Pfarrer: Wir brauchen nicht für alles einen eigenen Raum
Die Mittelstadt St. Ingbert liegt im beschaulichen Saarland, das seit jeher katholisch geprägt ist. Doch auch dort fehlen Kirchenmitglieder, pastorale Mitarbeiter und Geld. Die dortige Pfarrei St. Ingobertus im Bistum Speyer muss sparen und baut deshalb im großen Stil Gebäudebestand ab. Dabei schrecken die Verantwortlichen auch nicht vor Extremlösungen zurück: In zwei Gemeinden der Großpfarrei wird es künftig keine Pfarreigebäude mehr geben. Wie es dazu kam und wie trotzdem Pfarrei gelebt werden soll, erklären Pfarrer Daniel Zamilski und Diakon Carsten Neuheisel, der auch dem Verwaltungsrat vorsteht, im Interview.
Frage: Laut Ihren Planungen wird es in der Pfarrei St. Ingobertus über kurz oder lang Gemeinden geben, wo es keine Gebäude der Pfarrei mehr gibt. In anderen Teilen des Gebiets werden dagegen alle Immobilien erhalten. Wie ist es zu diesen Entscheidungen gekommen?
Zamilski: Wir hatten uns seit 2018 zusammengesetzt, um die Vorgaben des Bistums umzusetzen. Dabei ging es darum, wie wir in unserer Stadt am sinnvollsten Kirchengebäude und Pfarrheime reduzieren. Da wurde geguckt, in welchem Zustand die Gebäude sind und ob und wenn ja wie man sie verkaufen kann. Manchmal gab es etwa Gebäudekomplexe mit Kirche und Pfarrheim, da gab es nur Ganz-oder-gar-nicht-Lösungen. So ist das Konzept entstanden. Für uns war recht schnell klar, welche beiden Kirchen wir zentral als Gottesdienstorte behalten wollten. Von da ausgehend haben wir geschaut, welche Räume wir sonst noch brauchen, um in jedem Stadtviertel auch weiterhin präsent zu sein.
Neuheisel: Wir hatten versucht, alle Ebenen und Gremien mit einzubeziehen. Das sind bei uns die Gemeindeausschüsse, der Verwaltungsrat und der Pfarreirat – in anderen Diözesen wird dieser als Pfarrgemeinderat bezeichnet. Da es etwas schwierig war, diese Gruppen zu koordinieren, hatten wir extra eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, Materialien für die Gremien vorbereitet und letztendlich dann eine Vorlage geschrieben hat.
Frage: Wie ist die bei den Gremien angekommen?
Neuheisel: Wir haben uns zuerst im Verwaltungsrat mit Blick auf die Finanzen besprochen, im Pfarreirat ging es dann um die pastorale Sicht. Dazu haben wir dann auch die Gemeindeausschüsse gehört, denen wir die Vorlage der Arbeitsgruppe als Diskussionsgrundlage vorgelegt haben: Als Eucharistiestandorte bleiben St. Josef und St. Engelbert; zusätzlich bleiben St. Franziskus sowie St. Michael als Multifunktionsgebäude. Auf dieser Grundlage sollten die Gemeindeausschüsse überlegen, ob sie sich es vorstellen können, ob sie ihre eigene Kirche noch brauchen oder auch auf andere ausweichen können. Jede Gemeinde hat dann ein Votum abgegeben, alle haben unserer Vorlage zugestimmt. Schon bei der Bildung unserer Großpfarrei 2015 war bekannt, dass wir langfristig Immobilien abbauen müssen. Deswegen hatten die Gemeinden schon Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber man kann natürlich nie alle Menschen mitnehmen, denn viele hängen an ihren Gebäuden.
Frage: Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Auswahl der Kirchen vorgegangen, die Sie halten oder weggeben?
Zamilski: Finanzielle und emotionale. Wir haben im Moment einen "Wintermodus" ausgerufen, während dem wir nur einen Teil unsere Gebäude bespielen, um herauszufinden, welche Kirchen wir wirklich nutzen und bei welchen Pfarrheimen sich das Heizen lohnt. Wir haben festgestellt, dass wir selbst nach der Reduzierung unseres Gebäudebestands immer noch Gebäude im Portfolio haben, die wir eigentlich eher aus emotionalen Gründen halten – und nicht, weil sie ausgelastet oder unabkömmlich sind. Wir haben uns verschiedene Daten kommen lassen, zum Beispiel die Katholikenzahlen, Kirchenbesuchszahlen, Taufzahlen, Auslastungszahlen unserer Gebäude und so weiter, aber auch die anstehenden Sanierungskosten und die Schlüsselzuweisungen des Bistums, also die Kirchensteuermittel, die wir bekommen.
Neuheisel: Im Zuge dessen haben wir festgestellt, dass uns allein die Sanierungskosten auffressen würden. Die Schlüsselzuweisungen würden nicht reichen, um alle Maßnahmen umzusetzen, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren anstehen würden.
