Pell soll Autor von anonymem Memorandum gegen Papst Franziskus sein
Der überraschend verstorbene Kardinal George Pell soll der Verfasser eines im vergangenen Jahr veröffentlichten Brandbriefs gegen Papst Franziskus sein. Der italienische Vatikan-Journalist Sandro Magister, der das Schreiben im vergangenen Jahr veröffentlicht hatte, teilte am Mittwoch in seinem zur Zeitung "L'Espresso" gehörenden Blog mit, dass der Kardinal hinter dem verwendeten Pseudonym stecke. "Pell war der Verfasser dieses mit 'Demos' unterzeichneten Memorandums, das im vergangenen Frühjahr im Hinblick auf ein künftiges Konklave unter den Kardinälen zirkulierte und am 15. März von Settimo Cielo veröffentlicht wurde", so der Journalist.
Magister hatte im vergangenen März berichtet, dass das Memorandum seit Beginn der Fastenzeit "von Hand zu Hand unter den Kardinälen" weitergereicht würde. Damals kommentierte Magister, dass der Autor zwar unbekannt sei, aber "sicher Meister seines Fachs" und womöglich selbst Kardinal sei. Ob der Journalist schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung oder erst später von der Urheberschaft Pells wusste, legt er nicht offen.
"Heute heißt es: Rom hat gesprochen, die Verwirrung wächst"
Das Memorandum widmete sich zunächst einer deutlichen Kritik an der von Papst Franziskus verantworteten Situation im Vatikan, um in einem zweiten Teil Überlegungen zu einem kommenden Konklave anzuschließen. Der Autor beklagt die Verwirrung, die er im gegenwärtigen Pontifikat wahrnimmt: "Früher hieß es: Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt. Heute heißt es: Rom hat gesprochen, die Verwirrung wächst." Der Papst schweige zu Positionen, die die Lehre zur Homosexualität, Frauenweihe oder Kommunionempfang in Frage stellten. Die päpstlichen Schriften zeigten einen "intellektuellen Niedergang" und zu viel "politische Korrektheit", der Einsatz für bedrängte Christen unter anderem in Hongkong, China und Russland werde vernachlässigt. Außerdem kritisiert das Memorandum das Vorgehen des Papstes im Bereich Justiz, Finanzen und Personal. Für das nächste Konklave müssten sich die Kardinäle daher nach Ansicht des Verfassers auf einen Kandidaten einigen, der diese Entwicklungen korrigiert. "Die ersten Aufgaben des neuen Papstes werden die Wiederherstellung der Normalität, die Wiederherstellung der Klarheit der Glaubens- und Morallehre, die Wiederherstellung einer angemessenen Achtung des Rechts und die Garantie sein, dass das erste Kriterium für die Ernennung von Bischöfen die Akzeptanz der apostolischen Tradition ist". Statt neue synodale Strukturen in der Weltkirche und den Ortskirchen zu stärken, müsse der neue Papst gegen Häresien durchgreifen.
Pell war von 1996 bis 2014 Diözesanbischof in Australien, zuletzt im Erzbistum Sydney. Von 2014 bis 2019 leitete er als Präfekt das neu geschaffene vatikanische Wirtschaftssekretariat, war aber ab 2017 aufgrund eines Gerichtsverfahrens in Australien von seinen Amtspflichten freigestellt. Pell wurde sexueller Missbrauch von Jungen vorgeworfen. Die Schuldsprüche von Instanzgerichten wurden 2020 durch das oberste australische Gericht aufgehoben.
Am Dienstag starb der Kardinal überraschend im Alter von 81 Jahren nach einer Operation am Hüftgelenk. Am Mittwoch erschien postum ein Beitrag von ihm in der britischen Zeitung "The Spectator", in dem er scharfe Kritik am weltkirchlichen synodalen Prozess äußert. Wie im anonymen Memorandum wendet er sich dabei insbesondere gegen Kardinal Jean-Claude Hollerich, den Generalrelator der Bischofssynode, sowie Forderungen nach Veränderungen in der Sexualmoral der Kirche. (fxn)