" heißen. Zugleich untersuchen wir gerade, ob die Probleme beim wissenschaftlichen Nachwuchs speziell etwas mit katholischer Theologie zu tun haben, ob die Theologie als solche betroffen ist oder ob es sich um ein Phänomen in allen Geisteswissenschaften handelt.