Frage: Das heißt, Sie haben auf den Sanierungsbedarf geschaut und wenn ein sanierungsbedürftiges Gebäude kaum besucht wurde, stand es auf der Abschussliste.
Zamilski: So kann man das nicht sagen. Wir geben Gebäude ab, die eigentlich gut im Schuss sind, weil sie schlecht ausgenutzt, zu groß oder aber auch gut auf dem Immobilienmarkt platzierbar sind. Wir halten auch Gebäude, die sanierungsbedürftig sind – wobei fast alle unsere Gebäude saniert werden müssen. Es ging aber vor allem darum, an einem Standort ein Gebäude zu behalten – da investieren wir dann im Ernstfall auch. Es waren also nicht nur rein finanzielle Gründe, sondern auch die Überlegung, im ganzen Stadtgebiet präsent zu bleiben. Da haben wir auch unsere Kitas mit einbezogen. Wir haben sechs Kitas, die sehen wir auch als pastorale Orte, wo sich die Gemeinde treffen und Gottesdienst feiern kann.
Neuheisel: Für uns als Pfarrei ist der große Vorteil, dass wir mit der Kommune St. Ingbert deckungsgleich sind. Das macht es leichter, da wir nicht wie andere Pfarreien, die auf verschiedene Orte verteilt sind, nach einem Kommunenproporz schauen müssen. Zudem sind die Wege bei uns nicht so weit, deswegen haben wir uns für zwei Kirchen im Stadtzentrum als zentrale Kirchorte entschieden – da kommt jeder hin. Danach ging es darum, auch in den Stadtvierteln Orte der Begegnung zu erhalten.
Frage: In den Gemeinden St. Konrad und St. Barbara gibt es aber bald gar keine pfarrlichen Gebäude mehr.
Zamilski: Genau. Die beiden Gemeinden St. Konrad und St. Franziskus hatten sich sowieso schon miteinander vernetzt, sie liegen auch in Sichtweite. Da ging es nur noch darum, welche der Kirchen wir behalten. An beiden Orten haben wir Zentren, an denen die Kirchen mit Unterkirche und Pfarrheim verschmolzen sind, also waren nur Alles-oder-nichts-Lösungen möglich – wir konnten nur ein Gebäude halten und haben uns für St. Franziskus entschieden. Denn dort sitzt auch die Regionalverwaltung des Dekanats, dazu kommen eine Kita, eine Schule und zwei Altenheime in der Nähe. Da ist die Vernetzung einfach viel besser als in St. Konrad. Dort haben wir aber auch schon eine Lösung gefunden: Eine Freikirche interessiert sich für das Gebäude.
In der Gemeinde St. Barbara ist es so, dass die Menschen dort rechtlich gesehen zwar zu unserer Pfarrei gehören, sich aber in der Regel zur Nachbarkommune hin orientieren, die auch zu einem anderen Bistum gehört, nämlich dem Bistum Trier. Da waren wir deshalb der Meinung, dass wir diese Kirche vernachlässigen könnten.
Frage: Wenn Sie eine Kirche wie etwa die Barbarakirche abgeben. Was passiert dann?
Zamilski: Dieses Gebäude ist in einem sehr schlechten baulichen Zustand, da war auch bisher nur zwei Mal im Monat Gottesdienst mit einer Handvoll Leuten. Um das wieder nutzbar zu machen, müssten 850.000 Euro in die Hand genommen werden, das haben wir ausrechnen lassen. Wir haben mittlerweile die Genehmigung des Bistums Speyer bekommen, sie zum Verkauf anzubieten. Die Wahrscheinlichkeit ist dann sehr hoch, dass ein neuer Eigentümer die Kirche abreißt. Sie zu renovieren und zu sanieren, wird sich für niemanden lohnen.
Frage: Wie bereits angesprochen geht es auch oft um emotionale Werte. Dazu gehört etwa die St. Hildegard-Kirche, die nicht nur das Bild des Stadtteils prägt, sondern als eindrückliches Beispiel des Backsteinexpressionismus auch kunsthistorisch bedeutsam ist. Trotzdem wird sie abgegeben.
Zamilski: Dadurch, dass die Kirche sehr stadtbildprägend und kunsthistorisch wertvoll ist, hatte die Stadt Interesse daran, dass dieses Gebäude erhalten bleibt. Sie wird das Gebäude übernehmen und als Aula für die benachbarte Schule nutzen. Wir haben sogar ein Nutzungsrecht, dürfen also eine Kapelle weiter bespielen, aber auch etwa die ganze Kirche für Vorträge, Feste oder Konzerte nutzen. Das ist aus meiner Sicht eine Win-Win-Situation, denn wir haben kein Geld, die Kirche zu unterhalten.
