Erneut hat die IS eine Stadt im Irak erbobert und erneut vertreiben sie die Christen

Flucht, Konversion oder Tod

Veröffentlicht am 08.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kinder hinter einem ausgebrannten Auto
Bild: © KNA
Irak

Bonn ‐ Ihre Autos mussten sie zurücklassen – die Islamisten hatten sie ihnen am Kontrollpunkt abgenommen. Den Rest der 70 Kilometer langen Strecke nach Arbil sind sie gelaufen – bei 55 Grad und gleißender Sonne. Laut der französischen christlichen Organisation "Fraternite en Irak" flüchteten die verbliebenen Christen überstürzt aus der irakischen Stadt Qaraqosh, nachdem die Kämpfer der Organisation Islamischer Staat (IS) am Donnerstag dort einmarschiert waren.

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Die IS-Kämpfer hätten Andersgläubige vor die Wahl gestellt, ihre Heimat zu verlassen oder sofort zum Islam überzutreten – andernfalls hätten sie mit dem Tod gedroht. Die Dschihadisten hätten auch Kirchen besetzt, Kreuze abgenommen und religiöse Schriften verbrannt.

Die etwa 30 Kilometer südöstlich von Mossul gelegene Stadt Bakhdida, nach ihrem türkischen Namen auch Qaraqosh (Karakosch) genannt, zählte zuletzt rund 50.000 Einwohner, fast ausschließlich Christen. Sie gehörten hauptsächlich der syrisch-katholischen und der syrisch-orthodoxen Kirche an.

Papst Franziskus und Bischof Voderholzer fordern Unterstützung

Kurienkardinal Fernando Filoni, Leiter der vatikanischen Missionskongregation und Nahostexperte, sprach laut dem vatikanischen Pressedienst "Fides" von einer "ernsten humanitären Lage". Die Flüchtlinge seien sich selbst überlassen und wüssten nicht, wohin sie sich wenden könnten. Es gebe erste Berichte von Toten. Die Vereinten Nationen teilten mit, dass mehr als 40.000 Familien mit insgesamt rund 200.000 Personen aus der Region geflohen seien. "Die Ebene von Ninive ist jetzt entvölkert von den angestammten Christen".

Bild: ©picture alliance/abaca

Mitglieder der islamistischen Terrororganisation ISIS posieren mit ihrer Flagge.

Papst Franziskus hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, das "humanitäre Drama" im Nordirak zu beenden und die von Gewalt und Vertreibung betroffenen Menschen zu schützen. Überlebensnotwendige humanitäre Hilfe müsse die Flüchtlinge erreichen können, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi am Donnerstag. Papst Franziskus sei tief betroffen über die Lage im Nordirak.

Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick forderte die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Länder auszuüben, die den IS und andere terroristischen Gruppen mit Waffen und Geld unterstützten. "Die Verfolgung von Zivilisten aufgrund ihrer Religion oder Volkszugehörigkeit ist ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer verurteilte die anhaltende Vertreibung von Christen und weiteren Minderheiten im Irak als "himmelschreiendes Unrecht". Die Region sei eine "Wiege des Christentums", in der verschiedene Religionen Jahrhunderte lang friedlich zusammengelebt hätten, sagte er am Donnerstagabend in Berlin.

Herausforderung für die "Eliten des Islam"

Voderholzer wertete die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten auch als Herausforderung für die "Eliten des Islam". Sie dürften nicht nur wirtschaftliche Interessen oder Nachwirkungen des Kolonialismus dafür verantwortlich machen. Die islamische Welt müsse sich die Frage stellen, "wo die kulturellen und religiösen Gründe für solche Fehlentwicklungen liegen", und zusammen mit der Weltgemeinschaft nachdrücklich dagegen einschreiten. Der Bischof betonte zugleich, dass für die "erschütternden und aufrüttelnden" Verbrechen nicht alle Muslime pauschal verantwortlich gemacht werden dürften.

Die italienische Bischofskonferenz hat bereits eine Million Euro als Soforthilfe für die verfolgten Christen im Irak bereitgestellt. Das Geld werde durch die Bischöfe im Nordirak sowie die vatikanische Botschaft in Bagdad an Bedürftige weitergeleitet, sagte der Vorsitzende der Konferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" (Freitag).

Auch die Bundesregierung hat 2,9 Millionen Euro für die Bewältigung des Flüchtlingsdramas im Irak zur Verfügung gestellt und weitere Hilfe in Aussicht gestellt. "Es ist klar, dass das nicht reichen wird und wir sehen müssen, was wir darüber hinaus tun können", erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Freitag.

Medien schauen weg

Allerdings ist die humanitäre Arbeit laut dem katholischen Hilfswerk Malteser International "praktisch unmöglich" geworden. "Zurzeit bleiben die Menschen völlig ohne Versorgung", sagte der stellvertretende Generaldirektor der Organisation, Sid Johann Peruvemba, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln. So sei in der Nacht auf Donnerstag ein von den Maltesern unterstütztes Gesundheitszentrum im nordkurdischen Karamlish in die Hände von IS gefallen.

Viele Menschen fliehen nun ins benachbarte kurdische Gebiet. In der kurdischen Hauptstadt Arbil erwägen die Malteser zusätzliche Maßnahmen für die Flüchtlinge, etwa eine erste Notversorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin. Dafür seien aber zusätzliche Hilfsgelder notwendig, so Peruvemba. Für diese zu werben, sei nicht einfach, da in den vergangenen Wochen die öffentliche Aufmerksamkeit auf anderen Konfliktregionen wie Gaza oder der Ukraine gelegen habe.

Die Wurzel des Hasses

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Die Päpstliche Stiftung "Kirche in Not" hat die Bundesregierung derweil aufgerufen, das Problem bei den Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen: Die IS-Miliz rücke immer mehr auf die Grenze des Nato-Mitglieds Türkei und Richtung Mittelmeer vor. Darin liege eine nicht mehr nur regionale, sondern internationale Bedrohung. Ohne sofortiges internationales Eingreifen würden das Jahrhunderte alte christliche Erbe und die kulturelle Vielfalt aus dem Irak verschwinden. Auch humanitäre Hilfe führe zu nichts, wenn die Staatengemeinschaft nicht Maßnahmen gegen die Auslöschung der bedrängten Bevölkerung ergreife, zitierte "Kirche in Not" den katholischen Kirchenführer aus Bagdad. (mir/KNA)

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