Frage: Es gibt auch Leute, die das kritisch sehen.
Zamilski: Einige Menschen sind tatsächlich sehr aggressiv aufgetreten und wollten kurz vor knapp noch ein Kolumbarium aus der Kirche machen. Aber dabei wird nicht gesehen, dass wir die Kirche, auch wenn wir sie zum Kolumbarium umbauen, trotzdem nicht mehr halten können. Der Umbau würde mehr als eine Million Euro kosten – und die Unterhaltskosten blieben trotzdem. Das Geld haben wir ganz schlicht nicht. Mit der nun gefundenen Lösung bleibt die Kirche bestehen und wird mit Leben gefüllt – auch mit religiösem.
Frage: Wenn Sie harte Entscheidungen treffen müssen wie stadtbildprägende Kirchen abzugeben, wenn ganze Stadtteile ohne kirchliche Gebäude sind: Wie kann denn da überhaupt ein pastorales Angebot, ein pfarrliches Leben aussehen?
Zamilski: Die meisten Kirchen hier sind erst in den 1950er und 1960er Jahren entstanden, also relativ spät. Davor gab es auch kirchliches Leben. Wir sehen aber auch, dass die Menschen etwa in St. Barbara bereit sind weiter zu fahren, auch zu Gottesdiensten. Wir haben jetzt im Winter nur einen Gottesdienstort mitten in der Stadt und haben festgestellt, dass die Gottesdienstbesucherzahlen nicht zurückgegangen sind, sondern im Gegenteil an manchen Sonntagen sogar gestiegen sind, weil das eine Kirche ist, die man gut erreichen kann. Das ist die älteste Kirche der Stadt, mit der kann sich jeder identifizieren. Man fährt zum Einkaufen und zum Arzt, da kann man auch zur Kirche fahren. Wir müssen da in Zukunft mobiler sein.
Für Pastoral vor Ort brauchen wir auch keine eigenen Gebäude. Wir werden Hausbesuche machen, zudem können sich Bibelkreise oder eine Frauengruppe auch in Räumen von Kindergärten oder Altenheimen treffen. Dazu kommen Überlegungen, sich privat zu treffen – wie im Ursprung des Christentums. Man kann sich sonntags auch am Wohnzimmertisch zusammensetzen, um Bibelteilen zu machen. Man braucht nicht für jede Aktion und jedes spirituelle Angebot einen eigenen Raum. Da müssen wir umdenken. Wir wollen unser Geld künftig mehr in Menschen als in Gebäude stecken.
Frage: Eine Hauskirche entwickelt sich nicht von heute auf morgen. Gibt es so etwas schon oder schließen Sie erstmal und hoffen dann, dass sich etwas entwickelt?
Zamilski: In der Coronazeit haben wir versucht, das einzuüben. Der Erfolg war mäßig. Es gibt halt noch Pfarrer und Gottesdienste, da sehen es die Leute nicht ein, sich sonntags am Küchentisch zu treffen. Allerdings wäre jetzt die Zeit, das einzuüben, weil wir noch genug Personal haben. Wie das in zehn Jahren aussieht, will ich mir nicht vorstellen. Wenn man es dann erst einübt, ist niemand mehr zum Unterstützen da. Deshalb bin ich ein bisschen ratlos, wie das gehen könnte. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen, die sich schon privat treffen und Bibelteilen oder ein Agape feiern. Aber das sind Fragen der Zukunft, momentan gibt es noch genug Gottesdienste.
Frage: Es muss also ein anderes Kirchenbild her.
Zamilski: Für uns steht im Fokus: Für wen sind wir eigentlich Kirche? Wie können wir vom Evangelium ausgehend für die Menschen was Gutes tun? Wir haben festgestellt: Dafür brauchen wir gar nicht so viele Pfarrheime oder auch Kirchen, sondern das kann tatsächlich auch in der Kita, dem Krankenhaus oder Altenheim stattfinden, mit dem wir kooperieren. Wir haben hier verschiedene Kooperationen mit Vereinen und vielen anderen mehr, mit denen wir uns vor Ort einbringen und Gesellschaft wie Kirche mitgestalten. Das muss kein Gottesdienst sein, sondern ist oft karitativ: Zum Beispiel ein gemeinschaftliches Essen für Senioren. Dabei können sich dann auch Firmlinge einbringen und jung und alt eine Tischgemeinschaft bilden. Jesus hat sich oft mit anderen Leuten an den Tisch gesetzt. Das war für ihn das Reich Gottes. Das kann auch unser Beitrag für die Menschen sein. In diese Richtung versuchen wir hier neue Ideen zu entwickeln. Auch wenn man oft den Eindruck hat, dass die Kirche schrumpft: Ich habe an solchen Stellen das Gefühl, dass sich hier etwas Neues bildet und die Kirche nicht mehr so starr ist.